Kronberg (mw) – „Wie wir uns kennengelernt haben? Das war Schicksal“, sagt Ursel Linke und blickt zu ihrem Mann Karl-Heinz Linke hinüber, mit dem sie heute, am 28. September 60 Jahre glücklich verheiratet ist. Ihre gemeinsame Geschichte begann an einem Mittwochabend in Erfurt in einem Tanzlokal. Ursel Linke hatte sich von ihrer Freundin überreden lassen, sie zu begleiten, obwohl sie eigentlich mitten in der Woche selten ausging. Ähnlich zufällig hatten Karl-Heinz Linke die Wege in dasselbe Tanzlokal geführt. Er war zwar genauso wie sie gebürtig aus Erfurt, zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits ein Jahr zuvor „nach dem Westen gegangen“, wie es in der damaligen DDR hieß, wenn einer die Chance ergriff, dem kommunistischen Regime den Rücken zu kehren. Und das tat Karl-Heinz Linke, nachdem feststand, dass er in der DDR nicht hätte studieren dürfen. Dass er sich mit einem sogenannten Interzonenpass nach einem Jahr, beflügelt vom Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953, traute, seine Eltern zu besuchen, findet seine Frau nach wie vor „äußerst mutig“. Zurück in seiner Heimat, sah er nicht nur seine Eltern endlich wieder, sondern traf zufällig auf der Straße auch zwei alte Schulfreunde, die ihn schließlich an besagtem Mittwoch in das Tanzlokal entführten. „Schon beim Reinkommen fiel mir die dunkle Schönheit mit den blitzenden Augen auf“, erinnert er sich gerne an diesen Augenblick zurück. Den ganzen Abend versuchte er, sie zum Tanz aufzufordern. Da das Lokal jedoch gut besucht war, waren andere junge Männer jedes Mal schneller als er. Erst um Mitternacht und einer Pause der Live-Kapelle, bat er sie, mit ihm an die Bar zu kommen, um endlich mit ihr ins Gespräch zu kommen. Es war ein beiderseitiges Anhimmeln, sind sie sich einig, sozusagen Liebe auf den ersten Blick. Als er ihr allerdings erzählte – dass er aus dem Westen kam, was sie längst schon an seiner Kleidung hatte ausmachen können – er studiere Pharmazie, dachte sie, er sei am Hochstapeln, weil er sich über sie informiert hatte. Schließlich war das ihr Studienfach in Erfurt.
„Bald schon habe ich jedoch herausgefunden, dass er wirklich dasselbe studierte wie ich und dann habe ich mich verliebt“, gesteht sie.
Die nächsten Tage in Erfurt verbrachten sie gemeinsam mit Spaziergängen und auf dem Fahrrad, als er zurück nach Frankfurt musste, blieben sie brieflich in engem Kontakt. Perfekt wurde das Glück, für das auch die junge Erfurterin ihre Familie in der DDR zurücklassen sollte, zwei Jahre später, 1956. Bei den Jenaer-Studenten, zu denen sie gehörte, stand ein Gegenbesuch in Tübingen auf dem Programm. Die Einzige jedoch, die sich aufgrund ihrer Verbindungen in den Westen auf der Liste derer, die nach Tübingen ausreisen durften, nicht wiederfand, obwohl sie maßgeblich an der Organisation des Austauschs zwischen den beiden Universitäten beteiligt war, war sie. Aber die Tübinger reklamierten das sofort und daraufhin erhielt sie ein paar Stunden bevor die Fahrt losging, doch noch eine Reiseerlaubnis. Das war ihre Chance, eine eigene Familie mit ihrem Karl-Heinz zu gründen und so ergriff sie ihre Möglichkeit am Schopfe und blieb ebenfalls im Westen. Die Entscheidung, das zu tun, sei ihr angesichts der Tatsache, ihren Zukünftigen ansonsten vielleicht nie wieder zu sehen, nicht schwer gefallen, erinnert sie sich an diesen aufregenden Moment zurück. Und sie sollte für ihre Liebe zunächst noch mehr aufgeben, was ihr lieb und teuer war: Als Flüchtling und mit 20 Jahren noch minderjährig kam sie in ein Mädchenwohnheim und erhielt die Möglichkeit auf eine halbjährige Ausbildung. Ihr Pharmazie-Studium allerdings konnte sie trotz der Prüfungsunterlagen, die sie sogar dabei hatte, nicht fortsetzen, sie hätte ganz von vorne, mit einem Praktikum beginnen müssen. Davon hätte sie aber nicht ihr Leben bestreiten können und ihr Karl-Heinz konnte als Werkstudent mit 220 Deutschen Mark im Monat mit Mühe und Not sein eigenes Durchkommen sichern.
„Wir wollten keine Studentenehe führen“; so Ursel Linke. Aber sobald ihr Karl-Heinz sein Examen in der Tasche hatte wurde kirchlich und standesamtlich geheiratet. Um genau zu sein, am selben Tag und im Beisein seiner Familie, die just für die Hochzeit einen Interzonenpass beantragt hatte. Was eigentlich nicht geplant war, dass Hochzeit und Examensabschluss an ein und demselben Tag stattfanden. Karl-Heinz Linke kam zu seiner eigenen Hochzeit tatsächlich zu spät, weil er vorher noch in die Uni fuhr, um seine Prüfungsergebnisse zu abzuholen. Der eine oder andere überlegte sich schon, ob er wohl kalte Füße bekommen hatte, da kam er endlich um die Ecke gebogen. „Unsere Hochzeit zu fotografieren, habe ich, obwohl ich eine Kamera hatte, dann völlig vergessen“, gesteht er. Es sei einfach alles ein bisschen zu viel auf einmal gewesen. Aber hinreißend sah sie aus, seine Braut in ihrem grünen Seidenkleid, dieses Bild hat er auch ohne Fotografie und nach so vielen Jahren präsent. Abends haben sich die beiden nach Standesamt und Kirche von ihrer eigenen kleinen Hochzeitsfeier kurz noch weggestohlen, um bei der Examensfeier ebenfalls vorbeizuschauen.
1975 kam Tochter Stefanie auf die Welt, 1963 folgte Sohn Götz Detlev. Damit war das Glück perfekt und Ursel Linke kümmerte sich um die Kinder, während ihr Mann bei den Farbwerken Höchst im Innendienst einen Job gefunden hatte.
Der Schritt zur eigenen Apotheke
Irgendwann reifte jedoch sein Entschluss, sich selbstständig machen zu wollen. „Ich hätte mich das allerdings alleine nicht getraut“, gibt er zu. So fasste seine Frau den Entschluss, trotz kleiner Kinder endlich doch noch ihr Studium durchzuziehen. Das Regierungspräsidium fand eine Ausnahmeregelung, sodass sie weiterstudieren konnte und das Pflichtpraktium, das ihr fehlte, an das Staatsexamen hinten anhängen durfte. „Aufgrund dieser Tatsache habe ich 1970 in Oberhöchstadt eine Apotheke eröffnet“, blickt er zurück. Seine Frau weiß noch, wie hart es nach all den Jahren war, seine Pharmaziebücher längst überholt, neben Haushalt und kleinen Kindern zu studieren. Doch sie lernte eisern Tag und Nacht. Von den viel jüngeren Studentinnen und Studenten fühlte sie sich angenommen und hatte sie mal ihren Sohn in der Uni mit im Gepäck, weil der Kindergarten geschlossen war, wurde das akzeptiert. Sohn Götz Detlev sollte den Beruf seiner Eltern – zumindest eine Zeit lang, trotzdem nicht besonders toll finden. „Er kam mal vorbei, wollte mit mir reden, aber ich hatte einen Kunden nach dem anderen zu bedienen und da hat er schließlich gemeint: „Was habe ich von der alten Sch....-Apotheke. Nicht mal eine Mami habe ich!“ Diese Aversion gegen die alte Zunft sollte jedoch glücklicherweise nicht lange anhalten. Als Kind interessierte er sich für Botanik genau wie seine Eltern, beispielsweise suchte er heilende Kamillenblüten für seine Eltern auf den Wiesen und trocknete sie.
Ein Rezept für die Liebe
Nach vielen Analysen und Synthesen im Labor, haben die Linkes da auch ein Rezept für ihre Ehe parat? Ja, auch darüber haben sie sich zur Diamantenen Hochzeit Gedanken gemacht. Für sie als Paar sei es gut gewesen, dass da niemand war, der in ihr gemeinsames Leben reingeredet hätte, sagt sie. Sie hatten ja nur sich. Von Vorteil sei sicher auch gewesen, dass sie nach der ersten Verliebtheit feststellten, viele Gemeinsamkeiten zu haben, sei es der Beruf, die Musik oder dass sie bis heute über dasselbe lachen müssen. „Und wir haben alle wichtigen Entscheidungen gemeinsam getroffen, auch bei den Kindern.“ Und die sind ihnen bis heute ebenfalls nahe: Die Apotheke hat das über 80-jährige Jubelpaar im Jahr 2000 ihrem Sohn Götz-Detlef übergeben können. Ihre Tochter Stefanie, die ursprünglich als Japanologin für eine große japanische Firma tätig war, arbeitet heute ebenfalls in der Apotheke mit.
Und für ihre Zeit nach ihrer Apotheke, in der sie auch regelmäßig Nachtdienst machten und aufgrund ihrer Selbstständigkeit oftmals keinen Urlaub machen konnten, haben sie ebenfalls ein funktionierendes Rezept gefunden: Ursel Linke liebt ihren Garten und kümmert sich um ihn, während ihr Mann Karl-Heinz neue „Rezepturen“ ausprobiert und auch die Planung und den Einkauf dafür übernimmt: In der Küche versteht sich! Einmal duftete es aus dieser so himmlisch bis hinüber zu den Nachbarn, dass die sich zuriefen: „Oh, bei Frau Linke duftet es aber herrlich nach Gulasch.“ Doch dann sahen sie Frau Linke im Garten herumhantieren und korrigierten: „Nein, das ist nicht bei Frau Linke, das ist bei Herrn Linke!“ Heute Donnerstag, werden sie sich zu ihrer Diamantenen Hochzeit im Kreise ihrer eingeladenen Freunde und Familie wohl bekochen lassen und können mit Freude und Stolz auf ihre vielen gemeinsam gemeisterten Ehejahre mit einem Glas Sekt anstoßen. Wohl bekomm‘s!“