Trauer um Michael Stadtler – der große Menschenfreund und unbeirrbare Optimist wird Kronberg fehlen

Michael Stadtler ist mit 71 Jahren gestorben.

Foto: privat

Kronber
g (ah/mw) – Mit Michael Stadtler ist eine kraftvolle, große Lehrerpersönlichkeit gestorben. Er war 36 Jahre lang Mitglied des Kollegiums der Altkönigschule und hat in dieser langen Zeit die AKS ganz entscheidend mitgeprägt. Geboren wurde er am 11. Februar 1945 in St. Gilgen. Bald übersiedelte die Familie nach Lüdenscheid. Dort ging Michael Stadtler zur Schule und machte das Abitur. Anschließend studierte er Anglistik und Geschichtswissenschaft in Bonn, Bochum und in Frankfurt. Schon als Student wurde sein Interesse an der Pädagogik deutlich: In Bochum war er Assistent seines Geschichtsprofessors, in Frankfurt akademischer Tutor am englischen Seminar. In beiden Funktionen leitete er Seminare. Schon damals war Unterrichten seine Leidenschaft.

1970 kam er als Referendar an die AKS. Und sofort übernahm er zehn Wochenstunden Unterricht zusätzlich zu seinen regulären Verpflichtungen. Damit zeigte sich schon damals ein wesentlicher Grundzug seiner Persönlichkeit: Verantwortungsbewusstsein und eine außergewöhnliche Hilfsbereitschaft für seine Mitmenschen, hier die Schülerschaft und die Schule. Und das galt für sein ganzes Leben: Er hat immer und überall mehr getan, als er tun musste. Er tat es aus innerer Überzeugung, mehr noch: aus innerem Bedürfnis. Und da sind wir beim Kern seiner Persönlichkeit: sein christlicher Glaube. „Dieser Glaube war die ethische Richtschnur seines pädagogischen Handelns“, weiß Gerhard Amend, ehemaliger Schulleiter der AKS. Häufig sagte er, wenn es Probleme zu lösen galt: „Was würde Jesus dazu sagen?“ Das war keine Floskel, er fühlte sich dem Gebot der christlichen Nächstenliebe zutiefst verpflichtet. Sie war dann auch der Antrieb für sein schier unerschöpfliches Engagement für die Schüler und die Schule, für die Politik – er war zehn Jahre lang Abgeordneter des Kronberger Stadtparlaments – und die internationale Verständigung – er engagierte sich für die Städtepartnerschaften der Stadt Kronberg und war viele Jahre Mitglied im Vorstand der Partnervereine Kronberg-Aberystwyth und Kronberg-Ballenstedt. Und natürlich engagierte er sich auch in seiner Kirchengemeinde: Er arbeitete zehn Jahre lang im Kirchenvorstand mit. Er fühlte sich in all den Lebensbereichen, die für ihn wichtig waren, verantwortlich und hat diese Verantwortung als praktisches Engagement gelebt. Nach dem Referendariat erhielt er eine Planstelle an der AKS, ließ sich aber zugleich für sechs Jahre mit halber Stelle ans Studienseminar I in Frankfurt abordnen, zuständig für die Ausbildung der Referendare in Erziehungs- und Gesellschaftswissenschaften. Es waren unruhige Zeiten damals: Die Studentenrevolte hatte die Schulen und die Lehrerausbildung erreicht, erinnert Amend. „Und in dieser Situation trainierte Michael Stadtler seine erstaunliche Frustrationstoleranz, erwarb sich eine hohe Professionalität und Geschicklichkeit im Umgang mit Konflikten – und davon gab es ja damals wahrlich genug, das ging einmal bis zur Seminarbesetzung durch Referendare. Er zeigte eine ausgesprochene Begabung für pragmatische Konfliktlösungen und eine zuweilen entwaffnende Kompromissfähigkeit“, beschreibt Amend seinen Weggefährten. „Er war stets offen für alle Anliegen und im Umgang mit seinen Mitmenschen von einnehmender Herzlichkeit.“ Diese Fähigkeiten seien natürlich dem Kollegium der AKS nicht verborgen geblieben, und so wählte man ihn in den Personalrat, dessen Vorsitzender er für viele Jahre wurde. Auch in dieser Funktion bewies Michael Stadtler sein kommunikatives Geschick. „Unvergesslich ist mir ein Vorfall in einer Gesamtkonferenz. Die Diskussion war in einer Sackgasse, es drohte eine Konfrontation unversöhnlicher Standpunkte, die Stimmung wurde aggressiv. Da stand Stadtler auf und machte vor dem versammelten Kollegium einen Kopfstand. Es geschah aus einem spontanen Impuls heraus, wahrscheinlich hätte er selbst nicht sagen können, warum er das in dieser Situation getan hat. Aber es wirkte sofort, die Stimmung hellte sich auf, die Diskussion wurde sachlich, ein Lösungsweg gefunden. Das war Michael Stadtler.“

Dann wurde er zum Leiter des Gymnasialzweiges ernannt. Für diese Aufgabe war er die Idealbesetzung. Er war ein Meister im Umgang mit Schülern im sogenannten „schwierigen Alter“: Er habe sehr viel Verständnis für die Probleme und Schwierigkeiten der Schüler. Aber was das konkrete Verhalten betraf, hieß es Grenzen setzen, Orientierung und vor allem praktische Hilfe geben. „Er hatte immer das Wohl des einzelnen Schülers im Blick, war nie dogmatisch, schaute stets auf seine konkreten Lebens- und Lernbedingungen“, sagt Amend. Und er hat immer an den Erfolg seiner Schüler geglaubt. Da war er unbeirrbarer Optimist. Und diesen Optimismus strahlte er offensiv aus.

Er begegnete jedem Schüler offen und mit Herzlichkeit – so wie seinen Mitmenschen insgesamt. Die Schüler dankten ihm mit Respekt und Wohlwollen. Auch nach seiner Pensionierung kamen immer wieder Schüler auf ihn zu, um ihm zu danken für die praktische Lebenshilfe, die er ihnen gegeben hat.

Vor allem das Wohlwollen hat Michael Stadtler seinen Schülern leicht gemacht: Als Lehrer war er ein unschlagbar spontaner und kreativer Motivator, der vor Einfällen nur so sprühte: Rhetorisch brillant – er konnte alle bedeutenden deutschen Politiker der Nachkriegszeit perfekt imitieren –, oder er brachte seine Gitarre mit und sang dazu Lieder – stets zum Unterrichtsthema passend, womit seine Stunden anschaulich und überaus unterhaltsam wurden.

Und was seine Schüler und seine Gesprächspartner jenseits des Unterrichts stets von Neuem faszinierte, war sein enorm eindrucksvolles, geradezu enzyklopädisches Gedächtnis: Er hatte Namen, Daten, Lebensgeschichten von Hunderten von Schülern, Politikern, Künstlern, Wissenschaftlern gespeichert, abrufbereit, unzählige Ereignisse und Geschichten. Und er konnte mitreißend lebendig erzählen. Dem enzyklopädischen Gedächtnis Stadtlers entsprach der Umfang seiner Bibliothek: Sie zählte Tausende von Bänden. Ein wichtiges pädagogisches Steuerungsinstrument bei seiner pädagogischen Arbeit war das Telefon: Er hat unzählige Probleme durch Telefongespräche mit Eltern, Lehrern und Schülern gelöst, zumindest „entschärft“.

Stadtler besaß ein Haus in England, in dem er sich sehr oft aufhielt, vorrangig natürlich in den Ferien. Er liebte diese Aufenthalte in England. Hier, in seinem Haus war er, wie er zuweilen sagte, am glücklichsten. Hier, bei seiner Frau und seinen beiden Söhnen, fand er Ruhe, Stille, hier war für ihn seine seelische Heimat, in der er Kraft tanken konnte. Ja, auch Michael Stadtler, der so überaus Aktive, Kraftvolle, Energiegeladene, auch er hatte einen ruhenden Mittelpunkt, eine starke Kraftquelle: die Liebe zu seiner Frau und seinen Kindern. Reisen nach England wurden aber auch zur Förderung der Schüler genutzt. Er nahm regelmäßig Schülergruppen mit, da mussten schon mal vier oder gar fünf Reisebusse geordert werden, denn alle wussten: Eine Reise mit Stadtler ist ein unvergessliches Erlebnis. Besonders die Oberstufen-Kursfahrten nach Schottland sind den Schülern in bleibender Erinnerung geblieben. Auch bei der Finanzierung dieser Reisen zeigte sich Stadtlers Organisationstalent: im Sammeln von Spendengeldern, um allen Schülern die Mitfahrt zu ermöglichen. Welches Problem auch immer anstand: Michael Stadtler fand eine Lösung, zumindest einen gangbaren Weg. Schülerreisen gingen auch sehr häufig als Austauschfahrten nach Aberystwyth in Wales und nach Ballenstedt – damals noch DDR. Er wollte auf diese Weise seinen Beitrag zum Gelingen der Städtepartnerschaften der Stadt Kronberg leisten und den Schülern die Wichtigkeit internationaler Verständigung im Alltag erfahrbar machen.

Ab den 90er-Jahren war Michael Stadtler die Betreuung von Flüchtlingen aus dem Balkan ein besonderes Herzensanliegen. Er betreute Flüchtlingskinder, die im Aufnahmeheim der AWO untergebracht waren, sorgte für deren Unterricht an der AKS und kämpfte ebenso leidenschaftlich wie erfolgreich für deren Bleiberecht, indem er sich an Landrat und Innenminister wandte. Die guten schulischen Leistungen dieser Kinder waren für ihn der schönste Lohn. Er kümmerte sich genauso intensiv um die Familien – bis hin zur Vermittlung von Arbeit. Auch in dieser Hinsicht leistete er vorbildliche Integrationsarbeit. Im Jahre 2006 ging Michael Stadtler in Pension. Nach einem überaus reichen, intensiven Arbeitsleben waren ihm noch zehn ruhigere, aber nicht weniger intensive Jahre mit seiner Frau und seiner Familie beschieden. Noch vier Wochen vor seinem Tod hat er für seine Frau Gitarre gespielt und mit ihr zusammen gesungen. „Kronberg hat einen vorbildlichen, großen und unverwechselbar herzlichen Menschen verloren, der sich als Lehrer um viele Generationen von Schülern überaus verdient gemacht hat“, so Amend.

Bürgermeister Klaus Temmen sowie die Vorsitzenden der beiden Partnerschaftsvereins, Dr. Ursula Philippi (Ballenstedt), und Dr. Barbara Reimer (Aberystwyth) würdigten sein ehrenamtliches Engagement: „Die Stadt Kronberg verliert mit Michael Stadtler einen engagierten Bürger, die beiden Partnerschaftsvereine ein verdientes Mitglied“, so Temmen. „Die Stadt Kronberg sowie die Partnerschaftsvereine Kronberg-Ballenstedt und Kronberg-Aberystwyth sind Michael Stadtler zu Dankbarkeit verpflichtet und werden ihm ein dauerndes ehrendes Andenken bewahren.“



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