Annys Hartmanns Jahresrückblick mit Augenzwinkern

Kronberg (aks) – Anny Hartmann macht eine gute Figur im Kino Kronberg vor rotem Vorhang ganz in Schwarz mit blauen Schuhen („Sind die nicht schick?“). In forschflottem Schnellsprechtempo absolviert die studierte Volkswirtin einen Jahresrückblick, der es in sich hat und bei dem jeder der Akteure sein Fett weg bekommt. Ohne regelmäßige Zeitungslektüre und parteipolitisches Grundwissen wäre man schnell verloren. Sind deshalb so wenige junge Menschen in den Reihen zu sehen oder ist Politik kein Thema für jugendliche Unterhaltung? Wie auch immer die Meldungen des letzten Jahres lauteten, ob gut oder schlecht, Anny Hartmann hat gründlich recherchiert, denn „ich interessiere mich für die Fakten dahinter, das ist mein Hobby“. Mit einem rasanten Rap als Einheizer bringt sie ihr Publikum in Stimmung. Der Refrain lautet „Hase, du bleibst hier!“, der sich später auch als Leitmotiv durch ihren Comedy-Abend zieht. Von Flüchtlingen, die an allem schuld seien, Demokratie und Vogelschiss, über Hitzewelle und Hambi, Me too und Armut, landet sie bei der Demo in Chemnitz, wo ein junger Nazi auf die Jagd nach Ausländern gehen will, bis die Freundin im Befehlston sagt: „Hase, du bleibst hier!“, und er bleibt gehorsam daheim. Hartmann schüttelt den Kopf: „Dass das mit den Rechten so einfach ist...“

Dann atmet sie kurz durch und startet durch – ganz analytisch, Monat für Monat. Gute Meldungen erwähnt sie zuerst und geht dann kritisch in medias res. Ein böser Quickie steht für besondere Aufreger in den Nachrichten, und die Zuschauer müssen jedes Mal ein Zitat erraten – Chapeau, alle sind auf Zack! Als Belohnung hagelt es dann kleine Schokoladenstücke. Das ist ungemein unterhaltsam und interaktiv – sie zielt auch schon mal daneben...

Jahresbeginn

Das Jahr begann gut mit der Nachricht „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, aber nur in Island. Frauen liegen der Kabarettistin offensichtlich am Herzen bzw. sei die Gleichberechtigung noch längst nicht am Ziel. „Warum verdienen Frauen weniger? Weil sie sich Berufe aussuchen, wo weniger bezahlt wird. Warum verdient ein Fußballer hundert Mal mehr als eine Krankenschwester? Na klar, weil sie nur Menschen pflegt und keine Tore schießt!“

Der Dieselskandal, der außer mit Betrügereien der Auto-Hersteller auch mit Dieselabgasen, die an Affen getestet wurden, für Aufruhr sorgte („Test an Affen von Affen für Affen: Klappe zu, Affe tot!“), zählt zu den vernichtenden Nachrichten. Nach langen Verhandlungen und Schuldzuweisungen dann der scheinheilige Kompromiss: „Einfach neues Auto kaufen, und wenn sich die Grenzwerte nicht einhalten lassen, so Merkel, dann müssen sie halt runter. Deutschland ist schließlich Autofahrerland.“

Folgendes Zitat wurde in Nullkommanichts dem Richtigen zugeordnet, nämlich FDP-Chef Lindner zur Regierungsbildung: „Es ist besser nicht zu regieren als falsch zu regieren.“ So entzog er sich jeglicher Verantwortung. Auf ihn bezieht sich deshalb das Jugendwort 2017: „lindnern“.

Die Freilassung des Journalisten Denis Yücel aus dem türkischen Gefängnis wurde in Deutschland gefeiert, für Staatspräsident Erdogan hat Anny Hartmann allerdings nur harsche Worte. Im März wurde das Baukindergeld beschlossen, aber warum: „Bau dir doch ein Haus, wenn du dir die Miete nicht leisten kannst, oder wie?“ Hartmann wird deutlich: „Den Reichen wird gegeben, den Armen wird genommen“.

Im April kommt dann die wirklich gute Nachricht aus Bayern: „Endlich sind wir sicher!“ Hartmann erklärt mit beißendem Fachwissen: Zur Vorbeugung von Straftaten wurde der Wechsel von konkreter zu drohender Gefahr beschlossen, abhören sei jetzt also erlaubt – bei drohender Gefahr. „Also jeder, der an der roten Ampel steht, drohe ja über die Straße zu gehen und könne nun schon dafür bestraft werden?“ Sie fasst sich an den Kopf.

Dass in Toronto ein Frauenhasser, ein „unvoluntary celibate“, Amok läuft, findet Anny Hartmann befremdlich, schließlich gelte doch die alte Regel: „Wer poppen will, muss freundlich sein!“ Dazu gleich die gute Nachricht: Im Mai hat Schröder zum fünften Mal geheiratet: „Muss der freundlich sein!“

Fußball und Flüchtlinge

Und dann der Aufreger: Fotos von Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Präsidenten Erdogan kurz vor der WM-Nominierung sorgen für Medienrummel. Und schon schießt sich die Satire-Expertin auf das Thema „Rassismus“ in Deutschland ein, das ihr auf den Nägeln brennt. Ihr widerstrebt das Verhalten des DFB, dessen Funktionären und vieler Fußballer und Fußballfans, sie findet treffende Worte für deren Verhalten, nämlich „unsportlich und blamabel“. Wenn ein Spieler permanent auf dem Feld ausgepfiffen werde („Pfiffe sind Rassismus!“), wie soll er da siegen, geschweige denn gut spielen – und von wegen Nationalhymne, die haben ja auch schon vor Özil einige deutsche Spieler verweigert. Deutschland war dann aus der WM ganz schnell draußen und schuld sei „der Özil“ gewesen – einer allein? Nicht das Team? Nein, Fußball und Moral passten für sie nicht zusammen.

Richtig lustig und laut wird Hartmann, als sie auf den BAMF-Skandal zu sprechen kommt, auf den sich Seehofer „eingegroovt“ habe: Mit dicken Backen gibt sie ein „Humtata“ als „BAMF-tata“ zum Besten – Seehofers Begrüßung im Bierzelt. Und wie sehr er sich gefreut habe, der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, als an seinem 69. Geburtstag 69 Afghanen abgeschoben worden seien. Auch zum Thema Flüchtlingskriminalität habe sie genauestens recherchiert, denn immer wieder werde der Anstieg der Kriminalität betont: „Wenn man mal die Kriminalität der 18- bis 21-jährigen Deutschen (mit deutschen Pass) mit denen der Zuwanderer vergleiche, so kommt man in beiden Fällen auf 8 Prozent. Kriminalität hängt also vor allem vom Alter ab!“.

Ganz allgemein vermisse sie bei diesem Thema die Empathie mit den geflüchteten Menschen, die alles verloren haben, und von denen die meisten gar nicht bis nach Deutschland kommen, sondern unter katastrophalen Umständen in afrikanischen Lagern hausen oder zu Zehntausenden jedes Jahr im Mittelmeer ertrinken. Sie wird hellhörig – und bitterböse – schon bei der Wortwahl: Asyltourismus und Antiabschiebeindustrie seien für sie „seelenlose Unworte“: „Die Verrohung der Worte führt zur Verrohung der Politik“. Bei dem Thema versteht sie keinen Spaß. Sollten die Flüchtlinge im Meer ertrinken, sozusagen als Warnung, dass sie die Flucht lieber lassen sollten? „Das ist nicht diskutabel“. Ertrinkende müssten vor dem Tod gerettet werden, so gebietet es die Menschlichkeit. Nach dieser Logik hätte man auch die Jungs in einer Höhle in Thailand ertrinken lassen können, als Warnung bei Unwetter niemals Unterschlupf in einer Höhle zu suchen. „Man kann doch nicht alle aufnehmen“ – der Spruch nerve sie, schließlich seien wir davon weit entfernt, unsere Lager hätten wir ja nach Afrika einfach outgesourct.

Noch eins möchte sie klarstellen: „Die Rechten sind nicht in der Mehrheit! Tausende gehen regelmäßig auf die Straße, weil sie gegen die AfD und die rechten Parteien sind. Hoffnung ist ansteckend. Die Welt ist besser als ihr Ruf.“

Heißzeit

Der Sommer war heiß, keine Frage, ihr Lieblingswitz zur Hitze geht so: „Jahrelang mussten Kinder ihre Teller aufessen, damit die Sonne scheint, und heute haben wir eine Hitzewelle und zu dicke Kinder“. Sie hat die Lacher auf ihrer Seite.

Das Zitat „die Migration ist die Mutter aller Probleme“ ist gelöst, bevor die Entertainerin es ausgesprochen hat. „Der Voll-Horst hat es nicht kapiert, seine Mutter ist das!“

Wenn es immer heißt, die Islamisierung gefährde unsere Gesellschaft, kontert Hartmann, die Bajuwarisierung der Gesellschaft mache ihr mehr Angst. „Gegen gefühlte Wahrheiten helfen keine Fakten“. Aus Protest gingen die Rechten auf die Straße, hört man immer wieder. „Wenn dir dein Bier nicht schmeckt, trinkst du auch nicht aus der Kloschüssel“, so ihr bissiger Kommentar. 467 verurteilte Rechtsextreme seien im Untergrund verschwunden, das mache ihr richtig Angst.

Im Oktober, ein Jahr nach der ME TOO-Bewegung, wurde Brett Kavanaugh zum Richter auf Lebenszeit gewählt, ein Mann, der wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt worden war. „Interessant dieser Sympathieüberschuss für Männer!“ Eins will die Kabarettistin klarstellen: „Es geht bei der Debatte um sexuelle Übergriffe und nicht um Komplimente oder ums Flirten. Griffige Formel: Männer können jedes Kompliment machen, aber nicht, wenn sie die Hände dazu brauchen.“ Und auch beim Paragrafen 219, Werbung für Abtreibung, ist sie ganz bei den Frauen. Wie soll denn Werbung gehen: „Alles muss raus? Zwei für eins?“ Wieso würden immerzu Frauen genötigt, zu einer Beratung zu gehen, ohne die eine Abtreibung im Übrigen rechtswidrig ist – plus einer Bedenkzeit von drei Tagen? „Als könnten die Frauen nicht denken –Schwangere erst recht nicht!“ Drogenabhängige würden nie zu einer Beratung gezwungen.

Als „Auftragsmörderinnen“, Zitat Papst Franziskus, führen die Schwangeren dann lieber wieder nach Holland. Die Katholische Kirche sei schon immer gegen Abtreibung gewesen:

„...sonst gebe es ja bald keine frischen Messdiener mehr“. Weihnachten war auch wieder so schön. Frage: Was wäre, wenn die Heiligen Drei Könige Königinnen gewesen wären? Hartmanns Antwort: Sie wären pünktlich gewesen, weil sie nach dem Weg gefragt hätten. Sie hätten bei der Geburt geholfen und sie hätten den Stall sauber gemacht. Und auf dem Nachhauseweg hätten sie schön getratscht: „Hast du die Sandalen zur Tunika gesehen? Jungfrau, dass ich nicht lache. Jesus sah Josef aber gar nicht ähnlich...“

Ausblick 2019

Einen Schlachtruf für 2019 hatte Anny Hartmann ebenfalls dabei: „Die Mehrheit das sind wir! Hase, du bleibst hier!“ – und als Ermunterung für den Nachhauseweg: „Der Mensch ist besser als sein Ruf.“ Gut informiert in allen Fragen der Parteipolitik und der Statistiken resümierte die Volkswirtin, der die Geschlechtergerechtigkeit noch nicht weit genug geht, bissig die Lage der Nation. Sie macht aus ihrem Herzen keine Mördergrube und gibt offen zu, dass sie den Rechtspopulismus für gefährlich hält und Angst vor Nazis und Rassismus hat. Ein bisschen mehr Mitgefühl mit den Fremden in unserem Land stände den Deutschen gut zu Gesicht, damit es nicht wieder so dunkel wird, wie es in diesem Land einmal war.

In forschflottem Schnellsprechtempo absolviert die studierte Volkswirtin ihren Jahresrückblick.
Foto: Sura



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