Nepal: Ein Sprung von der Vorzeit zur Neuzeit – in kleinen Schritten

V.l.n.r.: Heike Stein, Mandira Lamichanc mit Dr. Liselotte Thomsen, die von ihrem unermüdlichen Einsatz in Nepal berichtete. Lamichanc ist Nepalesin und schreibt derzeit an der Goethe-Uni an ihrer Doktorarbeit. Sie ging in Kathmandu zur Schule. Foto: Pfeifer

Kronberg (pit) – Einen Blick weit über die Grenzen Kronbergs hinaus schenkte Dr. Lieselotte Thomsen, Vorsitzende des Vereins „Initiative 96 Kronberg für Eine Welt“, anlässlich ihres Vortrages „Ein Leben zwischen den Welten“ einer zahlreichen Zuhörerschar. Denn damit eröffnete sie nicht nur eine entsprechende Fotodokumentation, sondern gab einen weitreichenden Einblick in das „Frauenprojekt Nepal“, das sie in ihrer Eigenschaft als Ärztin für die Dritte Welt seit über 18 Jahren betreut. Den entsprechenden Rahmen hierzu bot die „Frauenwoche“ der Stadt.

„Ihr Anspruch war stets die Stärkung der Frauenrechte“, erläuterte Bürgermeister Klaus Temmen gleich zur Begrüßung den Hintergrund des ehrenamtlichen Engagements. Und mit diesem Ansatz entführte anschließend Lieselotte Thomsen in das Leben und die Gesellschaft Nepals, genauer gesagt nach Kumbu-Kasthalie, eine kleine Gemeinde am Fuße des Mount Everest: „Es hat lange gebraucht, bis die Frauen, die dringend Hilfe benötigten, zu mir gekommen sind.“ Zunächst seien deren Männer erschienen, denn diese sprachen ihren stets unterdrückten, weiblichen Familienangehörigen eine Selbstbestimmung entschieden ab – auch wenn es vorrangig um das Thema Mütter- und Säuglingssterblichkeit ging. Mit sehr viel Mühe und guten Worten gelang es der Ärztin Lieselotte Thomsen schließlich, zu ihrer eigentlichen Klientel vorzudringen.

Die größten Probleme lagen nach den ersten Gesprächen, bei denen eine Sozialarbeiterin aus Kathmandu dolmetschte, sehr schnell auf der Hand: Frauen mussten ihre Babys stets in dreckigen, unbeheizten Verschlägen gebären, nicht selten wurden die Nabelschnüre durch eine verschmutzte Sense durchtrennt. Der so genannte „Sub-Health“-Posten, die niedrigste Einheit der Gesundheitsversorgung, sei derart verschmutzt gewesen, dass sich die Medizinerin rundheraus geweigert habe, dort auch nur eine Hand zu rühren.

Dies alles waren vor knapp 20 Jahren die überaus widrigen Umstände, an denen Lieselotte Thomsen und ihr Verein mit ihrer Arbeit ansetzten. Diese und das Problem einer über 3.000-jährigen Kastentradition, die den Reichen alle Vorrechte gestattet – auch wenn den Ärmsten der Armen geholfen werden soll. „Als ich in einem Essenszelt meine Arbeit aufnahm, drängten die reichen Frauen nach vorne, obwohl sie durchaus einen Arzt hätten bezahlen können“, führte Lieselotte Thomsen aus. Es habe viel Mühe gekostet, sich hier durchzusetzen und diese „Kundschaft“ wieder loszuwerden.

Überhaupt war von viel Mühsal die Rede, wenn es um die Rolle der Frauen ging. Schließlich werden sie Zeit ihres Lebens von männlichen Familienmitgliedern dominiert. „Zunächst gibt der Vater den Ton an, später der Ehemann und wenn es ihn nicht mehr gibt, sind es die Söhne“, so die Rednerin. Ein Recht auf Bildung gebe es für Frauen nicht, ebensowenig wie auf Eigentum, Einkommen oder Gesundheitsschutz. Überwiegend sei ihnen die Feldarbeit überlassen, Mädchen – verheiratet werden sie oft mit elf bis 13 Jahren, manchmal auch für weniger als 25 Euro verkauft – müssen den Haushalt bewältigen und ihre jüngeren Geschwister versorgen. Gekocht werde über einem offenen Feuer mitten in der Hütte und nicht selten käme es dabei zu Unfällen bei Kindern im Krabbelalter.

Auch die hygienischen Umstände seien katastrophal. Gewaschen und gespült werde kalt unter irgendwelchen Wasserleitungen, sofern es sie überhaupt gibt. Häufig müssten die Frauen kilometerweit laufen, um Wasser herbeizuholen, seien für die Viehversorgung zuständig und dafür, Feuerholz herbeizuschaffen. Hinzu komme, dass, wenn sie von ihrem Mann verlassen werden – „viele gehen in die Emirate, um dort Geld zu verdienen und sich ein neues Leben aufzubauen“ – oder verwitwet seien, sie Freiwild für andere Männer seien.

Doch die Hilfestellungen, die der Verein „Initiative 96 Kronberg für Eine Welt“ leistet, haben erste Früchte getragen. Nicht nur Patenschaften, bei denen garantiert jeder Cent bei den Kindern lande, hätten zur Lösung vieler Bildungsprobleme geführt: „Familien bekommen einen kleinen Betrag, damit sie ihre Kinder zu 80 Prozent in die Schule geben.“ Solange das Geld rolle, fühle sich somit die Familie gezwungen, Mädchen nicht aus dem Bildungsprogramm herauszunehmen. „Nur in der Bildung besteht ein Ausweg für sie“, so Lieselotte Thomsen. Daher wurden Schulen aufgebaut oder erneuert. Das ist aber nicht alles. Es konnte eine Gesundheitsstation aufgebaut und eine Geburtsstation geschaffen werden. Eine Krankenschwester wurde ausgebildet und Präventionen konnten eingeführt werden: „Vor allem viele junge Ehepaare nehmen diese Hilfe an.“ Alles in allem gelte es, in Nepal einen Sprung von der Vorzeit zur Neuzeit zu vollziehen – das aber immer wieder in nur kleinen Schrittchen. „Wir können nicht vehement gegen die Traditionen angehen“, musste Lieselotte Thomsen erfahren. Andererseits freut sie sich, dass der Verein mittlerweile über 15 Frauen als „Volunteers“ gewinnen konnte, die dessen Arbeit unterstützt und die Verbindung zu den Familien herstellen.

Gegründet wurde auch eine sogenannte „Kreditgruppe“, die finanzielle Unterstützung leistet. Und was als erfreuliche Entwicklung hinzu kommt ist die Tatsache, dass auch Jungen sich mittlerweile an die Einrichtung wenden, um zu einer Ausbildung zu kommen. Eines solle man aber auch nicht vergessen: „Nepal ist auch ein schönes Land, es gibt nicht nur Elend.“



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