Schmid: Bewusste Lebensführung als Erfolgsgeheimnis für Gelassenheit

Eva Baronsky im Gespräch mit dem „Glücksphilosophen“ Wilhelm Schmid. Foto: S. Puck

Kronberg (pu) – Auch ein Philosoph und Seelsorger ist nicht zwingend vor einer eigenen persönlichen Lebenskrise geschützt. Diese Erfahrung machte Wilhelm Schmid, deutscher Philosoph mit Schwerpunkt auf dem Gebiet der Lebenskunstphilosophie, anlässlich seines 60. Geburtstages, als er monatelang in eine depressive Phase fiel, die er jedoch dadurch überstand, weil er sich auf sich selbst und seine Stärken besann und ein Buch mit dem Titel „Gelassenheit“ schrieb. Nach dessen Erscheinen war nicht nur seine Krise bewältigt. „Dass das Buch ein Bestseller wird, wusste ich nach einer Lesung, als alle Gäste nicht nur ein Buch signiert haben wollten, sondern noch Stapel unter dem Arm und volle Plastiktüten in der Hand, weil sie Freunde und Familie ebenfalls damit beglücken wollten.“ Ausgehend von der Beobachtung, dass die Moderne keine gelassene Zeit ist und jeder nur selbst etwas daran ändern kann, enthält das Buch zehn Schritte, die nach Ansicht Schmids zu mehr Gelassenheit führen können:

Samstagabend stand Wilhelm Schmid, inzwischen Autor mehrerer Bücher, zum Abschluss des diesjährigen sechsten Lesefestivals der freien Schriftstellerin Eva Baronsky in der Stadtbücherei als Gesprächspartner unter der Überschrift „Gelassen das Leben verstehen“ zur Verfügung. Im Laufe der kurzweiligen Unterhaltung offenbarte er eine Fülle interessanter Details sowohl aus seinem Leben als auch seinem Erfahrungsschatz und beantwortete im Anschluss offen gebliebene Fragen.

„Es ist für einen Veranstalter immer schön, wenn noch zusätzliche Stühle angeschleppt und aufgestellt werden müssen“, brachte die Leiterin der Stadtbücherei, Barbara Neubert, während ihrer kurzen Begrüßungsansprache ihre Freude über die zahlreichen Festivalbesucher zum Ausdruck. Nach den Worten Neuberts dient die Stadtbücherei als Privatraum, um sich nach Arbeit oder Schule dort aufzuhalten und sich zu informieren, lesen, hören, Neues kennenzulernen oder zu faulenzen. Letzteres konnte am Samstagabend gänzlich ausgeschlossen werden, denn Wilhelm Schmid gelang es mit seinen Ausführungen mühelos, die Aufmerksamkeit des Publikums zu fesseln.

Von Anfang an besonderes Verhältnis zur Sprache

Als eines von insgesamt sechs Kindern eines Landwirts sei ihm Bodenständigkeit in die Wiege gelegt worden. Kurioserweise könne er rückblickend behaupten, er habe von Anfang an ein besonderes Verhältnis zur Sprache gehabt, weil es damit zunächst massiv haperte. Seiner Mutter zufolge sprach er noch im Alter von drei Jahren kein einziges Wort. Als der Knoten endlich platzte, „war für mich jedes Wort eine solche Errungenschaft, dass ich von einem ausgesprochen intimen Zugang zur Sprache sprechen kann“. Einmal in Fahrt gekommen, reichte es dem in Billenhausen / Bayerisch-Schwaben Geborenen nicht mehr Wörter lediglich zu artikulieren. „Sobald ich schreiben konnte, begann ich damit Bücher zu schreiben, die damals natürlich noch keiner publizieren wollte“, schilderte er schmunzelnd. Davon unbeeindruckt schrieb er seine Texte auf DIN A4-Doppelseiten, falzte sie mit einer Nadel, heftete die Seiten zum blättern zusammen und illustrierte die Bücher. „Das war für mich von vornherein das Leben!“ Umso nachhaltiger das Erlebnis, als sein Vater sein erstes Buch, einen Mäuseroman, wahrscheinlich im Feuer „entsorgte“. Aufhalten konnte der Vater die sich anbahnende Karriere des Sohnes als Buchautor allerdings nicht. Es folgte eine Lehre als Schriftsetzer. Nach der Bundeswehr begann er ein Studium von Philosophie und Geschichte an der Freien Universität Berlin, der Pariser Sorbonne und der Universität Tübingen, das er 1991 mit einer Doktorarbeit über Michel Foucault abschloss. In Erfurt habilitierte er sich im Jahr 1997 mit seiner Arbeit „Grundlegung zu einer Philosophie der Lebenskunst“. Einen Meilenstein setzte er mit seiner neunjährigen Arbeit als „philosophischer Seelsorger“ am Spital Affoltern am Albis (bei Zürich). Eine Zeit, die ihn prägte durch die durch Gespräche mit Ärzten, Personal und Patienten gesammelten mannigfaltigen Erfahrungen und Erlebnisse. Dabei stellte er erstmals fest, wie gelöst und guten Mutes Menschen waren, wenn sie mit ihm gesprochen hatten. „Ich habe ihnen nicht mal gesagt, wie sie ein Problem lösen konnten, allein schon dadurch, dass sie darüber reden konnten, waren sie zufrieden. Es war eine Entdeckung für mich, dass die Philosophie Menschen dabei behilflich sein kann, schwierige Lebenssituationen zu bewältigen, und dass die Hilfe darin besteht, ein Verständnis des Lebens zu gewinnen, das ermöglicht, die Situation einzuordnen und eine Haltung dazu zu finden.“ Das Handwerkszeug des Philosophen ist nach den Worten Schmids die Begrifflichkeit, die des Theologen der Glaube an höhere Mächte und die des Psychologen der medizinische Hintergrund. In diesem Wissen könne man Ratsuchenden den richtigen Ansprechpartner vermitteln, um sie bei der Problembewältigung adäquat zu betreuen.

Keine Konstanten

Nach den Worten Schmids basiert das Erfolgsgeheimnis für mehr Gelassenheit und Glück unter anderem auf einer bewussten Lebensführung, das heißt, zum einen zu akzeptieren, dass es keine Konstanten im Leben gibt, zum anderen hin und wieder den gegenwärtigen Zustand zu hinterfragen, ob er den eigenen Wunschvorstellungen entspricht. Des Philosophen anschauliche Beispiele: „Wenn Sie sich in einer Wohnung unwohl fühlen, sollten Sie den Aufwand nicht scheuen, sondern ernsthaft in Erwägung ziehen umzuziehen, statt ständig zu hadern.“ Gleiches gelte für eine unglückliche Beziehung. Ärger und Freude nennt er direkte Nachbarn. „Wir verdanken dem Ärger die Schätze der Freude. Das Akzeptieren der Polarität, von Freude und Ärger, das ist die Fülle des Lebens, die wiederum dafür sorgt, dass es spannend und interessant bleibt!“ Gäbe es lediglich die Freude, dann wäre sie irgendwann Standard und langweilig, das Geheimnis jeden Erfolges sei häufig vorheriger Misserfolg, weil der den Menschen sensibilisiert und aus Fehlern lernen lässt.

Verständisvollere Verhältnisse

Zu den entscheidenden Faktoren zähle außerdem die Perspektivität. „Wir täten alle gut daran, permanent die Perspektive anderer Menschen zu erfahren, denn wenn wir die kennen würden, hätte das in unserer Gesellschaft zweifellos verständnisvollere Verhältnisse zur Folge!“ Den Besuchern der letzten diesjährigen Veranstaltung des Lesefestivals gab er abschließend mit auf den Weg: „Lassen Sie das Leben atmen! Einatmen für Zufriedenheit und Ausatmen für Unzufriedenheit – so stelle ich mir persönlich das Leben vor mit all seinen Höhen und Tiefen.“

Barbara Neubert zog ein zufriedenes Fazit des Festivals „Lesen und lesen lassen“, einer Gemeinschaftsveranstaltung vom Freundeskreis der Stadtbücherei zusammen mit der Kronberger Bücherstube, dem Kronberger Kulturkreis und den Kronberger Lichtspielen. Sowohl die Veranstaltungen für Erwachsene als auch die der Kinder seien gut besucht gewesen. Eine Veranstaltung musste zwar kurzfristig abgesagt werden, wird jedoch im Rahmen der Kulturnacht nachgeholt. Ein großer Dank ging an alle Sponsoren.



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