Kronberg (aks) – Eine stimmungsvolle Polonaise in tänzerischer Leichtigkeit am Klavier, vorgetragen von Rolf Kohlrausch leitet fabelhaft über zur Lesung der Schauspielerin Susanne Schäfer, die kleine Geschichten von Guy de Maupassant, dem französischen Meistererzähler der Belle Epoque, vorträgt. Er hielt nicht viel von der Ehe – „ein Austausch schlechter Laune bei Tage und schlechten Geruchs während der Nacht“. Er selbst zog zahlreiche Affären vor, aber er liebte die Frauen und war ihnen im Geiste verbunden. Er schien ihre geheimen Wünsche und Sehnsüchte zu verstehen. Seine Heldinnen sind fast alle jung und voller Leben – langweilen sich an der Seite älterer oder unansehnlicher dicker Männer in der Provinz zu Tode und schwelgen in Tagträumen vom lasterhaften Leben in der Hauptstadt und von leidenschaftlichen Affären – mit mehr oder weniger berühmten Künstlern der Bohème, die sich auskennen mit der „débauche“. Das kleine „Glück des Daheims“ genügt dem „Herz voller Sehnsucht“ nicht. Paris, das war die Stadt des Frohsinns, der Walzerklänge der „bals populaires“ im Bois de Boulogne, der Kurtisanen und Cafés Bordel. Susanne Schäfer aus Frankfurt, bekannt aus zahlreichen Filmen und Theaterproduktionen, große Schwester der berühmten Sopranistin Christine Schäfer, säuselte und gurrte, plauderte und erweckte Maupassants Heldinnen mit ihrer wohlklingenden Stimme zu prallem Leben. Seine Aufmerksamkeit galt den kleinen, ebenso wie den tragikomischen Augenblicken des Lebens – von Plaudereien auf dem Sofa bis zum toten Liebhaber, der beseitigt werden muss. Das Publikum im neu renovierten Waffensaal amüsierte die Situationskomik und der ironische Erzählstil – man unterhielt sich prächtig. Das „Pariser Abenteuer“ handelt von einer wohlanständig verheirateten Frau, die immer an Paris dachte sowie an die ausschweifenden Freuden, „die verderbte Üppigkeit“, die dort auf sie warteten. Alt werden in der Mühle des Ehealltags und sterben, ohne die verbotenen Früchte gekostet zu haben, das kam für sie nicht in Frage. Mit erstaunlichem Freigeist und noch mehr Mut, macht sie sich unter einem Vorwand auf die Reise nach Paris. Sie fackelt nicht lange und hängt sich an einen Schriftsteller, der weder schön noch berühmt ist – ein Zufallstreffer. Von ihm erfährt sie die Vorlieben der Bohème: Vom Spaziergang im Bois de Boulogne, wo er die Damen der Halbwelt mit Namen und ihre Laster und Lästereien kennt bis zur „Happy Hour“ in einem Boulevard-Café, dem „Café Mignon“, wo sie mit wohligem Schauer ihren Absinth trinkt, bis zur Theater-Vorstellung im Vaudeville. Sie genießt ihren Ausflug ins Milieu. Dann will der mittelmäßig berühmte Schriftsteller nach Hause. „Ich gehe nach Hause!“ Sie: „Ich komme mit. Wir wollen also zu Ihnen gehen?“. Sie ist entschlossen, alles auszukosten. Es folgt eine kalte Ernüchterung, „sie verstanden sich nicht im Geringsten“. Und sein Anblick war auch nicht gerade erotisch: Er lag auf dem Rücken mit seinen „paar Haaren“ und seinem Kugelbauch – und schnarchte. Auf seine Frage warum sie schon gehen wolle, antwortet sie: „Ich wollte das Laster kennenlernen. Schön ist es nicht!“
Maupassant erzählt von der Lebenslust der Frauen auf liebenswerte Weise. Ihre Naivität ist herzerfrischend, ihre Entschlossenheit rührend und ihre Tagträume bewahren sie vor dem „Ennui“, der Langeweile als Lebensgefühl. Dass sie alle ernüchtert, geläutert und vor allem rechtzeitig aus ihren Träumen aufwachen, bewahrt sie vor dem Schlimmsten. Unter ihnen sind junge, frisch verliebte – auch in ihren Ehemann – verruchte, berechnende Frauen, wahre Luder, die den besten Freund des Ehemanns verführen wollen. So viele schillernde Facetten, aber immer ist Maupassant als Schutzengel bei ihnen. Er beobachtet sie in ihren kleinen Welten, in ihren Salons mit Kavalieren, Gentlemen und Dandys. Er verurteilt sie nicht, sondern versteht, dass sie auch ein gutes Stück vom Kuchen haben möchten und sich das auch nehmen. In der Geschichte „Das Holzscheit“ scheint Maupassant selbst zu sprechen. Eine alte Dame fragt ihren Gefährten, warum er nie geheiratet habe. „Traurige Geschichte“. Seine tiefe Überzeugung, dass „Mann und Frau sich im Innersten fremd sind“, wird bestätigt, als ihn in jungen Jahren die Frau seines besten Freundes vor dem Kamin verführen will. Halb zog sie ihn, halb sank er hin... Aber ein Holzscheit, das aus dem Kamin springt, entfernt ihn von der Schönen, just in dem Moment, als ihr Ehemann den Raum betritt. „Liebe Freundin“, so spricht er zur alten Dame, „ich will nie wieder in eine solche Lage kommen. Nie wieder!“. Maupassant traut weder den Frauen noch den Männern, wenn sie die Lebenslust packt. Die anschließende Mazurka von Chopin passt mit ihren spielerischen Tanzrhythmen gut zum Thema. Kohlrausch ist auch kein Kind von Traurigkeit und bearbeitet kraftvoll die Tasten des Petrof-Flügels. Der Komponist Debussy passt gut zur Belle Epoque als Vertreter des beginnenden Impressionismus. Seine Inspirationen holte er sich aus der Natur. Vor allem Kohlrauschs lebendige und heitere Wiedergabe des „Golliwogg’s Cake-walk“ aus dem Children’s Corner“ mit seinen Ragtime Anklängen verbreitet gute Laune. Eine Prélude erzählt schwelgerisch und expressiv vom Mädchen mit dem Flachshaar im Sommerwind. Das alles sind spielerisch abgehobene Kompositionen, die eine reine Stimmung erzeugen und die Kohlrausch in eben dieser Schwerelosigkeit vermittelt.
Die Teezeit auf der Burg gehört inzwischen zum festen Programm der Kronberger und erfreut sich zunehmender Beliebheit. Auch wirtschaftlich ist es von Erfolg beschieden und so können sich die Besucher auf weitere anspruchsvolle Unterhaltung freuen – und vielleicht ein „Teezeit-Abo“ zur Weihnachtszeit verschenken – oder sich selbst wünschen – wie Dorothea Peukert vom Burgverein vorschlägt.