18. Kulturnacht lockt deutlich weniger Gäste als gewöhnlich in die Stadt

Florian Wagner punktet als Klaviervirtuose, Sänger und Kabarettist. Fotos: Westenberger

Kronberg (mw) – Unvergessen sind sie, die Kronberger Kulturnächte, in denen Kulturfans durch die Altstadtgässchen zogen, das Programmheft in der Hand, um Zehntscheune, Stadtbücherei, Recepturkeller, Johanniskirche, St. Peter und Paul zum rechten Zeitpunkt für den nächsten vielversprechenden Programmpunkt anzusteuern. Während die einen den Plan akribisch abarbeiteten, um inhaltlich möglichst nichts zu verpassen, schlenderten die anderen entspannt mit einen Gläschen Wein in der Hand durch die Altstadtgassen, hatten sogar noch Zeit für eine vom Restaurant Zehnscheune offerierte Suppe und genossen die Kultur bis spät in die Nacht. Dann kam Corona und mit dem Virus die Reduktion der sozialen Kontakte auf ein Minimum. Mit den Folgen kämpft die Gesellschaft auch im dritten Jahr nach Ausbruch des Virus. So stand auch der 18. Geburtstag der Kronberger Kulturnacht wieder unter dem Covid-Stern. Zum wiederholten Male hatte sich die Geschäftsführerin des Kulturkreises, Dorothée Arden, entschieden, auf die Bespielung verschiedener Bühnen innerhalb der Stadt zu verzichten. Es sei nach wie vor schwierig gewesen zu planen, erläutert sie. Wer habe schon im August gewusst, ob Ende Oktober womöglich wieder Abstandsregeln gelten würden? Und auch nicht alle Menschen seien aktuell erpicht darauf, kleine Räume voller Menschen aufzusuchen.

Gleichzeitig war es genau das, was viele der Kulturfans vermissten. Sie wollten das typische Kulturnacht-Format zurück: die Wort-, Musik- und Körperakrobaten, feinabgestimmt auf verlockende, kleinere und größere Spielorte innerhalb der Stadt erleben. Viele gaben das als Grund an, warum sie sich nicht hinter dem Ofen hervorlocken ließen, um nach Kronberg in die Stadthalle zu kommen, wo vier Kleinkünstler in fester Reihenfolge ihr Können bewiesen.

Die Moderatorin des Abends, Lara Ermer, kommt mit einer Flut von Worten, Witz und Spott auf die Bühne, die sie auf das 95 Besucherinnen und Besucher zählende Publikum abfeuert, sodass sich keiner vor ihr auf seinem Stuhl verstecken kann. Unverblümt und selbstsicher berichtet sie von den Absurditäten des Alltags, dem nach wie vor allgegenwärtigen Sexismus – die Sprüche ihres Fahrlehrers seien dermaßen unter der Gürtellinie gewesen, dass sie das Autofahren gleich ganz aufgegeben hat. Sie tritt den Politikern auf die Füße, hinterfragt so manche Selbstverständlichkeit, mal liebevoll verpackt, mal schonungslos direkt. Dabei plaudert Lara Ermer scheinbar Banales frei heraus, doch schnell wird klar, sie macht sich Gedanken! Sie hat Sorge um so manche gesellschaftliche Entwicklung – zum Beispiel den Run auf Podcast-Serien über wahre Verbrechen – und regt ihr Publikum immer wieder zum Nachdenken an. „Warum müssen es echte Verbrechen sein? Warum reichen nicht ,Die drei ???‘ aus meiner Kindheit?“ Eine Freundin habe ihr darauf geantwortet, die Serien über die Verbrechen seien „so schön aus dem Leben gegriffen“. „Also aus meinem Leben sind sie nicht!“, empört sie sich. Und leider gebe es aber genügend Kollegen, die für eine eigene Netflix-Serie töten würden...

Den Förderpreisträger des Hessischen Kabarettpreises 2020, Christoph Fritz, muss sie an diesem Abend ebenfalls vertreten. Viele hatten sich auf sein Programm „Zärtlichkeit“ gefreut. Der Grund, warum er an diesem Abend fehlte, ist nicht schwer zu erraten. Corona machte ihm und dem Publikum einen Strich durch die Rechnung. Und so hat Lara Ermer, die die Kulturnacht-Gäste galant und wortgewaltig in Englisch wie in Deutsch anzukündigen versteht, mehr Zeit, um sich über die fehlenden Hosentaschen bei Frauen aufzuregen oder vorzutragen, warum sie mit ihrer Heimatstadt Fürth eine Art Hassliebe verbindet.

Kulturnacht-Gast Florian Wagner hat Corona ebenfalls noch als Thema seiner Bühnenshow: Was er die letzten Jahre zuhause so gemacht habe, ganz ohne Veranstaltungen, sei er oft gefragt worden. Wagner ist sowohl Klaviervirtuose als auch Sänger und Kabarettist. Von Schlager über Pop, Rock, Hip-Hop, Techno bis zu Klassik – Wagner spielt, erklärt und singt alles in einem flotten Wechsel, die Melodien sind bekannt, die Texte seine eigenen. Alle Themen, die ihn beschäftigen, werden zu Liedern gemacht, und deshalb erschallt nicht die „Dancing Queen“, sondern die „Social Distancing Queen“, und das Publikum singt mit... „Haben Sie sich immer schon gefragt, wie ,Atemlos’ klingen würde, wenn Mozart es gespielt hätte?“, fragt Wagner sein klassikbewandertes Publikum und lässt Helene Fischers Stimme auf dem Piano erklingen. Auch Pippi Langstrumpf wurde – dieses Mal von Tschaikowski – von ihm neu vertont. Seinem Publikum gefällt‘s, „der kann was“, so die einhellige Meinung, und gespannt wartet man noch auf Beethoven und Bach, die dürfen natürlich nicht fehlen: „The Final Countdown“, in der Bach-Version, darauf muss man erst mal kommen...

Allen voran gefeiert wird innerhalb dieser kleinen Kulturnacht das Duo „Band Art“ mit „Dancing Graffiti“ aus Ungarn. Auch wenn der frenetische Jubel eines extatischen Publikums, den es zu früheren Kulturnächten durchaus schon gab, ausbleibt. Choreographin Katalin Lengyel tanzt interagierend mit dem Hintergrundbild, einem digitalen Graffiti. Was nur von den ersten Reihen aus zu erkennen ist: Die entstehende Graffiti-Kunst, in deren Zentrum eine wechselnd zärtliche, öffnende, helfende, reichende, leitende, dann wieder abweisende, schlagende, zerrende, bedrohliche Hand steht, wird von ihrem Partner vor der Bühne, am digitalen Mischpult interagierend, live eingespielt. Er ist es, der die Handbewegungen auf die digitale Leinwand bringt, dabei noch zeichnet und die richtigen Knöpfe bedient, um auf der Bühne eine virtuelle, dreidimensionale Welt zu schaffen, die die Zuschauer von der ersten bis letzten Minute in ihren Bann zieht. Es ist gleichermaßen betörend wie verstörend, wenn Katalin Legel im expressiven Tanz mit der digitalen Hand kokettiert und wenig später zur Action-Heldin im Computerspiel mutiert, in dem sie Runde um Runde für den Sieg und gegen die Vernichtung kämpft.

Amüsanter, aber nicht weniger beeindruckend ist die Darbietung des Duo El Retrete des Dorian Gray aus Spanien mit „Retrete Cabarete“ Sie lassen magisch-pantomimisch erst Ballons zu Puppen werden, die sie dann plötzlich zum Leben erwecken und in die Herzen der Zuschauer tanzen lassen.

Nach diesem vielseitigen Strauß an Kleinkunst spazieren diejenigen, die ihr bequemes Sofa, ein gutes Buch oder die neueste Netflixserie gegen diesen Mix an Unterhaltung zur 18. Kronberger Kulturnacht eingetauscht haben, bestens unterhalten nach Hause.

Karten für alle Veranstaltungen – die Kulturfans dürfen sich noch auf einige vor Weihnachten freuen – erhalten Interessierte online unter www.kronberger-kulturkreis.de oder für die Reihe Kabarett im Kino direkt in den Kronberger Lichtspielen, für alle anderen Abende an allen offiziellen VVK-Stellen – in Kronberg ist dies die Kronberger Bücherstube – und natürlich an der Abendkasse.

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