Walter Sittler bewies: Dieter Hildebrandt ist aktueller denn je!

Der Schauspieler Walter Sittler erwies sich bei „Kabarett im Kino“, der gemeinsamen Veranstaltungsreihe vom Kronberger Kulturkreis und den Kronberger Lichtspielen, als hervorragender Interpret der Texte des unvergessenen Dieter Hildebrandt.

Foto: Wittkopf

Kronberg (pf) – Ja, er ist immer noch da – Dieter Hildebrandt, der Kabarettist und scharfzüngige Sprachjongleur, der nicht nur die Politik und ihre Akteure stets treffend aufs Korn nahm, sondern alle Aspekte des Lebens wie kein zweiter analysierte und mit teils kreativen Wortschöpfungen auf den Punkt brachte. Mittwochabend in der Reihe „Kabarett im Kino“ las der Schauspieler Walter Sittler unter dem Titel „Ich bin immer noch da“ Texte von Dieter Hildebrandt, die so verblüffend aktuell waren, als sei er immer noch aufmerksamer Beobachter des aktuellen Geschehens und hätte sie erst gestern geschrieben.

Sittler begann mit der Dankesrede von Dieter Hildebrandt, die dieser im Frühjahr 2013, in dem Jahr, in dem er im November starb, nach der Verleihung des Erich Kästner-Preises im Dresdener Schloss Albrechtsberg hielt. Erich Kästner, 1899 in Dresden geboren, starb 1974 in München. Er schrieb nicht nur Kinderbücher und humoristisch-zeitkritische Gedichte, sondern auch Texte für das Münchner Kabarett „Die kleine Freiheit“. Dort machte Dieter Hildebrandt erste Bekanntschaft mit dieser Kunstform, als er während seines Studiums in dem Theater als Platzanweiser arbeitete. Neben Kabarettgrößen wie Werner Finck, Robert Neumann und Oliver Hassencamp lernte er dort auch Erich Kästner kennen – eine Begegnung, die ihn so stark beeindruckte, dass er selbst Kabarettist wurde.

Kästner hatte gegen die deutsche Vergesslichkeit angeschrieben – Hildebrandt erinnerte in seiner Rede auch an viele Ereignisse, die für Wirbel in der politischen Szene gesorgt hatten. Dazu gehörte etwa die Spendenaffäre um Kanzler Helmut Kohl und den damaligen CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep – dem Publikum im Kino, wie seine Reaktion verriet, bestens bekannt, lebte dieser doch bis zu seinem Tod im vergangenen Mai in Kronberg. Hildebrandt schlug vor, jedem Politiker, damit er nicht Opfer von Bestechungsversuchen werde, jemanden zur Seite zu stellen, der ihm die Taschen zuhält – „ein Zuhälter eben“. Zu den „laufenden Akten“ der Spendenaffäre, die später nicht mehr aufzufinden waren, textete er „Helmut und der Reißwolf“. Und in Anspielung auf Helmut Schmidts Äußerung, wer als Politiker Visionen habe, solle zum Arzt gehen, sprach er von einer „Pro Vision“ in Millionenhöhe.

Es war herzerfrischend, in Walter Sittlers Lesung und Interpretation erneut Bekanntschaft zu machen mit Dieter Hildebrandts unverwechselbarer Sicht auf die Welt und seiner Art, Sprache und Begriffe umzudeuten. Den „(hinter)listigen Stotterspötter“, den „Jongleur der Sprache, Begriffe-Umdeuter, Sinn-Erkenner und Zauberer der Wörter“, wie ihn Kollegen bezeichnet hatten, ließ Walter Sittler noch einmal lebendig werden.

„Wer die Nadel nicht sieht, braucht auch keinen Heuhaufen“, zitierte er den Kabarettisten zu dem so lange unentdeckt gebliebenen „NSU-Killertrio“, sprach im Zusammenhang mit den Aufmärschen der Rechten von den dumpfen „Neo-SA-Horden“, fragte, ob es denn keinen Platz gebe, wo man Verkehrsminister Alexander Dobrindt parken könne, nannte Christian Lindner einen „Azubi aus den Restbeständen der FDP“, sprach vom „Verblödungskoeffizienten“ und gab Hildebrandts Erschrecken überzeugend Ausdruck bei der Erkenntnis: „Mein Gott – die wählen ja alle und werden wiedergewählt.“ Dabei sollten sie ihren Eid, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, durch Abtreten erfüllen.

Kaum ein Thema, das Walter Sittler mit Hildebrandts Texten ausließ, von Hartmut Mehdorn, der erst die Deutsche Bahn und dann den Hauptstadt-Flughafen an die Wand fuhr, über die 2005 aktuellen Schlagzeilen „Wir sind Papst“ und „Teufel hat Rücktritt erklärt“, gemeint war der Baden-Württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel, bis hin zur Justiz, den sogenannten Steueroasen und den Sportübertragungen im Fernsehen. Manche Politiker sollte man noch einmal in die Pfanne hauen – sie seien noch nicht ganz durch, zitierte der Schauspieler und schloss wenige Tage vor der Bundestagswahl mit dem Wunsch: „Hirn in Berlin – ja, das wäre schön“. Man merkte Sittler an, dass ihm am Herzen lag, was er da vortrug – hinter einem kleinen Tischchen auf einem Stuhl und seiner langen Beine wegen gleich auf mehreren Kissen sitzend. Und die Hochachtung und Verehrung für Erich Kästner teilt der Schauspieler mit dem Kabarettisten, war er doch schon mit mehreren Kästnerprogrammen auf Tournee.

Das Publikum in den Kronberger Lichtspielen genoss den Abend, amüsierte sich köstlich und applaudierte zum Abschluss begeistert. Walter Sittler bedankte sich mit mehreren kurzen Zugaben und signierte anschließend bereitwillig die Bücher, die Buchhändler Dirk Sackis von der benachbarten Bücherstube mitgebracht hatte.



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