Kronberg (aks) – Mit dem Schalk im Nacken und funkelnder Schlagfertigkeit begrüßt Michael Quast launig in langer bordeauxroter Robe das zahlreiche Publikum im Victoriapark zum „herrlichen Herbst“. Der Auftakt der Veranstaltungsreihe Musik/ver/Dichtung im Park blieb trocken, und die Erleichterung auf allen Seiten war spürbar. Der Wettergott hatte wohl ein Einsehen mit der Kunst im Freien und schon waren die Regenschauer des Tages – ja, des Sommers – vergessen. „Barock nochmal!“, das klingt wie ein schelmischer, fast trotzköpfiger Ausruf, der die Epoche des 17. Jahrhunderts heraufbeschwört, die von Leben und Tod, Diesseits und Jenseits, von Tugend und Wollust handelt. Die bildhafte und opulente Sprache des Barock scheint wie geschaffen für den Meister der Schauspielkunst, Michael Quast, der an diesem Abend in die Rolle des Cyrano de Bergerac schlüpft – ein Schelm oder wohl doch eher ein Tunichtgut und „Stalker“ (wie wir es heute nennen würden)? Davon zeugen die ausgewählten Briefe an „Madame“, die Quast süßlich schmeichelnd, aber auch drohend und donnernd vorliest – mit der devoten Unterschrift: „Ihr Diener, Ihr Sklave“. Da geht es nicht gerade zimperlich zur Sache: Von „Feuer aus glühendem Eis“, von der Krankheit „Amor“ von „doppelten Herzen“, ist schmachtend die Rede – ob solche „Schmeicheleien“ das Herz der Angebeteten erweichen? Für den aufgeklärten Zuschauer klingt es eher wie plumpe Anmache eines lästigen Verehrers. Derbe Sprache, die von „grausamer Pein“ fabuliert, von der „Gewalt über mein Leben und Tod“ und die „der Seele Grausamkeit“ vorwirft – das klingt eher nach pathologischem Narzissmus, in dem Liebe und Tod eine lebensgefährliche Beziehung eingehen: „Wie kann man leben, wenn man sein Herz weggegeben hat? Geben Sie mir Ihres!“ Wohlbemerkt geht es hier eigentlich um Liebe, vor der sich „frau“ lieber hüten sollte. Cyrano de Bergerac, als Film mit Gerard Dépardieu den Meisten bekannt, wurde durch seine leidenschaftlichen Briefe berühmt, aber auch durch den ersten „Science Fiction“-Roman in der Literatur, der von einer Reise zum Mond handelt. Der Freidenker wurde mit 36 Jahren ermordet, so munkelt Quast, der als Cyrano, auch ohne große Nase, sein Publikum prächtig unterhält und der die Auftritte der Meisterschülerinnen und -schüler der Kronberg Academy als eleganter Conférencier ankündigt. Die jungen Sterne am Musikhimmel zeigen voller Freude ihr virtuoses Können: Anouchka Hack brilliert souverän mit Bachs Suite Nr. 2 für Violoncello. Anca Lupu am Klavier ist die fabelhafte Begleitung von Marie-Astrid Hulot für Bachs Violinsonate E-Dur. Der Zauber der Musik erfasst auch die Spaziergänger, die staunend innehalten und lauschen – im Hintergrund lachen spielende Kinder. Alexander Warenberg und Ivan Karizna bestehen den Wettstreit in der Sonate für zwei Violoncelli von Jean-Baptiste Barrière, die sie in einem atemberaubenden Tempo und mit viel Leidenschaft spielen, den Zuschauern stockt fühlbar der Atem. Das leuchtende Finale, eine Passacaglia für Violine und Violoncello von Händel nach einem Arrangement von Johan Halvorsen, energisch und schwungvoll interpretiert von Marie-Astrid Hulot und Alexander Warenberg, begeistert die Zuschauer und bringt das Blut noch einmal (wärmend) in Wallung. Die Verbindung von intimer Musik mit der Macht der Sprache in der Weite der grünen Natur, wo es in diesem unbeständigen Sommer auch immer mal wieder nass und ungemütlich werden kann, macht den Reiz dieser neuen Kunstform aus, die allen alles abverlangt. Nicht nur Kreativität, sondern auch Spontanität – mit und ohne Regenschirm! Michael Quast von der „Fliegenden Volksbühne Frankfurt Rhein-Main“, der als „hessischer Molière“ Theatergeschichte machte, schöpft aus dem Vollen: Charismatisch und bravourös gelingt ihm die „Verdichtung“ von Literatur und Weltmusik mitten im Park – und es gelingt ihm, die Menschen zum Lachen zu bringen, frei nach Molière: die größte Kunst. Das schafft er auch nonverbal mit Grimassen und Geräuschen. Der Klassik und der Romantik widmet er in weiteren Veranstaltungen in Kooperation mit der Kronberg Academy sein Talent, begleitet von schönster Kammermusik. Die Zuschauer sollen „entführt werden in andere Zeiten, Länder und Sitten“ lautet das Versprechen. So klingt der Sommer auf der Victoriabühne im Park, die dieses Jahr zehn Jahre alt wird, noch bis Ende August. Auch im Programm und äußerst vielversprechend: „Bridges“ mit Ensembles aus Syrien, Kolumbien, Iran, Griechenland und Deutschland. Neue Musik, die auch junge Menschen und internationale Gruppen im Park zusammenführen möchte. Für jeden ist etwas dabei, der Weg zur Klassik wird so „frisch gelüftet“ – lassen Sie sich überraschen! Mehr Informationen: www.kronbergacademy.de
Strahlen im Park v.l.n.r.: Vollblutschauspieler Michael Quast mit den jungen Sternen der Kronberg Academy: Ivan Karizna und Alexander Warenberg (Cello), Anca Lupu (Klavier), Marie-Astrid Hulot (Violine) und Anouchka Hack (Cello)
Fotos: Malkmus
Michael Quast glänzt in der Rolle des Cyrano de Bergerac – auch ohne große Nase.