Kronberg (hmz) – „Hilf mir, es selbst zu tun. Zeig mir, wie es geht. Tu es nicht für mich. Ich kann und will es allein tun. Hab Geduld, meine Wege zu begreifen. Sie sind vielleicht länger, vielleicht brauche ich mehr Zeit, weil ich mehrere Versuche machen will. Mute mir Fehler zu, denn aus ihnen kann ich lernen.“ Dies sind wohl die meistzitierten Sätze der Erziehungspädagogik von Maria Montessori und Teile ihres Konzepts finden sich heute in fast allen Regeleinrichtungen wieder – von der Krippe bis zur Schule. Warum das so ist, darauf findet die neue Montessori-Schulleiterin, Christina Schiemann, eine klare Antwort: „Neben der reinen Wissensvermittlung legen wir den Fokus auf die Werteerziehung und dabei setzen wir unsere Prinzipien etwa bei den Entwicklungsbedürfnissen der Kinder im jeweiligen Alter sowie bei der individuellen Lernbegleitung um.“ So wird den Eltern ein Kindergarten, ein so sogenanntes „Kinderhaus“ bis zum Schuleintritt angeboten, weiterführend in die Grundschule bis zur vierten Klasse. Bei einem Blick in die Klassenräume zeigt sich, dass diese klar strukturiert und nach Interessensgebieten aufgeteilt sind. Offenbar haben alle Dinge ihren festen Platz, die Regale sind offen und ermöglichen es den Kindern, die typischen Montessori Materialien selbständig und nach eigenem Interesse herauszunehmen. „Durchdachtes Material hilft beim Lernen“, so die Schulleiterin. Im offenen Unterricht gebe es keinen strengen Lehr- oder Stundenplan, sondern es werde frei gearbeitet und jedes Kind folge dabei seinem eigenen Lerntempo. In den ersten Unterrichtsstunden von 8 bis 11.30 Uhr steht Freiarbeit auf dem Stundenplan. Und noch etwas ist anders als an den Regelschulen: altersgemischte Gruppen. Sie würden soziales Lernen ohne Wettkampf und Konkurrenz ermöglichen. Die Klassenstärke sehe bis zu 25 Kinder vor, die von zwei Pädagoginnen oder Pädagogen innerhalb dieses Zeitrahmens unterrichtet würden. Danach gibt es zwei Stunden lang einen jahrgangshomogenen Unterricht in den Fächern Sport, Musik, Kunst und Ethik. Für alle ab der dritten Klasse wird zusätzlich das Fach Englisch unterrichtet. „In den unteren Klassen nehmen wir uns die Zeit für eine gezielte Deutschförderung.“ Nach dem Unterrichtsende wird ein gemeinsames Mittagessen angeboten, das rund 70 Prozent der Schulkinder nutzen, und ein Betreuungsangebot bis 16.30 Uhr.
„Die Lehrerinnen und Lehrer haben den Kindern gegenüber eine respektvolle Haltung, was nicht heißt, dass es bei uns keine Regeln und Grenzen gibt“, so Christina Schiemann, die seit Januar zusammen mit der Geschäftsführerin Edna Wollenweber den Schulbetrieb sehr erfolgreich führt. „Wir tragen die Verantwortung für die Umgebung und begleiten die Einhaltung der Regeln. Auch bereiten wir die Kinder auf die Lebenswirklichkeit vor und haben die Verpflichtung, sie auf die weiterführende Schulen vorzubereiten.“ Was so viel heißt wie, dass mit dieser Lehr- und Lernmethode das Ziel ebenso erreicht wird, nur mit einem anderen Ansatz, der deutlich kindgerechter scheint. In Montessori-Schulen, die staatlich genehmigt sind, geht es um das selbstbestimmte und individualisierte Lernen der Kinder. Daraus sollen mehr Freude, Motivation und Eigeninitiative in den Vordergrund rücken und somit soll die Leistung ansteigen. Es geht darum, das Verantwortungsbewusstsein, die Selbstständigkeit und die Eigenverantwortung zu entwickeln und zu fördern. Ist es nicht das, was sich die meisten Eltern für ihr Kind wünschen? Christina Schiemann hat es in ihrer beruflichen Laufbahn an einer „Förderschule für emotionale und soziale Entwicklung“ im Primärbereich mit „extrem auffälligen Kindern“ ganz anders erlebt. „Diese Arbeit hat mich aufgefressen, allerdings habe ich mir ein großes Verhaltensrepertoire angeeignet, wie ich auf welche Situation reagieren muss“. Später habe sie Kinder mit dem Förderschwerpunkt Lernen und Kinder mit körperlichen und motorischen Einschränkungen betreut. Sie war Lehrerin in Nordrhein-Westfalen und siedelte mit ihrer Familie nach Hessen um. „Meine Förderschulstelle wurde hier nicht anerkannt, ich musste mich erneut auf eine Lehrerstelle bewerben mit einer Probezeit von zwei Jahren“, die Berufserfahrung der Vierfach-Mutter wurde nicht anerkannt. An einer Bad Homburger Grundschule richtete sie eine inklusive Klasse ein und entwickelte Möbel für einen individuellen Unterricht sowie ein dazu passendes Konzept. Die Corona-Pandemie setzte dem ein Ende und wieder an die Schule zurückgekehrt, waren die Möbel aus den Klassenzimmern in den Keller geräumt worden.
„Mir fehlte also die Unterstützung seitens der Schule. Ich musste akzeptieren, dass das nicht gewollt war und nahm das zum Anlass, mich neu zu orientieren.“ Die Möbel und das Unterrichtskonzept dahinter werden heute aber durch ein holländisches Unternehmen verkauft und begeistern andere Schulen.
Als neue Schulleiterin hat sie jetzt die Möglichkeit, analog zum Montessori-Konzept, eigene Ideen wie eben „individuelle Arbeitsplätze“ zu entwickeln, auf denen Kinder stehen, knien oder liegen können. „Wir kommen damit ihrem Bewegungsdrang entgegen. Dadurch ist viel mehr Ruhe in den Klassen und sie lernen in einer entspannten Atmosphäre.“
Damit setzt Christina Schiemann einen weiteren Baustein der Montessori-Schule um: „Nicht das Kind sollte sich der Umgebung anpassen, sondern wir sollten die Umgebung dem Kind anpassen.“ Die neue Schulleiterin ist sich darüber bewusst, wie privilegiert Kinder in dieser Art von Kindergarten und Schule aufwachsen dürfen, die Kosten müssen die Eltern privat aufbringen. Viele wünschen sich so ein Schulsystem für ihre Kinder – meistens bleibt es beim Wunsch.
Christina Schiemann erklärt den Kindern den sachgerechten Umgang mit dem Lernmaterial.
Bloxi im Kreis ist ein Beispiel für ihre selbst entworfenen Möbel. Fotos: privat