Königstein (as) – Am Samstag ist noch einmal Großkampftag in der Villa Borgnis im Kurpark. Eine Hochzeitsgesellschaft und eine Geburtstagsfeier sind angemeldet. Und die Gastgeber Anke Stephan-Brauns und Carsten Brauns werden so funktionieren wie an fast jedem Tag in den vergangenen 25 Jahren und alles geben, um ihre Gäste zufriedenzustellen. Und das bereits mit einer verkleinerten Mannschaft, denn am Sonntag öffnet das beliebte Kurhaus bereits nicht mehr. Mindestens eineinhalb Jahre sind veranschlagt für die fälligen Reparaturen am Dach des 1860 im Schweizer Stil erbauten Schmuckstücks. In dieser Zeit werden auch die Fassade auf Vordermann und der Brandschutz auf den aktuellen Stand gebracht.
Für die Königsteiner und alle Gäste dieses einzigartigen Treffpunkts im Kurpark bedeutet diese Zeit gewiss einen herben Einschnitt in liebgewonnene Traditionen – „die Borgnis“ gab bei Kaffee und Kuchen, Brunch, Weihnachts- und Familienfeiern und sogar in der Fastnacht vielen Menschen eine verlässliche Heimat in Königstein. Noch größer ist der Einschnitt freilich für das Ehepaar Brauns, für das ein großer Lebensabschnitt zu Ende geht. 25 Jahre – das ist für die große Mehrheit mehr als ein halbes Arbeitsleben – haben sie im Herzen des Kurparks gewirkt und im Obergeschoss der Villa auch gelebt. „Es kommt noch nicht richtig an, dass es zu Ende geht“, sagt Anke Stephan-Brauns vor wenigen Tagen. „Ich kümmere mich in den letzten Wochen verstärkt um die Gäste, die nochmal kommen wollten“, so die 55-Jährige. Sie ist das Gesicht der Villa Borgnis, die zentrale Ansprechpartnerin für die Gäste. Ganz in der Nähe in Waldems-Wüstems groß geworden, ist sie eigentlich schon mit dem Wechsel in der siebten Klasse ins Taunusgymnasium eine Königsteinerin geworden. Ihre Schwester Ute ist hier mit Norbert Hees verheiratet, dem Bruder von Königsteins Traditionsbäcker Emil Hees. Die Vernetzung und die Verbundenheit im Ort sind hoch; und so sind es viele, die sie verabschieden darf – oder muss. „Wir hatten ganz liebe Gäste“, sagt Anke Stephan-Brauns, „ohne die kann man es auch nicht so lange machen.“ Sie bekommt Dank und gute Wünsche mit auf den Weg, zwischendurch verabschiedet sich ein langjähriger Koch – und natürlich fällt das einer Frau wie ihr, deren verstorbener Vater Adolf einst beim Aufbau und in den ersten Jahren „als natürliche Autorität“ half und deren Mutter Ursula als „Kuchenfee“ bis zuletzt im Hintergrund dabei gewesen ist, nicht leicht.
Und ihr Mann, mit 63 acht Jahre älter, der Küchenchef und Organisator, ein gebürtiger Niedersachse mit dänischen Wurzeln in Nordfriesland, pflichtet ihr bei: „Wir haben uns das Ende einfacher vorgestellt.“ Vor fünf Jahren sei er bereit gewesen, aufzuhören, doch seiner Frau zuliebe wurde der Vertrag noch einmal verlängert. Jetzt sind beide aber, ein Stück weit gezwungenermaßen, bereit für neue Aufgaben. „Wahrscheinlich ist es der richtige Zeitpunkt, etwas Neues durchzustarten“, sagt Anke Stephan-Brauns, wodurch sich die Wege des Ehepaars nach 25 gemeinsamen Jahren auch im Beruf ein Stück weit trennen werden: Sie wechselt als Eventmanagerin zu einer Firma in Eltville, er wird weiter am Herd stehen. An drei bis vier Tagen in der Woche wird er „ohne Verantwortung“ als Koch im Alt-Oberurseler Brauhaus arbeiten, mit dessen Inhaber Thomas Studanski er lange befreundet ist. Seit einigen Wochen kocht Carsten Brauns bereits montags und dienstags in dem beliebten Lokal, was ihm nebenbei eine Sieben-Tage-Woche beschert hat.
Von diesen hatte das Paar sehr viele – und oft nur eine Woche Urlaub im Herbst auf Usedom und später auf Sylt – in den vergangenen 25 Jahren. Es ist wahrlich ein Lebenswerk, ein großes Haus wie die Villa Borgnis mit bis zu 18 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ans Laufen zu bringen und immer auf dem Laufenden und attraktiv zu halten. Ein Haus mit drei zu bewirtschaftenden Ebenen mit Standesamt, Balkonzimmer, Restaurant und Keller, der Veranda und einem großen Außenbereich.
Alles hatte damit begonnen, dass der Immobilienexperte Norbert Hees seiner Schwägerin im Jahr 1998 den Hinweis gab, dass das Kurhaus neu zu vergeben sei, ergänzt mit der Aufforderung: „Bewerbt Euch doch, Ihr habt immer so wenig Zeit füreinander“. Zu dieser Zeit arbeitete Carsten Brauns nach Stationen bei SAS Radison und bei Maritim Bad Homburg als Mann der ersten Stunde und Küchendirektor im noch neuen Maritim-Hotel an der Messe Frankfurt. Anke Stephan, gelernte Hotelkauffrau, hatte die Rezeptionsleitung bei der Unternehmensberatung Booz Allen & Hamilton inne. „Wir haben uns das Exposé gekauft und ein Konzept gemacht, aber es waren zwölf Bewerber, und wir dachten, das kriegen wir nie“, erzählt sie, als wäre es gestern gewesen. Doch dann war man plötzlich unter den ersten drei, die vor der Königsteiner Grundstücks- und Verwaltungsgesellschaft präsentieren durften, und erhielt prompt den Zuschlag. „Wir wussten gar nicht, ob wir uns freuen sollen“, erinnert sie sich auch an die erste Gefühlslage. So groß war die Überraschung, so ungewiss der Sprung ins kalte Wasser.
Eigene Hochzeit zum Start
Das Abenteuer Villa Borgnis im Kurpark begann im Frühling 1999 mit etwas Freudigem. Am 2. Mai fand eine „super Eröffnungsfeier“ statt, am 29. Mai heirateten die neuen Gastgeber im eigenen Haus. „Wir waren die ersten im Standesamt, es war noch gar nicht eingerichtet, wir haben morgens die Stühle reingestellt“, erzählt Carsten Brauns. Und am gleichen Tag fand noch eine zweite Hochzeit im Haus statt. So wurde parallel selbst gefeiert und Gäste wurden bekocht – eine organisatorische Meisterleistung und etwas, was wohl nur echte Gastgeber jemals auf sich nehmen würden. Improvisationskünste waren in der Startphase ohnehin gefragt, denn das Interesse war – wie eigentlich bei jeder Neueröffnung – natürlich riesig, erst recht bei einem Kurhaus im Kurpark. „Die ersten Hochzeiten hatten wir noch über den Katalog verkauft, keiner wusste, wie das Mobiliar ist und der Raum aussehen würde“, erinnert sich Anke Stephan-Brauns.
Und vieles lief am Anfang noch nicht rund, schnell wurde in Königstein über die „Villa Besorgnis“ geätzt. 52 Tische im Außenbereich, das Konzept mit durchgehend anzubietenden Snacks, Kuchen und Eis, drinnen À-la-Carte-Betrieb, der Blaue Salon mit einer zweiten, exklusiveren Fine-Dining-Karte, drei Tanzabende in der Woche – das war alles zu viel für den Start. „Die erste Meinung war verheerend, die Wartezeiten waren viel zu lang“, erinnert sich Carsten Brauns. Und im Winter hatte man, abgesehen von den vielen Weihnachtsfeiern, „nicht mehr die Pole Position des Sommers“ – ein Begriff, den der Chef des Hauses gerne benutzt. Oftmals verschneite Wege, ein eher tristes Ambiente im Park und der geschlossene Außenbereich sind nicht gerade Magneten. Bergauf ging es immer, wenn die Tage wieder länger wurden. Im März bereits wurde nach Möglichkeit die Südterrasse geöffnet. „Wenn die Sonne scheint, kommen die Gäste wie die Mücken“, hatte der langjährige Starkellner Alain Garriou für dieses Phänomen seinen Lieblingssatz gefunden.
Das Ehepaar Brauns zog auch schnell selbst die Lehren aus dem holprigen Start. Die Außenstation wurde mit mobilen Kaffeemaschinen ausgestattet, die Anzahl der Tische reduziert, im Innenbereich wurde eine einheitliche Karte erstellt, die auch die Fine-Dining-Elemente beinhaltete. Bei den Club-Sandwiches und Chef-Salaten auf der Snack-Karte wurde man zum Vorreiter, es gab zum Markttag am Freitag ein Bauernfrühstück, und der bis heute sehr beliebte Sonntagsbrunch wurde geboren. Man lernte, teilweise bis zu fünf Festgesellschaften gleichzeitig zufriedenzustellen.
Die Bankettmappe wurde verfeinert und das sogenannte Function Sheet für den internen Ablaufplan perfektioniert. Insgesamt wurden in den Jahren vier Bankettsekretärinnen beschäftigt – die letzte, Sonja Stange, blieb bis 2023. „Es ist alles ein Lernprozess“, sagt Anke Stephan-Brauns, „nur den Weinkeller haben wir nie richtig zum Laufen gebracht.“ Für private Feiern, an Weihnachten zudem als üppig dekorierter Nikolauskeller, blieb er aber immer eine wichtige Reserve.
Das Erfolgsrezept
Als Durchbruch sehen die beiden Gastgeber den runden Geburtstag der Königsteiner Ehrenbürgerin Annemarie Ramm im Jahr 2000, der erst klein im Balkonzimmer stattfinden sollte und dann groß im Restaurant gefeiert wurde. Bei diesem Anlass war der kritische Blick der Königsteiner Stadtgesellschaft auf die noch recht neuen Pächter gerichtet – und alle waren hochzufrieden. Plötzlich wurde die Borgnis zum Lieblingslokal, die Rotarier und Lions verlegten auch wegen der zeitweiligen Schließung der Villa Rothschild ihr Clubrestaurant hierher – und manch einer von ihnen wäre auch gerne geblieben, sagt Anke Stephan-Brauns mit einem Augenzwinkern. Der familiäre Service und die Persönlichkeit des Gastgeber-Ehepaars wurden zum Aushängeschild der Villa Borgnis. Die scheidende Chefin verrät ein Erfolgsrezept: „Unsere Gäste waren immer die besten Unternehmensberater, man muss mit dem Ohr an ihrem Mund sein.“ Sie weiß aber auch, dass man es nie allen recht machen kann in einem Servicebetrieb: „Wenn jemand meckern will, dann meckert er sowieso.“
Ein zweiter verbindender Faktor sind in der hundefreundlichen Villa Borgnis immer die Tiere gewesen. „Über die Hunde spricht man sich an, über die Hunde kommt man ins Gespräch“, sagt Anke Stephan-Brauns. Die vierjährige Fame ist mittlerweile der dritte Hund des Ehepaares, der die Gäste mit willkommen heißt.
Erfolg in der Gastronomie ist aber immer auch mit einem hohen persönlichen Zeitaufwand und großem Durchhaltevermögen verbunden. Bei großen Feiern war man 23 Stunden auf den Beinen. „Ich habe nach Feiern sonntags oft den Frühdienst kommen sehen und bin um 9 Uhr mit dem letzten Müllsack rausgegangen“, erzählt Anke Stephan-Brauns. Um 11 Uhr musste das Restaurant wieder bereit sein für das Brunch-Buffet. Deswegen wurde, wie in vielen Hotels, auch am Sonntagabend nicht mehr geöffnet. „Es gibt einfach Grenzen, so viel Personal hat keiner“, sagen die Pächter. Stattdessen wurde nach dem „Kaffeeschwung“ regelmäßig eine „Happy Hour“ mit den Mitarbeitern gemacht – um sich vom geschäftigen Alltagsbetrieb befreit auch mal austauschen zu können.
Schwieriger Abschied
Die Brauns haben glückliche Zeiten erlebt in der Villa Borgnis – aber ganz glücklich ist das Ende für sie nicht gelaufen. Natürlich stand die Dachsanierung lange Zeit schon im Raum, aber man habe immer mit einer Unterbrechung des Betriebes von einem halben Jahr gerechnet, nicht mit mindestens eineinhalb Jahren, sagen sie. Damit war das Thema für den Bewerber aus den eigenen Reihen obsolet, der auch die noch immer moderne Küche übernommen hätte. Die wird jetzt kaum stehenbleiben, auch wenn die sechs Interessenten an der Nachfolge, die sich nach der Neuausschreibung des Betriebs bereits im Haus vorgestellt und umgesehen haben, ebenfalls Interesse daran gezeigt hatten. Locker 100.000 Euro koste eine professionelle Gastronomieküche bei einer Neuanschaffung, sagt Carsten Brauns.
Durch die lange Sanierungszeit kann nun auch das gesamte Inventar nicht an den Nachfolger übergeben werden; deswegen hatte das Ehepaar Brauns sogar ein Veto bei der Grundstücks- und Verwaltungsgesellschaft eingelegt und eine weitere Verlängerung um fünf Jahre beantragt – letztlich vergeblich.
Mittlerweile haben die scheidenden Pächter einen Auflösungsbetrieb beauftragt, um aus den eigenen Investitionen zumindest noch ein wenig Geld zu ziehen. „Was in der Auktion erzielt wird, ist das Grundkapital für unser weiteres Leben“, sagt Carsten Brauns durchaus mit ernstem Ton in der Stimme. „Wir haben 25 Jahre nicht rausbekommen, wie man wirklich viel aus diesem Betrieb rauskriegt“, ergänzt seine Frau. Auch das ist Gastronomie: hoher Aufwand, relativ geringer Ertrag.
Am 2. September wird der Auflösungsbetrieb in der Villa Borgnis aufschlagen, das komplette Inventar abfotografieren und auf ein Auktionsportal stellen. Bis Mitte September erhalten die Höchstbietenden den Zuschlag und haben bis 28. September Zeit, ihre Dinge abzuholen. Den Rest müssen die Pächter selbst entsorgen oder einlagern. Ende September muss das Haus leer sein. Dann ist eine Ära endgültig zu Ende. Es ist also nochmal ein anstrengender Monat, der für das Ehepaar Brauns ansteht. Vielleicht der anstrengendste, emotional allemal.
Mit dem Auszug aus dem Restaurant, das auch ihr Zuhause geworden ist, steht für das Paar also auch ein Umzug an. Für eine Übergangszeit geht es zurück ins Elternhaus nach Wüstems. „Ich bin froh, dass mein Mann dem zugestimmt hat“, sagt Anke Stephan-Brauns. Sie sind aber längst auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Man will wegen der familiären Bande – besonders zur Familie der Schwester mit den drei Nichten – auf jeden Fall in der Nähe bleiben. Vielleicht werde es Bad Soden, vielleicht aber doch wieder Königstein, für die Burgstadt schlägt ihr Herz einfach am intensivsten. „Die Unterbrechung ist aber jetzt sinnvoll für uns, um alles abzuschütteln und zu sehen, was in den letzten 25 Jahren passiert ist.“