Das große Abschiedsinterview mit Leonhard Helm

Der gelbe Rhododendron hat es ihm angetan: Leonhard Helm an seinem Lieblingsplatz im Kurpark, nur wenige Gehminuten von seinem langjährigen Amtssitz entfernt   Foto: Schramm

Königstein (as) – Der morgige Freitag, 24. Mai, markiert ein ganz besonderes Datum in der Geschichte Königsteins. In einer außerordentlichen Stadtverordnetenversammlung wird Beatrice Schenk-Motzko als erste Bürgermeisterin der Kommune in ihr Amt eingeführt. Am gleichen Abend wird ihr Parteikollege Leonhard Helm, der 18 Jahre (drei Legislaturen) als Bürgermeister der Burgstadt gewirkt hat, verabschiedet. Vorher hat er sich noch mit KöWo-Redakteur Alexander Schramm zu einem großen Interview getroffen, in dem er über Erreichtes, Aufgeschobenes, Aggressionen gegen Politiker und über seine Zukunftspläne spricht.

Herr Helm, wie klingt Ihre lange Amtszeit nach 18 Jahren aus?

Es ist zuletzt schon ruhiger geworden, auch weil ich sechs Wochen lang krank gewesen bin, was natürlich nicht eingeplant war. Ich habe jetzt nur noch zwei echte Diensttage am 28./29. Mai. Ich fahre nach Schwerin zur Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Städte- und Gemeindebundes im Landtag. Da kommen aus jedem Bundesland zwei oder drei Bürgermeister, um über die dringendsten Rechtsangelegenheiten der Kommunen zu beraten. Da ich dem Ausschuss lange angehört habe und er auch mehrfach in Königstein getagt hat, haben meine Freunde im Ausschuss Wert darauf gelegt, dass ich bei dieser Sitzung nochmal dabei bin. Ich war noch nie in Schwerin und freue mich drauf.

Was haben Sie als Bürgermeister aus diesem Spitzenverband mitgenommen?

Man kriegt auch mal einen Blick auf andere Themen. In unserer Region sind die Themen überall sehr ähnlich, auch wenn sich die Positionen dazu unterscheiden. Den Kommunen in Bayern geht es schon ganz anders, die sind finanziell deutlich besser ausgestattet. Wirtschaftlich stehen die hessischen Kommunen mit am schlechtesten da, obwohl wir eines der wohlhabendsten Bundesländer sind. Uns wird viel abverlangt, aber gleichzeitig ist die Finanzierung schwach, obwohl wir die Speerspitze der öffentlichen Hand sind. Wann hat man mal mit einem Ministerium zu tun? Als normaler Mensch doch nie. Mit dem Einwohnermeldeamt oder dem Kindergarten haben Sie zu tun, dafür sind der Bürgermeister und die Kommune zuständig.

Woran liegt diese mangelhafte Ausstattung in Hessen aus Ihrer Sicht?

Es gibt zwar immer irgendwelche Förderprogramme, aber das fühlt sich oft so an, als ob man Gäulen eine Karotte vor die Nase hängt. Kommunen sind aber keine Gäule. Wenn wir einen Riesenaufwand treiben müssen, um die Karotte zu kriegen, wäre es aus meiner Sicht besser, den Kommunen ausreichend Mittel zur Verfügung zu stellen, damit sie vernünftig ihre Aufgaben erfüllen können. Jede Verwaltung kennt doch ihre Situation am besten. Man sollte als Land nicht immer glauben, dass man so viel klüger ist. Oft passen diese Förderprogramme nicht richtig und man muss dennoch einen immensen Aufwand dafür treiben. Ich würde mir mehr Vertrauen wünschen in die Vernunft vor Ort. Diesen Ansatz gibt es in der Landesregierung, aber er ist noch ein sehr kleines Pflänzchen und darf ruhig noch ein bisschen wachsen.

 

Eine ganz andere Frage, weil das Thema ja unweigerlich näher rückt: Wann haben Sie das letzte Mal Urlaub gemacht?

Ich habe schon immer mal wieder Zwei-Wochen-Urlaube gemacht. Aber das sind Urlaube, die morgens und abends mit dienstlichen Angelegenheiten verbunden sind. Mit dem iPad hat man sein Büro heute immer dabei. Man fährt zwar vielleicht von 10 bis 16 Uhr Fahrrad, aber wenn man um 18 Uhr frisch geduscht im Sessel sitzt, ist man noch mal ein, zwei Stunden „im Büro“ und beantwortet Anfragen, telefoniert und kümmert sich um Dienstliches. Das ist tatsächlich in jedem meiner Urlaube so gewesen. 100 Prozent raus ist man nie. Auch wenn man auf dem Fahrrad sitzt, schweifen die Gedanken meist um dienstliche Themen. Aber es ist besser als die normale 70- bis 80-Stunden-Woche.

 

Ist das Radfahren Ihr bevorzugtes Freizeitvergnügen?

In den letzten Jahren ist es auch durch das E-Bike tatsächlich mein Lieblingshobby geworden, weil man auch größere Distanzen von über 100 Kilometern am Tag fahren kann, ohne super fit sein zu müssen. Um meine Schwester in der Schweiz zu besuchen, bin ich zuletzt den Neckar-Radweg gefahren, es war eine wunderschöne Strecke mit den kleinen Örtchen und den Weinbergen. Das habe ich sehr genossen. Im Jahr davor bin den Rhein raufgefahren über Straßburg und Basel. Fahrradfahren ist toll, man bekommt die Landschaft und die Einflüsse von Natur und Wetter richtig mit. Mit meinem Elektrorad bin in den letzten Jahren auch regelmäßig zu dienstlichen Terminen in Bad Homburg oder am Flughafen gefahren.

 

Das Thema Reisen wird ein größeres Thema in der nahen Zukunft?

Ja, das Thema hat sich wirklich sehr in Grenzen gehalten in den letzten 18 Jahren. Wenn dann bin ich eher noch mit meiner Mutter und meiner Tante verreist. Jetzt kann ich mal ganz meinen eigenen Interessen folgen. Indien wird wahrscheinlich meine erste große geplante Reise werden, ich habe indische Freunde und ich möchte einfach mal eine Vorstellung bekommen von einem der größten Länder der Erde, in dem ich noch nie gewesen bin. Ich stelle mir das als andere Art des Reises vor, drei oder vier Wochen ohne Zeitdruck unterwegs sein zu können. Das konnte ich seit meinen Studentenzeiten nicht mehr machen.

 

Sie werden noch keine 60 sein, wenn Sie aus dem Amt scheiden. Haben sie nach der Auszeit auch schon berufliche Zukunftspläne?

Bis meine Rechtsanwaltspension einsetzt, sind es tatsächlich noch mehr als sechs Jahre. Die Bürgermeisterpension werde ich bis dahin schon noch ein bisschen aufstocken müssen – ich will auch noch etwas arbeiten, weil ich es nicht gewohnt bin, nichts zu tun. Ich habe immer gesagt, ich entscheide nichts vorab, weil ich nicht weiß, wie es nach Ende meiner Amtszeit aussieht. Wie es meinen beiden lieben Seniorinnen geht, die dann dieses Jahr leider verstorben sind. Jetzt habe ich gar keine Pflichten mehr, bin plötzlich völlig ungebunden. Ich kann alles Mögliche machen, mir bricht auch kein Zacken aus der Krone, was Soziales zu machen, eine Hilfstätigkeit zu übernehmen. Es muss nicht unbedingt eine Anwaltstätigkeit sein, obwohl ich mir vorstellen kann, mit meiner Erfahrung hier recht gut beratend tätig sein zu können. In 18 Jahren konnte ich vieles lernen, wertvolle Erfahrungen sammeln, auch aus meinen Fehlern. Aber es muss eine Tätigkeit sein, die mich reizt.

 

Als Sie am 1. Juni 2006 Bürgermeister geworden sind, war gerade Fußball-WM und Brasilien zu Gast. Wie hat sich das damals für Sie angefühlt, Stadtoberhaupt zu werden? Königstein schien der Nabel der Welt.

Ich muss zugeben, das Ganze wirkte schon nicht mehr real, es hat sich wie in einem Film angefühlt. Aber man hat es natürlich mitmachen müssen, selbst die internationalen Fernsehteams wollten jeden Morgen ihr Statement. Ich muss zugeben, dass ich noch nach der Abreise der Brasilianer morgens ins Büro gekommen bin und gefragt habe ,Welche Interviews haben wir heute?‘ Und dann hieß es: ,Gar keins’. Diese Wochen waren natürlich nicht der Normalfall, aber der Normalfall ist auch toll: mitwirken zu können bei der Gestaltung der Stadt und in Gesprächen ein Partner zu sein. Wir reden heute immer so gerne über Kümmerer. Natürlich ist der Bürgermeister immer der oberste Kümmerer der Stadt. Der wollte ich auch sein, selbst wenn es mir nicht immer gelungen ist. Es gibt Probleme, da kann man sich kümmern wie man will, sie bleiben unlösbar.

 

War es früher leichter, Probleme zu lösen?

In meiner Anfangsphase konnten wir viele Probleme lösen. Da waren Probleme, die lange liegen geblieben waren, weil sie dem Vorgänger vielleicht nicht wichtig waren und die wir relativ schnell anschieben konnten: zum Beispiel die Renovierung des Hauses der Begegnung, den Edeka zu ermöglichen, den Sportplatz in Schneidhain zu bauen oder die Kunstrasenplätze in Mammolshain und Königstein, auch verwaltungstechnische Dinge wie die Einführung der Doppik. Die Verwaltung war aber damals gut aufgestellt für diesen Kraftakt.

 

Ist sie das heute nicht mehr?

Sie ist immer noch gut aufgestellt, aber sie hat so viele zusätzliche Aufgaben bekommen. Wir leiden unter der Bürokratie selbst am meisten, die wir aufgezwungen bekommen von Gerichten und vom Gesetzgeber. Nur ein Beispiel: eine Blitzersäule, die dringend gebraucht wird, weil an der Stelle gerast wird und die Bürger darunter leiden. Das kann Jahrzehnte dauern, bis eine solche Säule kommt, wenn es denn überhaupt möglich wird. Nehmen wir nur die Stelle am Kreisel/Wolfsweg, wo wir sie bräuchten, um die B8-Spur aufzubekommen. Wir haben die Aufgabe, uns mit den Nachbarn zu verständigen, aber Hindernisse liegen oft bei Hessen Mobil, beim Hochtaunuskreis und manchmal sogar im Ministerium. Das Bemühen der anderen ist da, das streite ich gar nicht ab. Aber wenn Sie vier Behörden unter einen Hut kriegen wollen, ist das schon eine Aufgabe.

 

Kann man daran verzweifeln?

Manchmal verzweifelt man schon. Und man muss das alles noch dokumentieren und die politischen Gremien fordern für alles Konzepte. Was mich auch an den Rand der Verzweiflung bringt, ist, dass wir ein hohes Engagement und tüchtige Mitarbeiter haben, denen wir so viel abverlangen müssen, dass wir sie fast schon ausbeuten, um überhaupt zu Ergebnissen zu kommen. Da läuft irgendwas schief. Die Aufgaben der Kommunen werden immer größer, wir haben aber nicht mehr die Kraft, sie so zu bewältigen, wie es von uns verlangt wird. Die Qualifikation, die eine Verwaltung vorweisen muss, ist unglaublich hoch geworden. Wir werden an weiteren kommunalen Zusammenschlüssen nicht vorbeikommen oder Dinge an multikommunale Behörden, zum Beispiel gemeinsame Ordnungsbezirke oder Planungsbehörden, auslagern müssen. Oder wir müssen Vorgänge wieder vereinfachen.

 

Sie spüren also auch in der Verwaltung den Fachkräftemangel?

Eindeutig. Es ist heute ein Ringen um wenige Fachkräfte und Menschen, die unsere Themen abdecken können. Nehmen wir die Kindergärten: Wir müssen heute die Gruppen schon vergrößern, um es personell überhaupt hinzubekommen. Ich gehe fest davon aus, dass wir in den nächsten Jahren die Betreuungszeiten reduzieren müssen, weil wir nur so die geforderten Fachkräfteschlüssel erfüllen können. Kinderbetreuung ist sicher einer der schwierigsten Bereiche.

Jenseits vom Fachkräftemangel überfordern uns viele Aufgaben aber auch finanziell, zum Beispiel die Erhaltung der Burg: Wir haben erstmals toll ausgearbeitete Sanierungskonzepte für zehn Jahre und planen da mit Kosten von 12, vielleicht 15 Millionen Euro. Das ist eine riesige Herausforderung für eine Kommune wie Königstein. Da kann ich noch keinen Haken drunter machen. Das Projekt ist so groß, dass es sogar aus den meisten Förderungen herausfällt. Und durch die Baukostenexplosion wird es um noch einiges schwieriger.

 

Schadet das Halloween-Festival da nicht?

Die Bausubstanz wird von Halloween gar nicht tangiert, die Keller werden zum großen Teil nicht genutzt, da ist wahrscheinlich jedes Burgfest schlimmer. Die eigentlichen Belastungen des Gebäudes sind Wind und Wetter. Wenn Sie jetzt die Abstützungen und Netze an den Mauern und an den Ausbauchungen sehen, dann liegt das daran, dass wir mit dem Sanierungskonzept zum ersten Mal eine systematische Sicherung langjährig geschädigter Bereiche vornehmen konnten, nicht an einem besonderen Verfall.

 

Gibt es etwas, das Sie gerne in Ihrer Amtszeit noch zu Ende gebracht hätten?

Ich hätte gerne noch den Kindergarten am Hardtberg eröffnet. Dass der Beton-Rohbau jetzt fast abgeschlossen ist, ist schön, aber es ist vom gesamten Zeitrahmen nicht das, was ich wollte. Man muss sehen: Wir planen den neuen Kindergarten seit bald 15 Jahren. Wir hatten verschiedene Planansätze: Die Renovierung am alten Standort erwies sich von der Bausubstanz als nicht möglich. Wir hatten dann gute Konzepte für Abriss und Neubau am alten Standort, aber dann ist der Platz für den Übergangsstandort der Erweiterung der Friedrich-Stoltze-Schule zum Oper gefallen. In der Herrnwaldstraße war der Aufschrei der Anwohner groß, und im Forellenweg hätten wir auch nicht vor fünf Jahren bauen können, weil da noch bis letztes Jahr die Stadtwerke waren. Und der Bau wäre dort nicht billiger geworden, wie manche behaupten. Die Kosten liegen an den hohen Gebäudeanforderungen, nicht am Standort. Dass am Hardtberg noch Anwohner prozessiert haben, war natürlich auch nicht förderlich – aber das hätte uns inmitten eines bewohnten Gebietes genauso gedroht.

 

Wo sehen Sie die größten Erfolge Ihrer Amtszeit?

Die Sanierung des HdB war das erste ganz große Ding, weil es für das soziale Leben in der Stadt unglaublich wichtig gewesen ist. Der Kindergarten ist der zweite Punkt, weil ich jetzt weiß, dass der Bau abgeschlossen wird. Es gibt auch viele kleinere Dinge, auf die wir alle ein bisschen stolz sein dürfen: das Dorfgemeinschaftshaus in Mammolshain im Rahmen des damaligen Dorferneuerungsprogramms, jetzt erweitert um die Gastwirtschaft, die Heinrich-Dorn-Halle, das Alte Rathaus in Falkenstein. Oft auch in Zusammenarbeit mit Privaten, wie das „Brothaus“, wo über Jahre ein heruntergekommenes Haus stand. Dort ist mit dem Durchgang zum Parkplatz einfach etwas Schönes gelungen. Und wenn wir jetzt mit den Königsteiner Höfen mit der Projektgesellschaft Horn eine Struktur schaffen, in der Wohnen und Gewerbe zusammen möglich sind, denke ich auch, dass es das richtige Konzept ist in der heutigen Zeit. Und dann natürlich unser Hardtbergturm – einfach nur schön, ein echter Magnet!

 

Und dennoch sind Sie häufig hart kritisiert worden. Hat die Schärfe im politischen Umgang zugenommen?

Es ist mir wirklich wichtig, dass wir darauf achten, dass es wieder stärker um die Sache geht statt um die persönlichen Angriffe und die Aggressionen. Davon kann ich mich auch nicht immer ganz frei machen, wenn ich selbst Teil eines solchen Konflikts bin. Mehr echte Sachorientierung und der Mut, Entscheidungen im positiven Sinne zu treffen, sind wichtig. Nicht-Entscheidungen fallen auf die Politik als Ganzes zurück. Vielleicht gelingt das mit meiner Nachfolgerin besser als zuletzt mit mir.

 

Was lösen tätliche Angriffe auf Politiker, die aktuell zunehmen, in Ihnen aus?

Das macht mir große Sorgen. Je mehr wir uns in der Mitte streiten, desto schwieriger wird es an den Rändern. Wenn wir uns schon dort fast die Köpfe einschlagen, haben die Extremen doch den Eindruck, dass man auf uns beliebig draufschlagen darf. Wir Demokraten müssen miteinander respektvoll und fair umgehen, um zu zeigen, dass unser System und seine Vertreter ihre Aufgaben erfüllen und Respekt verdienen.

 

Sie waren mit 22 Jahren schon im Vorstand der Königsteiner CDU. Können Sie denn nach bald 40 Jahren Politik jetzt einfach loslassen?

Ich weiß, dass ich mich raushalten muss. Ich werde bestimmt die eine oder andere Verzweiflung erleben über das, was anders laufen wird als ich es mir vorgestellt hätte. Ich glaube, ich werde mir eine gewisse Gelassenheit zulegen müssen und die anderen einfach machen lassen. Vielleicht ist es nicht mein Weg, aber vielleicht ist es ein genauso guter und vielleicht sogar ein besserer ...

 

Haben Sie einen Ratschlag für Ihre Nachfolgerin Beatrice Schenk-Motzko?

Sie soll das beibehalten, was sie schon angefangen hat, sie soll den Menschen gut zuhören.

Weitere Artikelbilder



X