Politik zum Anfassen: Diskussionsrunde an der SAS mit sieben Bundestagsanwärtern und zwei heimlichen Stars

Die 2-plus-7-Gespräche (v.r.): Hannah Naumann und Luise Greiner vom Q2-Leistungskurs Politik und Wirtschaft der St. Angela-Schule diskutieren mit Christian Douglas (AfD), Norbert Altenkamp (CDU), Bettina Stark-Watzinger (FDP), Anna Lührmann (Grüne), Dieter Falk (SPD), Fiona Byrne (Volt) und Thomas Völker (Die Linke). Fotos: Schramm

Königstein (as) – Wie wird Deutschland wirtschaftlich wieder erfolgreich und schützt dabei die Umwelt, wie verhält es sich in den zunehmend aggressiveren internationalen Beziehungen, was muss Bildung in Zukunft leisten und wie findet sich beim Thema Migration ein Kompromiss zwischen den verhärteten Fronten?

Ein Live-Erlebnis, wie eine politische Debatte im Bundestag funktioniert und für was die wichtigsten Parteien vor der Bundestagswahl am 23. Februar stehen, gab es für die Schülerinnen der St. Angela-Schule am vergangenen Freitag. Statt der Unterrichtsstunden drei und vier konnten sich die Mädchen und jungen Frauen ab Klasse acht bei einer Podiumsdiskussion einen Eindruck machen von den Direktkandidaten des Wahlkreises 180 Main-Taunus, zu dem auch Königstein zählt. Und gekommen waren (fast) alle: Norbert Altenkamp (CDU), der seit zwei Legislaturperioden Inhaber des Direktmandats ist, die ehemalige Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), die Staatsministerin für Europa im Auswärtigen Amt Anna Lührmann (Grüne) sowie Thomas Völker (Die Linke), Fiona Byrne (Volt) und Christian Douglas (AfD). Nur die Frau mit dem zurzeit gewichtigsten Amt, Bundesinnenministerin Nancy Faeser von der SPD, musste sich entschuldigen lassen und wurde von Dieter Falk vertreten, einem altgedienten Sozialdemokraten mit 45 Jahren Parteizugehörigkeit, der vor zwölf Jahren noch selbst für das Direktmandat angetreten war. Bei zwei von ihnen, Stark-Watzinger und Byrne, gab es ein Wiedersehen: Sie hatten ihr Abitur an der SAS gemacht.

Inhaltlich und organisatorisch vorbereitet wurde die Diskussion durch den Q2-Leistungskurs Politik und Wirtschaft (PoWi) von Lehrerin Tanja Hartmann. Aus diesen Reihen kamen auch die vier Protagonistinnen des Tages: Luise Greiner und Hannah Naumann, die die Diskussion auf dem Podium moderierten, sowie Sophia Laumeyer und Lisa Wilczek, an der Zeitnahme ausgestattet mit gelber und roter Karte, um die Redezeit pro Antwort auf 90 Sekunden zu begrenzen. Um es vorwegzunehmen: Beide Duos machten eine tolle Arbeit und ermöglichten eine Diskussion, in der fast die kompletten 90 Minuten über wirklich die Inhalte gegenüber dem parteitaktischen Geplänkel im Vordergrund standen. Auch die Mitschülerinnen wurden von Anfang an zu Fairness ohne Zwischenrufe aufgefordert, der Applaus als Meinungsbekundung sollte vollkommen ausreichen. Nicht jeder prominent moderierte Polit-Talk im Fernsehen schafft das so hervorragend.

Locker und offen, wie es unter Jugendlichen eben zugeht, startete die Kennenlernrunde mit einem „Blitzgewitter“, bei dem die Politiker bei der Wahl einer von zwei Alternativen schon einiges preisgeben sollten, für was sie persönlich, ein Stück weit aber auch ihre Partei, stehen. „Auto oder ÖPNV?“. Dreimal Auto, dreimal ÖPNV, einmal (Falk) „beides“ – hier konnte man im politischen Spektrum noch so tippen. Die Frage „Wahlalter 16 oder 18 Jahre?“ – logisch an einer Schule: Fünfmal 16 (bei der AfD allerdings parallel zur Strafmündigkeit), zweimal 18 bei der CDU und der FDP, zumindest in Bezug auf eine Bundestagswahl. „EU oder nationale Souveränität?“ Viermal EU, einmal von Fiona Byrne sogar „europäische Republik“, nur einmal „nationale Souveränität“ – auch das ein sicherer Tipp!

Gerechtigkeit oder Freiheit?

Mit diesem unterhaltsamen Auftakt waren die Weichen gestellt für Runde zwei: die Priorität bei der Politik für junge Menschen, die aktuell größte Herausforderung und das wichtigste zu schaffende neue Gesetz jeweils in ein Wort zu fassen (was für Politiker immer eine Herausforderung darstellt). Mit „Generationengerechtigkeit“ (Byrne), „Wohnmöglichkeiten“ (Falk), „beste Bildung“ (Stark-Watzinger und Altenkamp) und „Freiheit“ (Douglas) wurde im Hinblick auf die junge Generation mit einer durchaus großen Bandbreite geantwortet. Bei der Frage nach der größten Herausforderung setzten Völker mit „Krieg und sozialer Gerechtigkeit“, Lührmann mit „Klimakrise, Putin und Desinformation“ sowie Altenkamp mit dem „dramatischen demografischen Wandel“ einige Ausrufezeichen. Und mit einem neuen Gesetz würden Byrne und Stark-Watzinger am liebsten in Sachen „flächendeckende Verwaltungsdigitalisierung“ investieren, Altenkamp in eine „Steuersenkung für eine Mehrheit“.

Damit waren die politischen Felder schon einmal bereitet für die sich anschließende Detaildiskussion zu den vom PoWi-Leistungskurs ausgesuchten Politikfeldern. Bei den Themen Wirtschaft samt Fachkräftemangel, Umweltpolitik, Internationale Beziehungen, Migration und die „Brandmauer“ sowie Bildung hatte jeder Parteivertreter die Chance, mindestens einmal zu Wort zu kommen. Aber nicht immer auf die Ausgangsfrage; die beiden Moderatorinnen drehten durch geschickt eingestreute Zusatzaspekte wie etwa Lebenshaltungskosten und soziale Gerechtigkeit beim Thema Wirtschaft die Diskussion immer wieder ein Stück weiter und konnten so auch pointiert die einzelnen Parteien mit ihren Lieblingsthemen wahlweise abholen oder auch herausfordern. So blieb die Diskussion jederzeit lebhaft und informativ.

Um einige wenige Punkte herauszugreifen (die Parteiprogramme verraten die Details): In Sachen Wirtschaft sind sich alle Parteien einig, dass etwas passieren muss, um das G20-Wachstumsschlusslicht Deutschland wieder wettbewerbsfähig zu machen. Nur die Wege dorthin unterscheiden sich zwischen den Parteien, zwischen neuen und alten Industrien, zwischen Innovation und Tradition mitunter deutlich, wobei auch das Thema Zuwanderung als Antwort auf den Fachkräftemangel erörtert wurde. Dass Flüchtlinge Zugang zu Sprache und Qualifikation benötigen, wurde mehrfach betont, Stark-Watzinger legte zudem den Fokus darauf, dass zu viele junge Menschen ohne Abschluss die Schule verließen und damit schlechtere Startmöglichkeiten für die berufliche Laufbahn hätten. Douglas forderte darüber hinausgehend ein „Einwanderungsmodell nach kanadischem Vorbild“, also eine legale Einwanderungsmöglichkeit über bereits vorhandene Qualifikationen.

Dass Wirtschaftspolitik die Umwelt nicht außer Blick lassen sollte, was derzeit in vielen Ländern der Welt passiert, machte Anna Lührmann mit der Forderung des Ausbaus der Netze und der Speichertechnologie für regenerative Energieträger deutlich, deren Anteil am Energiemix in ihrer 22-jährigen politischen Karriere von zehn auf 60 Prozent gestiegen sei. „Die Technik ist da, aber wir waren viel zu langsam“, so Lührmann. Stark-Watzinger setzte sich für Verschmutzungszertifikate und weitere Lösungen wie CO2-Speicher ein. „Es bringt nichts, wenn wir verarmen und um uns herum schmutzige Energie boomt.“ Nur Völker wollte beim „grünen Kapitalismus“ nicht mitgehen, es müssten „harte Linien“ eingezogen werden, etwa das Verbot von Kurzstreckenflügen.

„Raus aus der Nato?“ lautete die provokante Einstiegsfrage ins Thema internationale Beziehungen. Überall ein Nein, zweimal mit „Aber“: Völker würde die Nato durch ein Sicherheitssystem ersetzten, das nicht auf militärische Zusammenarbeit setzt. Deshalb lehnt die Linke auch Waffenexporte generell ab. Byrne wünscht eine „gemeinsame europäische Außenpolitik“. Douglas sprach als einziger von der Wiedereinführung der Wehrpflicht und einem „europäischen Verteidigungsbündnis“, in der NATO wolle die AfD „mittelfristig“ bleiben.

Brandheiß wurde es einmal während der 90 Minuten – natürlich bei der „Brandmauer“ gegenüber der AfD bei den Abstimmungen zur Migrationspolitik (Merz’ Fünf-Punkte-Plan) im Bundestag. Hier bekamen sich CDU/FDP auf der einen und SPD/Grüne auf der anderen Seite doch noch in die Haare, ob nun der CDU-Vorsitzende die anderen Parteien erpresst oder die SPD aus wahlkampftaktischen Gründen gegen gleichlautende Formulierungen im eigenen Wahlprogramm gestimmt und eine „Mehrheit aus der demokratischen Mitte“ (die sich Altenkamp gewünscht hätte) verhindert habe. Lührmanns wohl treffendste Analyse dazu lautete: „Sie haben die Tür zur Macht der AfD einen klitzekleinen Spalt aufgemacht.“ Wie man sie wieder zubekommt? Falk äußerte trotz der Vorwürfe („Es ist Porzellan zerschlagen worden“) die Hoffnung, dass man ab dem 24. Februar auch zu diesem Thema wieder miteinander sprechen werde. Mehrfach kam der Verweis auf die „österreichischen Verhältnisse“, wo demokratische Parteien keinen Konsens mehr finden konnten und nun eine rechte Partei den Kanzler stellen wird. Das gelte es in Deutschland unbedingt zu verhindern, so Mehrheitsmeinung. Nur Völker machte bereits klar, dass die Linke die einzige Partei auf dem Königsteiner Schulpodium sei, die Friedrich Merz nicht zum Bundeskanzler wählen werde.

Juniorwahl an der Schule

Kompromisse auch bei schwierigen Fragen zu suchen und zu finden war dann wohl auch das größte Lehrstück für die Schülerinnen während dieser 90 Minuten – und bleibt somit auch eine andauernde Forderung und Erwartung an die Politik, die jede Neuwählerin, ja jede Bürgerin und jeder Bürger dieses Landes haben dürfen. „Wählt, bleibt unangenehm und bleibt neugierig“, forderte Tanja Hartmann alle Schülerinnen zum Abschluss der Diskussionsrunde auf. Sie dürfte erhört werden. Aus den älteren Jahrgängen werden einige am 23. Februar an die Wahlurne dürfen. Und in der Woche davor findet in der St. Angela-Schule für alle Schülerinnen ab der achten Klasse die „Juniorwahl“ statt. Das ist eine deutschlandweite Initiative des gemeinnützigen Vereins Kumulus zur Demokratieförderung, an dem die SAS zum ersten Mal teilnimmt.

Für das Ausgangsstatement der Diskutanten hatte es übrigens bei allen Parteien Applaus von den Schülerinnen gegeben – mehr oder minder starken mit hörbaren Vorteilen für Anna Lührmann. Den mit Abstand größten aber bekamen Luise Greiner und Hannah Naumann von ihren Kurskameradinnen mit „mega, sehr krass und voll gut“. Thomas Völker applaudierte mit „Das war richtig gut“, und Bettina Stark-Watzinger meinte: „Es war super, wie Ihr uns im Griff hattet.“

Wenn Politikerinnen und Politiker von sich aus loben, dann hat das nicht immer mit Taktik zu tun ...

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