Kronberg (pf) – Freitagnachmittag um 15 Uhr trafen sie sich zum ersten Mal. Zwei Tage später bereits führten sie zusammen so hervorragend Kammermusik auf, dass sich einige der zahlreich erschienenen Zuhörerinnen und Zuhörer zu Bravorufen hinreißen ließen. Dabei waren es herausfordernde Stücke, wie Cello-Dozent Benedict Kloeckner beim Abschlusskonzert anmerkte, die den sieben jungen Streicherinnen und den vier jungen Streichern höchste Konzentration, Spielfreude und ihr ganzes Können abverlangten.
Zum 34. Mal fand am vergangenen Wochenende in den Museumsräumen der Streitkirche das von Ulrike Crespo und ihrer Crespo Foundation initierte und getragene Kammermusikprojekt der Kronberg Academy „Mit Musik – Miteinander“ statt. Dazu waren elf junge Musikerinnen und Musiker im Alter zwischen 13und 19 Jahren nach Kronberg eingeladen worden, die sich bei anspruchsvollen Wettbewerben wie dem deutschen Bundeswettbewerb von „Jugend musiziert“, dem österreichischen „prima la musica“ und dem „Schweizerischen Jugendmusikwettbewerb“ erste Preise erspielten. Einige von ihnen sind zudem Mitglieder des renommierten Bundesjugendorchesters.
Auf dem Probenplan standen der erste Satz aus dem Streichsextett A-Dur op. 48 von Antonín Dvorák, zwei Sätze aus der Serenade für Streichtrio D-Dur op. 8 von Ludwig van Beethoven, der erste Satz aus dem Streichquartett F-Dur op. 35 von Maurice Ravel, der erste Satz aus dem Streichquintett C-Dur D 956 op. post. 163 von Franz Schubert, zwei Sätze aus der Serenade für Streichtrio C-Dur op. 10 von Ernst von Dohnányi und der vierte Satz aus dem Streichsextett Nr. 1 B-Dur op. 18 von Johannes Brahms.
Dozenten waren neben dem 1989 im rheinland-pfälzischen Neuwied geborenen Benedict Kloeckner die Geigerin Christel Lee, die 1990 in den USA zur Welt kam, und der 1991 in Frankreich geborene Bratschist Adrien Boisseau. Alle drei studierten an der Kronberg Academy: Christel Lee von 2012 bis 2014 bei Ana Chumachenco, Adrien Boisseau von 2013 bis 2015 bei Nobuko Imai und Benedict Kloeckner, 2010 Gewinner des „Grand Prix Emanuel Feuermann“ in Berlin, von 2012 bis 2016 bei Frans Helmerson und Gary Hoffman. Alle drei sind inzwischen anerkannte Nachwuchskünstler, die als Solisten Konzerte mit bekannten Orchestern und Dirigenten geben, zu namhaften Festivals eingeladen werden und zahlreiche internationale Preise gewannen.
Alle drei waren zudem in den Jahren 2010, 2012 und 2018 „Juniors“ beim weltweit einmaligen Kammermusikworkshop der Kronberg Academy „Chamber Music Connects the World“, der großen Schwester von „Mit Musik – Miteinander“. Was sie damals im gemeinsamen Musizieren mit den „Seniors“, alle herausragende und weltberühmte Musiker unserer Zeit, an Erfahrungen sammelten und lernten, konnten sie jetzt an die Jüngeren weitergeben.
„Für die einen ist es lernen, die anderen können erste Lehrerfahrungen machen“, sagte Raimund Trenkler Sonntagnachmittag zu Beginn des Abschlusskonzerts. Denn gemeinsam zu musizieren, betonte er, sei Kommunikation und erfordere von allen Respekt – füreinander und für die Musik. Etwas, merkte er an, was er bei vielen Politikern heutzutage vermisse. Kammermusik zu machen erfordere aber auch, aufeinander zu hören und achtsam miteinander umzugehen, denn das Ganze sei mehr als die Summe der Einzelteile.
Ihre Stimmen und Partituren in den jeweiligen Werken, in denen sie mitspielten – einige wirkten in zwei Stücken mit, andere in drei oder sogar vier Stücken –, hatten die Teilnehmer von „Mit Musik – Miteinander“ bereits sorgfältig einstudiert, als sie nach Kronberg kamen. Damit aber aus den Einzelstimmen ein Ganzes, ein lebendiges Stück Kammermusik werden konnte, das erforderte von Dozenten wie Schülern intensive Probenarbeit, mit der gleich nach dem Kennenlernen am Freitagnachmittag begonnen wurde. Dabei wurde von allen ein hohes Maß an Sensibilität und Flexibilität verlangt, denn nach jeweils einer Stunde stand eine andere Komposition mit einem ganz anderen Charakter auf dem Probenplan, häufig obendrein noch ein anderer Dozent, der ganz anders unterrichtete, andere Schwerpunkte setzte und auf den sie sich einstellen mussten.
Wie schwierig manchmal das Einstudieren einzelner Stimmen und Passagen sein kann, das konnten interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer hautnah miterleben, denn wie immer waren alle Proben öffentlich. „Dein Ton ist ein bisschen zu hoch“, fand Dozent Adrien Boisseau, an die Geigerin im Streichtrio des ungarischen Komponisten Ernst von Dohnányi gewandt. Als der Ton stimmte, hatte er einen weiteren Wunsch. „Kannst du das auswendig spielen?“, schlug er vor und klappte ihr Notenblatt zu. Und plötzlich, als ihr Blick nicht mehr am Notenbild hing, ging es viel besser mit dem Zusammenspiel, insbesondere als der Satz vor dem Ausklingen am Ende allmählich langsamer werden sollte.
Antonín Dvoráks einziges Streichsextett, mit dem der musikalische Ausklang Sonntagnachmittag so hinreißend begann, erforderte bei den Proben ebenfalls intensives Aufeinanderhören. Dozentin Christel Lee ließ ihre fünf Eleven das Allegro moderato zunächst deutlich langsamer spielen, um die einzelnen Stimmen besser herausarbeiten zu können. „Alles pianissimo oder piano“, forderte sie und machte deutlich, wann eine Stimme die Führungsrolle zu übernehmen hatte und wann sie nicht so wichtig war, quasi die Begleitungsrolle spielte. „Könnt ihr das mal wie ein Solo spielen?“, fragte sie die zweite Violine und die zweite Viola und erklärte wenig später bei einer schwierigen Phrase, bei der es unterschiedliche Einsätze gab: „Ihr dürft mir nicht folgen und ich darf euch nicht folgen.“ Sie machte aber auch klar, dass Blickkontakt beim Zusammenspiel nicht immer hilfreich ist: „Wenn du zu mir schaust, bist du immer zu spät“, wandte sie sich an den ersten Cellisten. Als dieser den Rat beherzigte, klappte das Zusammenspiel plötzlich exakt.
Für die jungen Musikerinnen und Musiker, die gemeinsam mit Benedict Kloeckner das Streichsextett von Johannes Brahms einstudierten, stand Samstagnachmittag eine besondere Herausforderung auf dem Probenplan: Sie gaben in den Räumen des Emanuel Feuermann Konservatoriums unter dem Dach der Receptur mit der Aufführung des Rondos gleichsam als Dankeschön ein Sonderkonzert für die Gastfamilien, die auch dieses Mal wieder bereitwillig die jungen Streicherinnen und Streicher bei sich aufgenommen hatten.
Anschließend spielte Benedict Kloeckner das Präludium aus der sechsten Suite für Violoncello solo von Johann Sebastian Bach, eine Erinnerung an Mstislaw Rostropovich, dessen Todestag sich am Samstag zum zwölften Mal jährte. In den vergangenen Jahren bis zu seinem zehnten Todestag hatte die Kronberg Academy an diesem Tag jeweils zu einer sehr lebendigen „Verabredung mit Slava“ an die Büste des großen Cellisten im Schulgarten eingeladen und anschließend in die Stadthalle zu einem Benefizkonzert zugunsten der 1997 in Kronberg ins Leben gerufenen Rostropovich Cello Foundation.
Das Ergebnis der vielen Stunden intensiver Probenarbeit konnten Gastfamilien und Musikliebhaber beim Abschlusskonzert Sonntagnachmittag erleben und genießen. „Wir hatten wenig Zeit, man muss schnell lernen im Musikberuf, aber es hat viel Spaß gemacht“, meinte Adrien Boisseau, der schon im vergangenen Jahr Dozent bei „Mit Musik – Miteinander“ war. Ähnlich äußerten sich auch Christel Lee, die zum ersten Mal als Dozentin dabei war, und Benedict Kloeckner. Spannend, intensiv und herausfordernd empfand er das gemeinsame Einstudieren und lobte die Offenheit und den Willen der jungen Musikerinnen und Musiker sich anzupassen, um gemeinsam etwas zu erreichen.
Ein besonderer Dank ging an Uwe Opper, der schon zum 34. Mal die Räume in der Streitkirche für das Kammermusikprojekt zur Verfügung stellte, an Ulrike Crespo und ihre Crespo Foundation für die Idee und Finanzierung des Projekts sowie an das Team der Kronberg Academy für die Ausrichtung und Organisation der Veranstaltung. Die Dozenten erhielten als Dankeschön jeweils einen Blumenstrauß, die jungen Musikerinnen und Musiker, wie es bei der Kronberg Academy Tradition ist, zum Abschluss eine rote Rose.