Königstein (as) – Es fühlt sich an wie eine Zeitreise. Die bunten Flaggen zeigen schon von Weitem, dass die Königsteiner Burg wieder bewohnt ist. Spätestens nach drei, vier Schritten durch das Burgtor ist man unter Gewandeten in feinen Kostümen, Ritter in blitzenden Rüstungen kreuzen zu Fuß und hoch zu Ross den Weg, die Knappen und das Fußvolk in ihrem Gefolge. Und überall Zelte und Lager, Händler und Stände, an denen das klassische Handwerk wie das des Steinmetzes, das Scherenschleifen oder das Töpfern lebendig werden. Und ein wenig auch die alte Sprache mit der bevorzugten Nutzung des Buchstabens „y“: Ein „Seyd gegrüßt“ entbieten die Ritter von Königstein ihren Gästen, wenn sie wie am vergangenen Wochenende auf der Königsteiner Burg zum Ritterturnier laden.
Das Besondere, das die Königsteiner Veranstaltung, die bereits zum 24. Mal stattfand, über die wachsende Zahl der Mittelaltermärkte hinaushebt, ist neben dem fast authentischen Ambiente in einer der größten und schönsten Burgruinen Deutschlands das namengebende Turnier der Ritter, das einmal am Samstagabend im stimmungsvollen Fackelschein und zweimal am Sonntagnachmittag auf der großen Festwiese im Burginneren stattfindet. Die mit den Königsteinern eng befreundeten „Württemberger Ritter“ messen sich beim „Turney“ in allerlei mittelalterlichen Wettbewerben vom Lanzenstechen über das Rolandreiten bis hin zum makaber klingenden Hälseschlagen – mit dem Unterschied, dass heute dabei niemand mehr zu Schaden kommt und das an beiden Tagen zu mehreren Tausenden angereiste Volk (trotz oder auch wegen viel Barbarei in der Welt) sich in der Neuzeit lieber unblutig unterhalten lässt. Denn die Ritter sind für die meisten Kinder, von denen am Familien-Sonntag wieder sehr viele auf die Burg gekommen sind, noch immer Helden aus Zeiten der Artussage, verkörpern das Ritterliche, Tapferkeit, Tugendhaftigkeit und Würde.
Michael von Grafeneck in roter Kostümierung, Allister O’Brian im Grün Irlands, Siegmund von Ottenburg in Schwarz-Weiß und Justus von den Illerauen hießen die Großmütigen, die der Herold der Württemberger Ritter, Elias von Kirchberg, dem Publikum anpries. Großer Jubel und Unterstützung des Volks auf dem prall gefüllten, stadionartigen Hügel zum inneren Burghof. Und wie es die Neuzeit so will, verbarg sich hinter den Namen, Helmen und Rüstungen sogar die eine oder andere Reiterin. Aber es gab ja auch schon die heilige Jeanne d’Arc in Ritterrüstung – warum also nicht?
Die vier Ritter boten ein kurzweiliges Spektakel, auch wenn nicht jeder Hieb, Schlag oder Wurf ein Volltreffer war – für zusätzliche Unterhaltung sorgte das Fußvolk mit Raufereien und Witzen auf Kosten des jeweils anderen. Für den Sieg nach Punkten durfte sich am Sonntagmittag Michael von Grafeneck auf Drago vom Publikum huldigen lassen, und als optischer Höhepunkt bewiesen beim Ritt durch das Feuer Ross und Reiter ihre Tapferkeit.
Oben im Burghof haben die Königsteiner Ritter ihren Getränkestand aufgebaut, und natürlich werden Met und Wasser aus Tonkrügen getrunken. „Es läuft bombe“, sagt Holger Hunkel, der als 1. Ritter an diesem Wochenende auf das Pseudonym „Le Savant vom Woogtal“ hört. Ganz besonders das Eröffnungsgelage am Freitagabend im privaten Kreis mit den Württemberger Rittern werde lange in Erinnerung bleiben. „Wir haben drei Fässer Bier getrunken und ein Spanferkel gegrillt“, erzählt Holger von der Einstimmung auf das Wochenende. Und seitdem die Burg ihre Pforten für das „normale“ Volk geöffnet hat, verlaufe für die Ritter mit ihren rund 80 Helfern „alles reibungslos, der Dienstplan ist randvoll, und jeder weiß, was zu tun ist“. Die Ritter konnten sich wie immer voll auf die unterstützenden Vereine wie den Burgverein, die Plaschis, die Rock AG und den großen Freundeskreis verlassen, im Gegenzug sind sie bei deren Veranstaltungen natürlich auch zur Stelle. Auch der Hessische Rundfunk, der mit Tobi Kämmerer im vergangenen Jahr so präsent war auf der Burg, berichtete wieder in der Hessenschau und im Vorabendprogramm bei „Maintower“. Der Name „Ritterturnier“ bleibt ein Zugpferd – und nächstes Jahr beim Jubiläum wird sicher auch wieder einiges geboten.
Der „Wissende“ – das Pseudonym „Le Savant“ drückt es aus – wird aber auch nachdenklich und reist in der Zeit wieder voraus in die weniger romantisierte Gegenwart. Selbst bei einem spannenden Thema wie den Rittern, das noch immer die Kinder fasziniert, sei es sehr schwer geworden, Nachwuchs zu finden. Der Transport und der Aufbau auf der Burg, wo Material über längere Wege getragen werden muss, sind harte Arbeit, das Schlafen in Zelten auch eher eine Romantik, zu der sich die älteren Generationen hingezogen fühlen. Drei Tage dauert der Aufbau, und mit dem Abbau musste auch direkt nach Schließung der Burg am Sonntag um 18 Uhr begonnen werden. Dass die Moderne Einzug gehalten hat und die Ritter nicht ohne Gabelstapler, Akkuschrauber, Kabelbinder und Funkgerät auskommen, wenn sie ein Großereignis wie das Ritterturnier stemmen, darf dann zumindest mal erwähnt werden. Man muss es nur gut verstecken können, wenn man sich zwei Tage lang auf Zeitreise ins Mittelalter begibt ...