Königstein (es ) – Im Rahmen der Vortragsreihe „Königsteiner Salon“ lud der Veranstalter Childaid Network Königstein Bettina Stark-Watzinger zu einer Analyse des jetzigen Bildungsstands und zukünftigen Perspektiven in Deutschland ein.
Wie der Vorsitzende von Childaid, Martin Kasper, in seiner Begrüßungsrede verdeutlichte, erhöht Bildung die Lebenserwartung von Kindern und Jugendlichen in strukturschwachen Gebieten hierzulande und in der gesamten Welt. Childaid Network hat es sich zur Aufgabe gemacht, Bildung in die entferntesten Gebiete Süd- und Ostasiens zu bringen, und fördert momentan bis zu 50.000 junge Menschen.
Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger verdeutlichte noch die Situation, dass zwar Nepal und Bangladesch bereits seit 1948 Bildung in ihre Verfassung aufgenommen haben, aber Regierende zum Teil selbst nicht in der Lage sind diese umzusetzen bzw. sie größte Furcht vor Bildung haben. In deren Folge fordern die Menschen dann ihr Recht auf freiheitliches, demokratisches Denken ein, was für Autokraten gefährlich ist. Diktaturen geben keine Hoffnung auf Zukunft. Mutige Menschen in Diktaturen bezahlen oft mit ihrem Leben oder ihrer Freiheit, wie wir das zum Beispiel im Iran, Irak und Afghanistan erleben.
An diesem Vortragsabend wurde aber der Blick vorwiegend auf die Bildungsgerechtigkeit in Deutschland und unsere Verantwortung für die nächste Generation gerichtet. Rund 80 Interessierte waren ins Haus der Begegnung gekommen, darunter sicher auch viele, um die aus Neuenhain stammende Bildungsministerin einmal live zu erleben.
Eine momentane Gefahr für die Demokratie in Deutschland sieht die FDP-Politikerin darin, dass grundsätzlich für Bildung auf der politischen Ebene zu wenig getan wird. Große bürokratische Hürden für Konzepte, Anträge, Erlaubnisse, um individuelle Konzepte umsetzen zu können, sind bei Schulen und Kindergärten eine große zeitliche Belastung. Das Wissen, dass frühkindliche Bildung bereits vor dem dritten Lebensjahr zu fördern ist, findet kaum Umsetzung. Die Vielfalt der heutigen Gesellschaft fordert geradezu dazu auf, Kinder bereits vor der Grundschule einen Sprach- und Allgemeinwissensstand für einen gleichwertigen Start zu ermöglichen. Dazu fehlen aber, wie allgemein bekannt, Tausende Erzieher und Erzieherinnen sowie das Lehrpersonal in den Schulen. Im Grundgesetz ist verbrieft, dass nicht die Herkunft die Bildung bestimmen darf, sondern ausschließlich Talent und Leistung des Individuums. Dies ist ein Versprechen, das laut Bettina Stark-Watzinger von der Politik nicht eingelöst wird.
So entsteht auch bei uns ein geringer Wissenstand der Kinder, was im Jugendlichen- und Erwachsenenalter dazu führt, dass kleingeistigen Informationen über die Medien geglaubt werden. Dies ist ein Nährboden gegen demokratisches Leben. Nur noch 31 Prozent der Menschen in Deutschland vertrauen seit Corona der Wissenschaft und Forschung. Herkunft ist noch immer ein Grund für Bildungsferne. Es dauert vier Generationen, um das zu überwinden, und trotzdem wird die Politik ihrem Anspruch nicht gerecht für Bildungsgerechtigkeit im eigenen Land zu sorgen.
Was ist zu tun und wird seit Jahren gefordert? Das Beamtentum ist für die Bildung ein Auslaufmodell, so die Ministerin. Trotz besserem Wissen wird die Abschaffung nicht umgesetzt, wie es uns andere nordeuropäische Länder vormachen. Die Gesellschaft hat sich geändert. Kindereinrichtungen und Schulen müssen heute das nicht ausreichende Lernen in Familien ausgleichen. Ebenso für soziale Kompetenz sorgen. Eine reine Lernanstalt erfüllt nicht das Gesamtkonzept. Schulpsychologen, Sozialarbeiter müssen vermehrt den schulischen Alltag begleiten. Es geht um ganzheitliche Bildung.
Dazu kommt, dass die digitale Welt Einzug in die Bildung hält. Es gilt sie in Balance zu halten und so zu nutzen, dass es für die Schüler förderlich für ihre Zukunft ist.
Hierzu hat das Land Hessen ein Pilotprojekt „Digitale Welt“ gestartet. Es verbindet grundlegende Kompetenzen der Informatik mit ökonomischer und ökologischer Bildung. Vorgesehen war das Pilotprojekt für zuerst 2000 Schulen. Jedoch ist das Interesse so groß, dass es auf 4000 teilnehmende Schulen erweitert wurde. Dass das dazu nötige Digitalpaket vierhundert Seiten hat zeigt erneut, wie Schulen unter der Bürokratie leiden.
Hier konnte Stark-Watzinger auch keine hoffnungsvollen Perspektiven aufzeigen. Es werde Jahre dauern, bis die Gehälter der Pädagogen und Pädagoginnen angemessen erhöht werden. Noch immer müssen Erzieherinnen ihre fünfjährige Ausbildung selbst bezahlen. So wird man kaum Menschen für diesen Beruf gewinnen können.
Der Austausch mit dem Publikum nach dem Vortrag war geprägt von Beispielen dysfunktionaler Systeme vor Ort. Aus der Wirtschaft und dem Gewerbe kam der dringende Ruf nach unmittelbarer Lernförderung Jugendlicher, ansonsten bestehe die Gefahr, dass es ohne ausgebildeten Nachwuchs zu einer Schwächung Deutschlands kommt.
So wie die Bildungsarbeit von Childaid Network in bildungsarmen Ländern Hürden überwinden muss, so gilt es hier, einen dringenden Appell an die Politik Deutschlands zu senden, alles daranzusetzen, der Misere Einhalt zu gebieten. Martin Kasper bedankte sich bei Bettina Stark-Watzinger für ihre weitreichenden Ausführungen, ebenso bei der interessierten Zuhörerschaft im Saal.
Das ausgezeichnete Catering des Abends tat den Gemütern gut und es fanden sich etliche weitere kleine Diskussionsrunden an den Bistrotischen ein.