Hochtaunuskreis (kw) – Am späten Abend des 8. Juli 1948 startete in Wiesbaden-Erbenheim eine amerikanische Dakota C-47, ein sogenannter Rosinenbomber, mit Versorgungsgütern, um die eingeschlossenen Menschen im Westen Berlins zu versorgen. Doch die 570 Meter Höhe des Steinkopfes sind zu hoch für die vollbeladene Frachtmaschine. Sie streift kurz nach 23 Uhr die Baumwipfel, stürzt ab und explodiert in einem Feuerball. Die Piloten, die Oberleutnants George B. Smith und Leland V. Williams, kamen ums Leben. Ebenso der einzige Passagier, Karl Viktor Hagen, ein ziviler Angestellter des U.S.-Heeresministeriums.
Grund genug, um an dieses tragische Ereignis zu erinnern. Zu einer würdigen Gedenkveranstaltung luden die Luftbrücke Frankfurt-Berlin 1948-1949 e.V. und die Stimme für Ruppertshain e.V. auf dem Steinkopf ein. In seiner Begrüßungsansprache zitierte Thomas Zellhofer, Vorsitzender der „Stimme für Ruppertshain“, den hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein: „Die Berliner Luftbrücke von 1948-1949 hat sich im kollektiven Gedächtnis der Deutschen als ein starkes Symbol für uneingeschränkte Hilfsbereitschaft, Aufopferungswillen und Tapferkeit unserer alliierten Freunde eingebrannt. Aus Feinden wurden Freunde, drei Jahre nach der deutschen Kapitulation. Das selbstlose und mutige Handeln couragierter Piloten wie Gail Halvorsen erinnert uns daran, dass wir auch in schwierigsten Zeiten für unsere Werte kämpfen und zusammenstehen müssen“. Halvorsen war der erste Pilot, der vor der Landung auf dem Flughafen Tempelhof im US-Sektor Berlins für die dort neugierig auf kleinen Trümmerbergen auf der Neuköllner Seite wartenden Kinder an kleinen Fallschirmen befestigte Süßigkeiten abwarf. Diese Aktionen („Operation Little Vittles“ – Operation Kleiner Proviant) brachten den an der Luftbrücke beteiligten Piloten und Flugzeugen den Namen „Rosinenbomber“ (in den USA „Candy Bomber“) ein (Quelle Wikipedia).
Thomas Zellhofer fokussierte sich vor allem auf das Opfer Karl Viktor Hagen. Er (1912-1948) war ein Enkel des in Berlin begrabenen Bankiers Carl Hagen (1856-1938) und seiner Frau Katharina, geb. Philippi (1865-1907). Mit seiner jüdischen Abstammung musste er mit seiner Familie 1938 emigrieren, um das Überleben zu sichern. Ein erster Versuch über Italien scheiterte, so dass man gezwungen war, den unsicheren, aber in diesem Fall doch erfolgreichen Weg Sowjetunion-China zu wählen, um endlich in die USA zu gelangen. Karl-Viktor meldete sich dort, wie viele deutsche Emigranten, zum Militärdienst, wurde US-Staatsbürger und kehrte nach dem Krieg als amerikanischer Soldat nach Europa zurück. Als nach dem Ende des 2. Weltkriegs der Kalte Krieg begann und die Sowjetunion nach der Einführung der D-Mark in den Westsektoren Berlins mit der Blockade Westberlins begann, gehörte Karl-Viktor Hagen zu der Gruppe, die die Luftbrücke ausarbeitete. Seine Vorbereitungen nahmen ein jähes Ende hier am Steinkopf. Mit seinem Sohn Anthony Hagen, der in den USA im Bundesstaat New York lebt, besteht Kontakt.
Stadtrat Wolf-Dieter Hasler hob die Zahl 75 hervor: 75 Jahre Luftbrücke Frankfurt-Berlin, 75 Jahre Deutsche Mark und 75 Jahre Volksbildungswerk Ruppertshain, welches von Robert Zellhofer sen. initiiert wurde. Aus diesem Anlass hat das Volksbildungswerk Ruppertshain 1949 e.V. zu einem Festvortrag am Sonntag, 10. September, in der Schönwiesenhalle eingeladen, der Referent ist der Historiker Günter Schulz aus Eppenhain, Thema „75 Jahre Luftbrücke Frankfurt-Berlin und Deutsche Mark“.
Norbert Kandzorra vom Vorstand der Luftbrücke fasst deren Bedeutung in Worte: „Auch heute noch kann der Erfolg und die Bedeutung der Berliner Luftbrücke für uns Deutsche und die westliche Welt insgesamt nicht hoch genug eingeschätzt werden. Neben den Opfern am Steinkopf haben insgesamt 85 Menschen ihr Leben bei der Luftbrücke verloren: Amerikaner, Briten und Deutsche. Deren Opfer ist Verpflichtung für uns, die Erinnerung an dieses große Ereignis der deutschen Nachkriegsgeschichte wachzuhalten. In unserer schnelllebigen Zeit wird das immer schwieriger, an diese Aktion der Solidarität zu erinnern, vor allem deswegen, da kaum noch Zeitzeugen von damals uns von ihren Erlebnissen berichten können.“ Mit Heinz Arno Wascheck aus Ruppertshain durfte allerdings ein Zeitzeuge begrüßt werden. Er berichtete, dass er zum Zeitpunkt der Luftbrücke mit seiner Mutter und seiner Schwester in Berlin lebte. Zu seinem Glück wurde er zum Hausarzt und dann zum Amtsarzt nach Neukölln bestellt. Da er ein sehr krankes und unterernährtes Kind war, hat man ihn sofort auf die Liste der Kinder gesetzt, die nach Westdeutschland ausgeflogen werden sollten. So fand er sich eines Tages in einem Flugzeug wieder, das gerade Kohle nach Berlin gebracht hatte. Gemeinsam mit vielen anderen Kindern wurde er vom Flughafen Berlin-Gatow nach Lübeck geflogen, wo sie völlig verschmutzt ankamen. „Wir wurden in ein Krankenhaus gebracht, mussten sämtliche Kleidungsstücke ausziehen, uns duschen und desinfizieren.“ Am nächsten Tag ging es weiter im Zug unter der Betreuung vom Roten Kreuz und der Arbeiter Wohlfahrt nach Endbach Kreis Biedenkopf im Westerwald in ein Kinderheim. Dort gab es ausreichend zu essen und zu trinken und es war warm in den Räumen. Streuselkuchen war ein besonderer Leckerbissen. Aus Sicht eines Zehnjährigen war das ein Schlaraffenland, gerade wegen des eiskalten Winters 1946/47. So habe er dank der Hilfe der amerikanischen Streitkräfte überlebt und wurde bestens schulisch ausgebildet. Gemeindereferentin Ursula Müller von der St. Matthäus Gemeinde in Ruppertshain gab mit auf den Weg: „Brich mit den Hungrigen dein Brot, sprich mit den Sprachlosen ein Wort, sing mit den Traurigen ein Lied, teil mit den Einsamen ein Haus.“ So wird es in einem Kirchenlied gesungen. In ihrem geistlichen Impuls hob sie deutlich hervor, dass die am 8. Juli 1948 am Steinkopf tödlich verunglückten Piloten George B. Smith, Leland V. Williams und der Passagier, Karl Viktor Hagen, uns dazu mahnen, stets Wege der Verständigung und der Versöhnung in allen Bereichen unseres Lebens zu suchen.
In diesem Jahr gibt es noch eine weitere wichtige Veranstaltung: Es sollen Informationstafeln enthüllt werden, die Hinweise auf den Flugzeugabsturz am Steinkopf, die Berliner Luftbrücke und den legendären Gail Halvorsen geben. Eine attraktive Ruhebank wird das Plateau des Steinkopfes und seine Gedenkstätte aufwerten.