Königsteiner Leichtathleten in WM-Stimmung

Vom Altkönigblick an den Pazifik: Die Königsteiner Leichtathletik-Asse Jana Marie Becker, Louis Buschbeck und Sarah Köcher (v.l.) erleben in der nächsten Woche bei den U20-Weltmeisterschaften in Peru den bisherigen Höhepunkt ihrer sportlichen Karrieren.Foto: Schramm

Königstein (as) – Ein Hauch von Olympia liegt an diesem Morgen nach der Abschlussfeier im Stade de France auch über der Sportanlage „Altkönigblick“ in Königstein. Es wird viel über die Olympischen Spiele und ihre Faszination gesprochen, die sie auf junge Athleten wie Jana Marie Becker, Sarah Köcher und Louis Buschbeck ausüben. Und auch hier liegt ein kleiner Abschied über der Szenerie, als Judith Wagemans, die Vorsitzende des Königsteiner Leichtathletik-Vereins, die drei Lauftalente mit einer Gymnastik-Matte – die sich im Leichtathletik-Stadion gut in eine Aufwärmmatte verwandeln lässt – verabschiedet. Auf der Matte ist zum Wappen des KLV auch „Lima/Peru“ aufgedruckt. „Das hat Tradition bei uns, dass wir unsere Athleten vor internationalen Wettkämpfen mit einem kleinen Geschenk verabschieden“, erklärt die Rechtsanwältin aus Eppstein, die die Macherin hinter dem Königsteiner „Leichtathletik-Wunder“ ist. Der Verein hat seit seiner Gründung im Jahr 2013 zahlreiche Nominierte bei Europa- und Weltmeisterschaften gestellt – und in Siebenkämpferin Vanessa Grimm und Weiterspringerin Maryse Luzolo in Tokio 2021 auch bereits zwei Olympioniken.

Die langfristige Planung für die Leistungsgruppe des KLV, natürlich auch für das ambitionierte U20-Trio, ist auf die Spiele in Los Angeles 2028 und Brisbane 2032 gerichtet. Ein wichtiges Zwischenziel ist die Weltmeisterschaft für die Altersklasse U20 in der peruanischen Hauptstadt Peru vom 27. bis 31. August – nach Streichung der U18-WM aktuell der einzige globale Vergleich im Nachwuchsbereich. Und für die drei Königsteiner Vertreter ist es das bislang größte Ereignis und gleichzeitig auch Erlebnis in ihrer sportlichen Karriere. Entsprechend groß ist die Vorfreude. Am 21. August sind sie in Frankfurt als Teil des 77-köpfigen Kaders des Deutschen Leichtathletik Verbandes (DLV) in den Flieger gestiegen, sechs Tage später sind mit der Mixed-Staffel und den Vorläufen über 800 Meter die ersten Wettbewerbe angesetzt. Die Akklimatisierung sollte trotz sieben Stunden Zeitverschiebung also gut gelingen, zumal Lima auf Meereshöhe liegt und auf der Südhalbkugel derzeit Winter ist. „Wir müssen eher auf 20 Grad runterkühlen“, witzelt Jana Marie Becker. In Königstein erhitzt die vom wolkenlosen Himmel scheinende Sonne die Luft an diesem Vormittag schon auf mehr als 30 Grad.

Bereits mit einer Silbermedaille über 800 Meter bei der U18-Europameisterschaft in Jerusalem dekoriert, ist Jana eines der Aushängeschilder der Königsteiner Leichtathletik. Sie stammt aus Lauter bei Gießen, startete lange für die LG Wettenberg und stieß Ende 2022 gleichzeitig mit Sarah Köcher, die aus Erbach im Odenwald kommt, zum KLV, der mit seinen professionellen Bedingungen und auch der Nähe zur Schule in der Otto-Fleck-Schneise in Frankfurt überzeugen kann. Jana und Sarah besuchen dort das Sportinternat und trainieren hauptsächlich am Bundesstützpunkt in der Hahnstraße in Frankfurt, aber auch regelmäßig in Königstein. „Der Verein ist wichtig, um den Bundestrainern den Rücken freizuhalten. Und der KLV ist ein Verein mit Herz“, sagt Judith Wagemans, die in einem sehr athletenfreundlichen Vorstand unter anderem vom ehemaligen Zehnkämpfer Jan Felix Knobel (Junioren-Weltmeister und Olympiateilnehmer 2012) als Sportlichem Leiter unterstützt wird.

Ein echtes Eigengewächs des Vereins ist der Kelkheimer Louis Buschbeck. Er ist kein Internatsschüler, sondern geht in seinem Heimatort in die Eichendorffschule. Im kommenden Jahr wollen Louis und Sarah, die bereits weiß, dass sie danach ein Lehramtsstudium aufnehmen möchte, ihr Abitur machen, Jana mit Hilfe der sogenannten Schulzeitstreckung erst ein Jahr später. Der Leistungssport steht aber bereits jetzt bei allen im Mittelpunkt. Acht Einheiten in der Woche sind in der Saison normal und teilen sich auf in Schnelligkeits- und Krafttraining, in Tempoläufe und in Long Runs. Bei Sarah Köcher, die auf längeren Strecken zwischen 1.500 und 5.000 Metern zu Hause ist, sind es sogar bis zu elf Einheiten.

Und trotz – oder eben wegen – des hohen Trainingsaufwands ist bei allen das Blitzen in den Augen zu sehen, wenn sie ihre Faszination für die Leichtathletik beschreiben. „Man kann sich immer neue Ziele setzen und über sich hinauswachsen“, sagt Jana. „Man kann im Wettkampf zeigen, was man sich tagtäglich erarbeitet hat“, bringt Louis den Wettkampfgedanken auf den Punkt. „Jeder hat das große Ziel Olympia“, nennt Sarah den entscheidenden Antrieb der Trainingsgruppe. „Olympia hat nach wie vor die Magie, alle vier Jahre auf den Punkt die Performance zu zeigen – das ist etwas Besonderes“, sagt Judith Wagemans. Auch das macht die Leichtathletik aus: Jeder Athlet ist für sich selbst verantwortlich und kann sich nicht hinter einem Team verstecken. Zeiten, Höhen und Weiten sind unbestechliche Fakten.

Die Rennen in Lima

Aber auch das ist Leichtathletik – es zählt das Ergebnis an Tag X: Jana Becker hätte sich aus dem Königsteiner Trio die besten Chancen ausrechnen dürfen, denn auf ihrer Paradestrecke 800 m ist sie in diesem Jahr mit 2:01,90 Minuten die mit Abstand schnellste Deutsche in der U20 und im World Ranking auf Platz sieben geführt. Doch an Tag X, den Deutschen Meisterschaften in Koblenz im Juli, reichte es – geschwächt durch eine Erkältung – nur zu Platz drei. Nur die ersten beiden sind Einzelstarter in Lima. „Da ist plötzlich eine mit einem deutschen Pass aufgetaucht, die keiner kannte“, erzählt Jana und meint die in Australien lebende Marie Celie Warneke. Deshalb ist sie „nur“ für die beiden 400-Meter-Staffelläufe nominiert worden. Jetzt will sie sich eben mit dem Team schadlos halten. „Wir wollen auf jeden Fall mit den Frauen, aber auch im Mixed, ins Finale – Staffeln sind immer eine Wundertüte.“ Dass sie die nötige Form mitbringt, bewies sie vergangene Woche beim Abendmeeting in Pfungstadt mit einer Saisonbestleistung über 400 m in 54,92 Sekunden.

Gemeinsam kann der Erfolg noch schöner sein – siehe die 4x100-Meter-Staffel in Paris mit ihrer überraschenden Bronzemedaille. Überhaupt betonen die drei Nachwuchsasse unisono „den krassen Teamspirit und das faire Miteinander“ in der Leichtathletik. „Es entstehen Freundschaften fürs Leben“, sagt Jana Becker. Wozu natürlich auch lange Trainingslager beitragen. Bereits im Winter beginnt für die jungen Leichtathleten in Südafrika die Arbeit für die Saisonhöhepunkte.

Für Sarah Köcher ist das Jahr 2024 so etwas wie eine erfolgreiche Comeback-Saison nach ihrem Pfeifferschen Drüsenfieber im vergangenen Jahr, wodurch sie vom Bundeskader in den Hessischen Kader herabgestuft wurde. Mit 9:24,55 Minuten lief die junge Frau in Pfungstadt jetzt um fünf Sekunden schneller als je zuvor über die 3.000 m. Medaillenchancen kann sie sich auch bei einem taktisch gelaufenen Meisterschaftsrennen auf dieser Distanz aber nicht wirklich ausrechnen. „Die Konkurrenz ist groß; mein Ziel ist das Finale, dort möchte ich ein gutes Rennen machen“, sagt Sarah.

Der zweite 800-Meter-Spezialist Louis Buschbeck ist gar mit einer neuen Bestleistung von 1:48,22 Minuten und damit einer Verbesserung um mehr als eine Sekunde beim letzten Härtetest in Pfungstadt nach Peru geflogen. Der Formaufbau mit Nachwuchsbundestrainer Benjamin Stalf hat auch bei ihm auf den Punkt gestimmt. Auf seiner Strecke stehen zwei Runden vor dem Finale an. „Das große Ziel ist das Halbfinale. Das Finale wird sehr schwer – in der Weltbestenliste sind viele deutlich schneller als ich“, gibt sich der 19 Jahre alte Kelkheimer realistisch. „Eine neue Bestzeit will ich aber auf jeden Fall laufen.“

Letztere ist in der Individualsportart Leichtathletik das entscheidende Kriterium. „Wenn einer seine persönliche Bestleistung erzielt und bei Olympia Achter wird, dann sollte man das auch würdigen“, sagt Judith Wagemans im Hinblick auf die losgebrochene Diskussion über den zehnten Platz Deutschlands im Medaillenspiegel von Paris und die historisch niedrigste Anzahl an gewonnenen Medaillen des gesamten deutschen Teams seit der Wiedervereinigung. Gerade aus der Leichtathletik hatte es in Person von DLV-Sportvorstand Jörg Bügner hinterher Kritik an der Bürokratisierung im deutschen Sport gegeben mit dem eingängigen Satz: „Wir schreiben Excel-Tabellen, die anderen trainieren.“ Judith Wagemans hat als ehemalige Top-Sportlerin nicht nur in der Leichtathletik, sondern auch im Handball (Regionalliga mit dem TV Hofheim) und als erfahrene Sportfunktionärin natürlich auch ihre Meinung: „Es ist nicht alles schlecht, aber es gibt massive strukturelle Probleme.“ Das größte sind für sie die Honorarverträge der Trainer, die Jahr für Jahr kündbar sind. „Ich halte Dreijahresverträge für sinnvoll, die Trainer bräuchten Planungssicherheit und eine finanzielle Absicherung.“ Eine logische Forderung: Wie sollen sich junge Sportler auf ein großes Ziel in vier Jahren vorbereiten können, wenn der erfolgreich arbeitende Trainer vielleicht nach ein oder zwei Jahren wieder weg ist?

Beim Königsteiner LV kann man daran wenig ändern, nur immer weiteren Input an Talenten an den Verband liefern. Sind es seit der Vereinsgründung allein schon durch Zugpferd Jan Felix Knobel vor allem die Mehrkämpfer gewesen, die mit großen Leistungen aufmerksam gemacht haben, so liegt der Fokus seit einigen Jahren auf den 400 und 800 Metern. Elija Ziem hat mit der 4x400-m-Staffel vor zwei Jahren bereits eine U20-WM-Medaille gewonnen (Silber), und die frühere Siebenkämpferin Elena Kelety ist über 400 m Hürden mittlerweile die deutsche Jahresbeste vor allen Olympia-Starterinnen. Und mit Jan Dillemuth, Finn Kohlenbach, Lasse Schmitt, Okai Charles, Sven Müller, Vanda Skupin Alfa, Sabrina Heil, Janne Popp und einigen mehr sitzen noch viele Talente der Altersklasse U23 in den Startblöcken zu neuen Erfolgen. Bei dieser Basis ist sicher: Die Königsteiner Leichtathleten werden noch viel von sich reden machen und mit Abschiedsgeschenken im Gepäck zu Großereignissen aufbrechen.

Im Livestream

Die Läufe in Lima können Leichtathletikfans über den Livestream, der auf www.leichtathletik.de verlinkt wird, oder direkt auf www.worldathletics.org verfolgt werden. Auf dieser Seite findet sich auch der Zeitplan. Los geht es am 27. August um 16.35 Uhr (deutscher Zeit) mit den Staffel-Vorläufen mit Jana Becker und um 19.10 Uhr mit den 800-m-Vorläufen mit Louis Buschbeck.

Ziem fehlt eine Hundertstel

Freud und Leid liegen in der Leichtathletik eng beeinander. Beim Abendsportfest in Pfungstadt meldete sich der 20-jährige Elija Ziem über 800 Meter mit einer neuen Bestleistung von 1:47,51 Minuten nach längeren Verletzungsproblemen eindrucksvoll zurück. Zunächst hatte die Stadionuhr sogar 1:47,49 ausgewiesen, was die Norm für den DLV-Perspektivkader und den Zugang zu einer erweiterten Sportförderung bedeutet hätte. Doch dann wurde die Zeit offiziell nach oben korrigiert, wodurch eine Hundertstelsekunde fehlte. Sein Teamkollege Okai Charles kam nach 1:50,59 min. ins Ziel. Darüber hinaus waren für den KLV in Pfungstadt noch über 400 m Janne Popp (56,70 sek.) und Vanda Skupin-Alfa (57,65 sek.) sowie Christoph Schrick über 1.500m (3:46,98 min.) am Start

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