Neurowissenschaftler Dr. Henning Beck versteht das Gehirn

Königstein
(mk) – Mit seinem etwa einstündigen Vortrag „Lernst du noch oder verstehst du schon?“, der kürzlich im Taunusgymnasium stattfand, stimulierte der studierte Biochemiker, promovierte Neurowissenschaftler und Autor Dr. Henning Beck durchaus einige Gehirnzellen an diesem Abend. Dies konnte man an der ausgelassenen Stimmung im Saal, aber auch an der stetigen Begeisterung im Publikum erkennen. Dr. Henning Beck wandte also sein vermittelndes Wissen auch während des Vortrags an – was beweist, dass richtiges Verstehen und vor allem richtiges Vermitteln von Wissen funktioniert (zumindest in den meisten Fällen). Viele Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, aber auch Interessierte außerhalb der Schule waren gekommen und sichtlich neugierig und gespannt auf den äußerst humorvollen und gleichzeitig wissenswerten Vortrag.

Wie funktioniert das Gedächtnis?

„Wissen entsteht, wenn Ihr Gehirn ein Konzept von den Dingen aufbaut. Die einzelnen Zeichen, die Daten, die Buchstaben, die Wörter. Sie nutzen Sinneseindrücke, um eine Hypothese zu entwickeln – wenn Sie es wollen, wie die Welt sich entwickelt. Daten an sich sind tote Materie. Man kann Daten messen, aber man kann kein Wissen, keine Ideen messen“. Mit diesem Einstieg erklärte der Neurowissenschaftler zunächst den wichtigen Aspekt, dass „KI“ (Künstliche Intelligenz) niemals den Menschen mit seinem Denken ersetzen könne – welch beruhigender Einstieg.

Die allermeisten Prozesse im Gehirn geschehen unterbewusst. Als Metapher nannte er ein Konzert, bei dem ein Orchester spielt: „In einem Orchester ist es ähnlich wie bei einem Gehirn. Die Musik, die Melodie, entsteht, wenn die Leute anfangen, miteinander zu spielen. Die Musik ist aber nicht greifbar. Wenn ich ein Gehirn aufschneide, werde ich auch keine Gedanken finden.“ Ein Gedanke, eine Erinnerung, eine Idee oder Emotion sei die Art und Weise, wie Nervenzellen („das Orchester im Gehirn“) zusammenwirken und einen gewissen Zustand erzeugten. Der große Unterschied zum wirklichen Orchester bestehe darin, dass es keinen Dirigenten im Gehirn gäbe. Das könne bei circa 80 Milliarden Nervenzellen schon mal unübersichtlich werden, so Beck. Um extrem schnelles Wissen zu erzeugen, greife das menschliche Gehirn aber auf eine „mentale Geheimwaffe“ zurück: Das „konzeptionelle Denken“, also in Kategorien denken, oder auch „Schema-Denken“ genannt. Um dies zu versinnbildlichen, wurden verschiedene Bilder von Stühlen gezeigt. Im Gegensatz zur KI erkennt das menschliche Gehirn aber sofort, dass man ebenso gut auch auf einem Gummiball Platz nehmen kann (es braucht keine vier Beine, um auf einer Sitzmöglichkeit sitzen zu können). „Dieses Beispiel zeigt: wenn der Mensch mal etwas gelernt hat, kann er dieses wieder verlernen (Vokabeln). Hat er aber einmal etwas verstanden, kann er dies nicht mehr ‚ent-verstehen‘.“ Die vielleicht wichtigste Eigenschaft des 21. Jahrhunderts nennt der renommierte Gehirnforscher „die Fähigkeit, Informationen in einen neuen Zusammenhang zu stellen“. Informationen zu konzeptualisieren und tatsächlich etwas Neues damit zu entwickeln – ein Denkmuster aufzubauen und auf eine neue Situation zu übertragen, dies sei „Wissen“.

Was bedeutet „Wissen-schaffen“?

Wissen bedeute also im ersten Schritt, zu verstehen, um was es geht, und die Kunst, gute Fragen zu stellen. Denn gute Fragen seien viel wichtiger, als Antworten zu geben, so Beck. Gute Wissenschaft erkenne man daran, gute Fragen zu stellen, die vorher kein anderer gestellt hat (aktuell: die Nobelpreisträger). Als Henning Beck seinen „International Diploma-Abschluss“ in Projektmanagement an der University of California in Berkeley absolvierte, waren ‚brainstormings‘ in der Regel dazu da, um in einer Gruppe so viele (wenn möglich gute) Fragen zu finden. „Je mehr Fragen gestellt werden, desto größer ist auch die Möglichkeit einer Konzeptfindung, Informationen in einen neuen Zusammenhang zu stellen. In einer Gruppe wirkt das dynamisch: je mehr Leute in einem Raum, desto größer auch die Vielfalt an Ideen, Interpretationen und Austausch. „Wir leben in einer Zeit, in der es einfach geworden ist, Informationen zu konsumieren. Noch nie in der Geschichte gab es das. Genauso wichtig ist es aber deshalb, Informationen zu hinterfragen und zu ‚überdenken‘, sich mit den Dingen auseinander zu setzen.“

In mehreren Studien wurden auch die verschiedenen Arten zu lernen untersucht und wie es gelingen kann, in Zukunft noch effektiver zu lernen beziehungsweise „zu verstehen“. Dabei erläuterte Henning Beck zwei Arten zu lernen: Die Methode des Wiederholens. Dabei wird das zu Erlernende immer wieder geschrieben oder förmlich „eingetrichtert“ (Beispiel: Buchstaben, Vokabeln, eine neue Sprache). Bei dem „Konstruktionsprinzip“ hingegen geht man anhand eines einmaligen Beispiels in einen „Ausprobiermodus“. Das heißt, man versucht etwas Neues, macht vielleicht Fehler – und genau dies führe dann zu einem Ergebnis. „In Silicon Valley hing ein riesiges Plakat mit der Aufschrift: There is no right or wrong – there is only make!” Übersetzt: Ausprobieren, Fehler machen, daraus lernen. Es gibt hierbei kein falsch oder richtig.

Was man noch vom Gehirn lernen könne, um Herausforderungen schneller zu lösen oder neue Ideen zu entwickeln: dem Gehirn „Denkpausen“ geben. Beck erläuterte dies so: „Anders als bei Computern gibt es keine Festplatte im Gehirn. Untergeordnete Informationen wie Sinneseindrücke werden in der Regel gefiltert (Ausnahme: der Geruchssinn). Man fokussiert sich und schweift auch mal mit seinen Gedanken ab. Das tun wir alle! Es gibt eine sogenannte ‚Zwischenstation‘: hier werden wichtigste, neueste, besonders emotionale oder unerwartete Sinneswahrnehmungen verarbeitet und abgespeichert – besonders in der Nacht, während wir schlafen. Nervennetzwerke werden insbesondere im Großhirnbereich ‚aktiviert‘, damit ein Muster beim nächsten Mal leichter ausgelöst werden kann. Lernen ist also ein ‚Anpassungsmerkmal des Gehirns‘, was es ermöglicht, Informationen immer energiesparender verarbeiten zu können.“

Das „Schema-Lernen“

Um beispielsweise das Aussehen einer exotischen Frucht zu erlernen (kennen Sie die Noni-Frucht?) oder den Malstil eines bestimmten Künstlers zu erkennen, gibt es wieder die Möglichkeit, sich anhand von Bildern die Frucht oder den Malstil „einzutrichtern“. Es gibt also hierbei nur eine Möglichkeit, die vorgegeben wird. Unterscheidet man jedoch die exotische Frucht von anderen Früchten oder den Malstil des einen Künstlers von anderen Künstlern, lasse sich in Studien beobachten, dass die „Vergleichsvariante“ zu schnelleren Lernergebnissen führe, so Beck. Dies sei mit ein Grund, warum Projekte in der Schule sehr stark davon profitierten, wenn verschiedene Disziplinen zum Teil vermischt würden, weil Menschen dadurch Grenzflächen erkennen und bestimmte Dinge abgrenzen, jedoch auf das „große Ganze“ zurückführen könnten.

Unser Umfeld/unsere Umgebung ist entscheidend. Wie sieht also die bestmögliche Umgebung zum Lernen aus? Dazu müsse man zunächst unterscheiden, dass es verschiedene Dimensionen des Denkens gäbe. In der Neuropsychologie bedeute dies, dass man ‚wach, bei der Sache, aufmerksam, fokussiert, nicht abgelenkt‘ ist. Auch die Tagesstruktur oder der Ort des Lernens spielen eine große Rolle. Seit der Pandemie wissen wir: Raum und Konzentration sind wichtig. Aber es sollte auch ein Wechsel sein zwischen konzentrierten Phasen, Austausch mit anderen und „Nichts-Tun“ – Pausen machen. Clevere Pausen bedeuten, in der Zeit nicht kognitiv angestrengt zu sein. Zwischendurch Musik hören, essen oder frische Luft schnappen zum Beispiel.

Fazit

Das Gehirn mag keine Langeweile. Durch Rätsel oder das „Neugierigmachen“, Humor und Fragen stellen, selbst aktiv werden können lernt man nicht nur, sondern versteht besser und schneller. Künstliche Intelligenz kann unterstützend wirken, wird aber niemals das menschliche Gehirn ersetzen können. „Die cleversten Menschen, die ich in Kalifornien getroffen habe und die Milliarden damit verdient haben, dass sie all diese Geräte nutzen, erkennt man daran, dass sie alle ein Hobby haben, bei dem man nicht erreichbar ist“, so Henning Beck. „Das kann Radfahren sein, Surfen, mit dem Hund raus gehen oder ein Raum sein. Man sollte einen Bereich haben, der analog ist, und eine Balance zwischen digital und analog schaffen. Und: Ich kann den besten Unterricht der Welt an einer Schiefertafel geben und ich kann den schlechtesten Unterricht der Welt an einer PowerPoint-Präsentation machen.“

Es sei keine Frage der Technik, sondern eine Frage, wie man die Leute anspricht und abholt. Viel wichtiger sei auch, die Leute zu trainieren, sich auf neue Situationen einzustellen. Die Fähigkeit, über den Tellerrand hinauszuschauen, Informationen miteinander zu verzahnen und eine Gesamtstruktur erkennen zu können. „Komplexe Herausforderungen wie Klimawandel, Finanzmärkte oder Krisen bekommt man nur so gelöst“, resümierte der Neurowissenschaftler am Ende dieses lehrreichen Abends. Mehr Informationen zu Dr. Henning Beck und seinen Vorträgen unter:www.henning-beck.com.

Dr. Henning Beck begeisterte das Publikum mit Wissen und Humor.
Foto: Kuschel



X