Verein „Herzen für eine neue Welt“: Notlinderung und neue Botschafterin

In abgelegenen Gemeinden Perus ist die Not durch die monatelangen Einschränkungen zur Eindämmung des Coronavirus besonders dramatisch. In diesem Wissen verteilte der peruanische Partnerverein der Königsteiner „Herzen für eine neue Welt“ Pakete mit Lebensmitteln und Toilettenpapier an Familien, die während der strikten Quarantäne keine eigenen Möglichkeiten hatten, sich selbst zu versorgen. Foto: privat

Königstein (pu) – Während ein halbes Jahr nach Bekanntwerden des ersten Corona-Falls in Deutschland zum aktuellen Zeitpunkt ein Stück weit „Normalität unter außergewöhnlichen Umständen“ eingekehrt ist, kämpfen Bevölkerungen andernorts mit weitaus folgenschwereren Umständen. Beispielsweise in Peru, das mit der Burgenstadt seit über zwei Jahrzehnten durch das Herzensprojekt des hiesigen Vereins „Herzen für eine neue Welt“ in besonderer Weise verknüpft ist.

Neben Brasilien hat sich Peru zum zweiten Corona-Sorgenfall in Südamerika entwickelt, obwohl die Regierung schon mit Wirkung vom 16. März den nationalen Notstand verhängte. Seit 1. Juli ist die zuvor umfassende Ausgangssperre etwas gelockert; sie gilt nur noch für Kinder bis zu 14 Jahren und für über 65-Jährige. Die sonntägliche Ausgangssperre besteht nur noch in sieben Regionen. Ungeachtet dessen bleiben nach aktuellem Stand der Dinge die Schulen bis Ende des Jahres geschlossen, die Kinder werden über den öffentlichen Fernsehkanal unterrichtet.

Trotz dieser strikten und einschneidenden Maßnahmen waren Ende Juli mittlerweile fast 400.000 Infektionsfälle registriert, und ein Ende dieser dramatischen Entwicklung ist noch nicht absehbar. Die mittlerweile über vier Monate währenden Einschränkungen treffen die peruanische Bevölkerung bis ins Mark. Vor allem die Ärmsten der Armen, die schon vor der Covid-19-Pandemie Tag für Tag ums Überleben kämpften und , falls überhaupt, ein geringes Einkommen hatten.

Maßnahmen

Dies vor Augen setzt der Verein „Herzen für eine neue Welt“, dessen Zielsetzung es war und ist, unter der Prämisse „Hilfe zur Selbsthilfe“ die Lebensbedingungen der Landbevölkerung und vor allem der Kinder im Chicún-Tal in den Anden Perus nachhaltig zu verbessern, alles daran, im Rahmen seiner aktuellen Möglichkeiten Not zu lindern. Mangels der Option, selbst ins Projektgebiet reisen zu können, fließen vor allem finanzielle Mittel zum 1998 parallel aus der Taufe gehobenen Trägerverein „Corazones para Peru“, damit dessen Mitglieder teils dort helfen können, wo ansonsten jedwede Unterstützung fehlen würde. Direktorin Rossina Estrada Ccucho, die, wie berichtet, im Februar erstmals in Deutschland weilte, um mit den deutschen Vereinsmitgliedern die Marschroute für die nächsten Monate abzustecken, bevor die Corona-Pandemie sämtliche Planspiele auf Eis legte, Kinderdorfleiterin Lourdes Ibarra Fabre und der Verantwortliche im Bereich Bildung, Hernando Ramirez Rosa, wohnen seit März im Kinderdorf Munaychay. Das Projekt-Herzstück bietet zwischen 60 und 70 Kindern, die verwaist sind oder einfach verlassen wurden, ein Zuhause. Das Trio will in dieser kritischen Zeit noch näher als sonst am Geschehen sein. Zusammen mit Betreuern, Psychologen und Angestellten stemmen sie anfallende Mehrarbeit, nachdem durch die coronabedingt notwendig gewordene vorzeitige Rückkehr der Freiwilligen aus Deutschland, die noch bis einschließlich Juli im Kinderdorf ihren einjährigen Freiwilligendienst geleistet hätten, und weiteren deutschen Mitarbeitern, Lücken im Team entstanden, die momentan auch nicht durch Neuanstellungen gefüllt werden können. Neben Mehrkosten durch die Anschaffung der zwingend erforderlichen Hygieneartikel wie Mundschutzmasken und Desinfektionsmittel müssen vor allem die logistischen Herausforderungen des täglichen Online-Schulunterrichts samt anfallenden Hausaufgaben gestemmt werden. Erschienen die im vor einem Jahr eingeweihten Computerzentrum zur Verfügung stehenden zwölf Computer vorerst ausreichend, zeigt sich unter den neuen Rahmenbedingungen zwingender Handlungsbedarf. Neben weiteren Computern und Laptops werden dringend auch USB-Sticks benötigt, um mehr Kapazität zu haben.

Im hauptsächlich über Patenschaften finanzierten Kinderdorf gibt es neben der Schulbildung unter anderem ärztliche und zahnärztliche Versorgung sowie 1.100 Schulspeisungen pro Tag. In der Corona-Krise ging der Blick jedoch einmal mehr über das Dorf hinaus. So fand Ende April eine Verteilung von Lebensmittelpaketen an die Familien der im Programm „Lernen mit Herz“ befindlichen Schüler und Studenten statt, die in abgelegenen Gemeinden wohnen. Die Pakete enthielten Grundnahrungsmittel wie Reis, Mehl, Eier, Zucker und ein Huhn. „Diesen Familien war es in der anfänglichen Quarantänezeit zum Teil gar nicht möglich, an Lebensmittel zu gelangen“, gibt Direktorin Rossina Estrada Ccucho Einblick in die dramatische Situation.

Darüber hinaus sieht sich der Trägerverein, dessen Verwaltung innerhalb der Stadt Urumbamba in diesem Jahr umgezogen ist, in einer Vorbildfunktion. Dieses Bestreben kam in mehreren weiteren Aktionen zum Ausdruck. Zum einen versorgte die Organisation Kräfte von Polizei, Armee und Provinzkomitee für Bürgersicherheit mit Frühstück und warmen Getränken, zum anderen leistete eine Ärztin des Kinderdorfes Aufklärungsarbeit zum Umgang mit dem Covid-19-Virus im Radio. Des Weiteren durfte der Transporter von „Corazones para Peru“ mit einer Sondergenehmigung der Polizei bis in die Hochanden fahren, um auch dortigen Familien mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Eine Herzensangelegenheit war und ist es dem Verein außerdem, sämtliche geschaffenen Arbeitsplätze trotz der Corona-Krise zu erhalten.

Prominente Verstärkung

Mit den im Taunus lebenden „Herzen für eine neue Welt“ sind die Peruaner in noch engerem Kontakt als normalerweise.

Eine Herzensangelegenheit war und ist es dem Verein außerdem, sämtliche geschaffenen Arbeitsplätze trotz der Corona-Krise zu erhalten.

Prominente Verstärkung

Mit den im Taunus lebenden „Herzen für eine neue Welt“ sind die Peruaner logischerweise in noch engerem Kontakt als normalerweise. Die Königsteiner Keimzelle hat neuerdings prominente Unterstützung erhalten. Es handelt sich dabei um Sophia Hees, die seit Juni „mit an Bord“ ist und vielen als aktuell amtierendes Burgfräulein präsent sein dürfte. Wenn sich eine Tür vor uns schließt, öffnet sich eine andere.“ Dieses Zitat des französischen Schriftstellers André Gide scheint wie geschaffen für die Umschreibung der Wendung, die das Leben der jungen Königsteinerin, die im letzten Jahr ihren internationalen Bachelor in Kommunikations- und Medienwissenschaften machte, durch die ins Land gebrochene Corona-Pandemie genommen hat.

Die eine Tür schloss sich vorübergehend mangels repräsentativer Termine aufgrund des abgesagten diesjährigen Burgfestes und zahlreicher Veranstaltungen im In- und Ausland. Ihre diesbezüglichen Verpflichtungen wird Sophia Hees wieder aufnehmen, sobald es machbar ist. In Übereinstimmung mit dem Burgverein war bereits im Frühsommer beschlossen worden, die Amtszeit der Insignienträgerin bis zur erhofften Ausrichtung des 70. Königsteiner Burgfestes im August nächsten Jahres zu verlängern.

Mehr Zeit als zu Jahresbeginn gedacht zur Verfügung, ließ den Gedanken für die Übernahme eines ehrenamtlichen „Jobs“ beim Verein „Herzen für eine neue Welt“ reifen. Damit war eine andere Tür geöffnet, die Entscheidung kam dennoch alles andere als von ungefähr. „Ich hatte schon vor Corona in Betracht gezogen, Reise-Projekte in Peru zu besuchen, weil ich als Kind Vereinsgründer Dr. Dieter Arnold traf, der mich damals tief beeindruckte. Seitdem verfolgte ich die Entwicklung des 1998 aus der Taufe gehobenen Vereins mit großem Interesse“, schildert Sophia Hees ihre Beweggründe.

Vom Vereinsvorstand wurde die neue „Botschafterin der Herzen“ nicht nur in Anbetracht der aktuell anfallenden Mehrarbeit mit offenen Armen empfangen. Einen persönlichen Eindruck, wie hart die Pandemie die Bevölkerung Perus trifft, konnte sich Hees im März/April während einer privaten Reise machen, in deren Verlauf unter anderem der Besuch von Projekten von „Herzen für eine neue Welt“ auf der Agenda stand. Doch kaum waren die Urlaubskoffer ausgepackt, rief die peruanische Regierung den Notstand aus. Die Königsteinerin saß drei Wochen lang in der Wohnung ihrer Freundin fest, bis es ihr nach einem Tipp einer Mitarbeiterin von „Herzen für eine neue Welt“ gelang, einen Platz in einer Regierungsmaschine zu erhalten und das Land Richtung Deutschland zu verlassen. Aus dieser Erfahrung heraus, weiß sie noch mehr als in der Vergangenheit um die Wichtigkeit der deutsch-peruanischen Vereinszusammenarbeit, um die Situation der dortigen Bevölkerung etwas erträglicher zu machen.

Neues Input, neue Möglichkeiten

Abgesehen davon füllt sie beim Königsteiner Verein eine Lücke im Bereich Kommunikation und PR, der vorher mangels Zeit der handelnden Personen zu kurz gekommen war. „Das neue Input bringt neue Möglichkeiten“, bringt es die Geschäftsführerin des Vereins, Angelika Kilb, auf den Punkt. So entstanden in den letzten Wochen einerseits erstmals Vereinsauftritte auf Facebook und Instagram, andererseits wurde die Homepage überarbeitet, der Newsletter herausgeschickt sowie alle Mitglieder angeschrieben. „Ich habe Spaß an der Arbeit und freue mich, Peru noch etwas näher zu kommen“, gibt Hees Einblick in ihre Gemütslage. Ebenso wie Angelika Kilb ist sie beeindruckt, „dass unsere Unterstützer uns trotz der Corona-Krise die Treue halten, weil sie Vertrauen in unsere Arbeit haben.“

Jeder Betrag willkommen

Nichtsdestotrotz ist jede weitere finanzielle Zuwendung mehr als willkommen, seien es kleine Beträge oder Geld, das beispielsweise zu runden Geburtstagen verschenkt wird. „Mit allein 5 Euro sichert man einem Kind für eine Woche die Schulspeisung“, veranschaulichen die beiden Damen. Neben der Sicherung der mittlerweile acht Programme in Peru und den aktuellen Mehraufwendungen laufen logischerweise auch Mieten und Gehälter weiter.

Was vor 22 Jahren mit dem Aufbau samt Ausstattung eines Kindergartens für 50 Kinder in der Bauerngemeinde San lsidro/Chicón begann, hat sich im Rahmen einer langfristigen „Hilfe zur Selbsthilfe“ sukzessive zu einem vielfältigen Projekt entwickelt. In deutsch-peruanischer Teamarbeit entstanden im Laufe der Zeit verschiedene soziale Einrichtungen sowie Konzepte für die Bereiche Bildung, Gesundheitsvorsorge, Umweltschutz, Verbesserung der Infrastruktur, Gleichstellung der Geschlechter und lokale Wirtschaftsförderung. Im Detail basiert die Vereinsarbeit auf vier Säulen, die wiederum von Unter-Programmen gestützt werden. Erst kürzlich weihte der deutsche Botschafter in Lima, Stefan Herzberg, der früher in Kronberg lebte, das Agrarbildungszentrum Santa Rosa ein und machte sich persönlich ein Bild von der momentanen Sachlage.

Nun hoffen alle, dass im drittgrößten südamerikanischen Staat die Ausbreitung der Pandemie möglichst bald durchgreifend eingebremst werden kann, damit im Januar nächsten Jahres die nächste Gruppe des entwicklungspolitischen Freiwilligendienstes, der Jugendlichen die Chance bietet, für ein Jahr vor Ort zu leben und dabei zum einen persönlich etwas zur Verbesserung der dortigen Situation zu tun, zum anderen bereichernde Erfahrungen für das eigene Leben zu sammeln, wie momentan geplant, nach Peru reisen kann.

Weitere Infos zu den Vereinen und ihrer Arbeit auch unter www.herzenhelfen.de.

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