„3 nach 9“, die Talkshow von Radio Bremen, gehört zu meinen absoluten Talkshow-Favoriten im Fernsehen. Nicht nur wegen der mitreißenden Boogie-Woogie- und Ragtime-Klaviermusik von Gottfried Böttger, die einfach fröhlich macht, sondern vor allem wegen der interessanten Gäste und Themen. Am vergangenen Freitag war der Heidelberger Allgemeinmediziner Dr. Gunter Frank in der Sendung. Und was er erzählte, hat mich höchst nachdenklich gemacht. Nachdrücklich hat er nämlich darauf hingewiesen, dass Medizin nicht nur das Wohl der Patienten im Blick hat, sondern auch Teil eines mächtigen Wirtschaftszweigs ist. Beispiel Cholesterin. Als er studierte, sagte der Arzt, lag der Normwert noch bei 240. Durch die willkürliche Herabsetzung der Risikogrenze auf 200 wurden allein in den USA 40 Millionen Menschen zu „Patienten“. Einer der größten Marketingerfolge in der Geschichte der Medizin überhaupt, meinte Dr. Frank. Denn die Tablette zur Senkung des Cholesterinspiegels helfe nur Risikopatienten. Da sei die Verschreibung sinnvoll, bei allen anderen Menschen nicht. Vier Millionen Menschen aber nähmen regelmäßig die Tablette. Noch mehr betroffen gemacht hat mich seine Erklärung, dass jedes Jahr in Europa und den USA 450.000 Menschen an Nebenwirkungen von Medikamenten sterben, die sie gar nicht hätten nehmen müssen. Selbst bei den heute überall propagierten Vorsorgeuntersuchungen gegen Brustkrebs bei Frauen und Prostatakrebs bei Männern meldete er Bedenken an. Denn eine Prostataoperation könne zwar den Tumor beseitigen, verlängere aber erwiesenermaßen nicht das Leben des Patienten, erklärte er. Als völlig unnötig bezeichnete er die Zeckenimpfung gegen Hirnhautentzündung (Frühsommer-Meningoenzephalitis FSME). Zwar erkranken jedes Jahr zwischen 200 und 500 Menschen bei uns an dieser Krankheit, aber es gebe pro Jahr auch 100 bis 380 zum Teil gravierende Impfzwischenfälle. Selbst bei einer Infizierung stürben in Deutschland maximal zwei Erkrankte. Die Fahrt mit dem Auto zum Arzt, so drückte er es aus, sei bei weitem gefährlicher, das Risiko, durch Zeckenbiss an FSME zu sterben, geringer als die Chance, vom Blitz getroffen zu werden. Wenn ein Patient zu ihm komme, um sich gegen FSME impfen zu lassen, rate er von einer Impfung ab. Wenn der Patient jedoch darauf bestehe, bekomme er sie auch, sagte er. Die Medizin, betonte er, sei zu einem gigantischen Geschäft geworden und viele Ärzte, nicht nur in den Kliniken, längst davon abhängig. Selbstbewusste Patienten wünscht er sich, die sich fragen: Weiß ich genug über meine Behandlung? Welche Therapie ist gut für mich? Wie kann ich mich vor gefährlichen Übertherapien schützen? Der Auftritt des Mediziners bei 3 nach 9 war sicherlich auch ein gelungener Marketing-gag, der ihm hohe Verkaufszahlen für das Buch bescheren wird, das er zu diesem Thema geschrieben hat.
Aber es war auch ein Plädoyer, nicht alles hinzunehmen und kritiklos zu glauben, was ein Arzt empfiehlt, meint