Mahnendes Gedenken auf dem Synagogenplatz

Andrew Steimann, erst kürzlich für seinen Einsatz um die Verständigung zwischen den Religionen mit der Ehrennadel der Stadt Königstein ausgezeichnet, betete und sang das jüdische Totengebet „El male rachamim“. Gemeinsam erteilten die drei Geistlichen den Aronitischen Segen. Foto: Colloseus

Königstein (kw) – Viele Königsteiner Mitbürger haben die beängstigenden Zeichen der Zeit erkannt. Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit trüben unser von einer schlimmen Vergangenheit geprägtes Land. Der elementare Wunsch unserer Gesellschaft auf ein friedvolles Zusammenleben mit Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft, Hautfarbe und Religion wird zunehmend von Aggression und Gewalt überschattet.

Mit Psalm 137 „Heimweh nach dem Zion in der Verbannung“, in Hebräisch durch den Rabbiner Andrew Steimann vorgetragen, begann am vergangenen Sonntag das Gedenken an die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938.

In Königstein kam es am 10. November mit der Schändung der am 13. September 1906 geweihten Synagoge im Seilerbahnweg und mit Ausschreitungen gegen jüdische Mitbürger zu den schwärzesten Stunden der Stadt. Die menschenverachtende Spirale von Hass und Gewalt durch die Nationalsozialisten hatte endgültig Einzug gehalten. Bürgermeister Leonhard Helm konnte am Synagogendenkmal im Kurpark eine stattliche Zahl von Bürgern zum Gedenken begrüßen. Der sehr ansprechend neu gestaltete Synagogenplatz hat eine Pflasterung erhalten, die den traditionellen siebenarmigen jüdischen Leuchter, die Menora, symbolisiert.

Licht der Erinnerung

Bürgermeister Helm gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass das Licht der Erinnerung nie mehr verlöschen möge. Hans-Dieter Vosen vom Vorstand für Christlich Jüdische Zusammenarbeit im Hochtaunus stellte in einer Lesung die im Grundgesetz verbürgte Unantastbarkeit der Menschenwürde in den Fokus. Stadtverordnetenvorsteher Alexander Freiherr von Bethmann beklagte in seiner Ansprache die steigende Zahl antisemitischer Übergriffe wie zuletzt in Halle. Er forderte dazu auf, dem mit Mut beherzt entgegenzutreten.

Königstein völlig judenfrei …

Was sich nach 1933 durch die Nazis gegen jüdische Mitbürger, mit denen man zuvor in harmonischer Koexistenz und gegenseitiger Achtung zusammenlebte, an Repressalien, Demütigungen, Nötigungen zur Emigration und Deportationen in die Vernichtungslager entwickelte, zeichnete Königsteins Stadtarchivarin, Dr. Alexandra König, beeindruckend am Beispiel der Familie Cahn nach. Lebten 1933 mit Hauptwohnsitz 73 Glaubensjuden in Königstein, so meldete die Presse, nachdem am 28. August 1942 die beiden letzten jüdischen Bürger festgenommen und am 1. September von Frankfurt aus nach Theresienstadt deportiert wurden, lapidar „Dieser Tage haben die letzten hier noch ansässigen Juden Königstein verlassen, sodass Königstein jetzt völlig judenfrei ist.“ Auf die vom Magistrat der Stadt Königstein herausgegebene umfassend erweiterte Neuauflage der im Buchhandel erhältlichen Dokumentation „Juden in Königstein“ sei aufmerksam gemacht.

Grundtrauma

Pfarrerin Katharina Stoodt-Neuschäfer von der evangelischen Immanuelgemeinde unterstrich in ihrer Ansprache: „Die Heimat zu verlieren, wie es jüdische Bürger während der Nazizeit auf schreckliche Weise erleiden mussten, denen Wohnung, Nachbarschaft und Arbeit geraubt und der bürgerliche Status aberkannt, deren Freundschaften zerbrachen, denen alle Lebensmöglichkeiten kultureller und sozialer Art weggenommen wurden; Menschen, denen man ihre Leistung aberkannte, Hab und Gut wegstahl, die in dem Land, für das sie als Soldaten gekämpft und als Angehörige solcher Soldaten für Deutschland gespendet und gesammelt hatten, die also mit der Heimat ihre eigene Lebensgeschichte verlieren und den Sinn ihres Lebens hergeben sollten, der doch unter anderem in einer starken Vernetzung zwischenmenschlicher Art besteht, Heimat so zu verlieren, das ist ein Grundtrauma, das uns immer beschäftigt. Uns, die Nachfahren der Täter, uns, den solidarisch Mitleidenden, uns, den heute für unsere politische Kultur gemeinsam Verantwortlichen.“

Geschärfte Aufmerksamkeit

Stoodt-Neuschäfer mahnte nachdrücklich geschärfte Aufmerksamkeit gegen den Ungeist von Rassismus und Nationalismus an. Dazu gehören der Mut und der Einsatz, unsere Demokratie zu vertreten, stark zu machen und mit Leben zu füllen.

Pfarrer Stefan Peter von der katholischen Pfarrei Maria Himmelfahrt im Taunus drückte in einer seiner Fürbitten aus: „Wir schauen auf die Juden in unserem Land und in Europa, die heute wieder Angriffe und Hass erleben müssen. Wir denken an den Anschlag in Halle und bitten dich Gott für dein Volk: Schenke ihm Frieden und Sicherheit. Mach uns alle wachsam gegen den schleichenden Antisemitismus heute.“

Pfadfinder legten weiße Rosen

Nach jeder der sieben Fürbitten legten Pfadfinder an den Leuchtern der Menora eine weiße Rose ab. Andrew Steimann, erst kürzlich für seinen Einsatz um die Verständigung zwischen den Religionen mit der Ehrennadel der Stadt Königstein ausgezeichnet, betete und sang das jüdische Totengebet „El male rachamim“. Gemeinsam erteilten die drei Geistlichen den Aronitischen Segen.

Manfred Colloseus

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