Die Erlebnisobstwiese, Heiko Fischer und das Leben an sich

Heiko Fischer an einem der interaktiven Elemente der Erlebnisobstwiese

Kronberg (mg) – Betritt man die in etwa 3.000 Quadratmeter große Erlebnisobstwiese, die vom Obst- und Gartenbauverein Kronberg betreut wird und am Wildobstpfad gelegen ist, kommen Gedanken wie Bilderbuchlandschaft und Märchenaussicht in den Sinn. Das liegt nicht in erster Linie am vorhandenen malerischen Blick auf die Burg in der nahen Ferne, sondern am Grundstück selbst. Es handelt sich bei diesem Stück Erde um ein echtes und grün eingewachsenes Natur-Kleinod, das im Kronthal verwunschen und zum Glück etwas verborgen liegt. Eng verbunden mit diesem Areal ist die Person und vor allem der Mensch Heiko Fischer. Sein freundliches und bisweilen schelmisches Lächeln verraten Tiefgang in der Persönlichkeit. Ein Erfahrungsschatz nicht nur, was den Obstanbau und vor allem den Speierling betrifft, sondern das Leben an sich begegnet dem aufmerksam Betrachtenden mit dem ersten Handschlag. So liefert Fischer im Gespräch von Beginn an kontinuierlich Assoziationsketten in sämtliche Bereiche der menschlichen Existenz; das tut er unaufdringlich bei gleichzeitig existenter hessischer Bodenständigkeit. Dass Fischers Herz nicht nur für seine Frau, sondern unter anderem auch für die Umwelt und Natur schlägt, ist ebenso offenkundig wie sein Wunsch, dass seine Mitmenschen den Schatz doch bitte erkennen und bewahren sollen, der zumindest in Kronberg schlichtweg „vor der eigenen Haustür“ zu finden ist. Es ist dem ehemaligen und langjährigen Ersten Vorsitzenden und nun Ehrenvorsitzenden des Obst- und Gartenbauvereins vor Ort ein tiefes Anliegen, dem interessierten Besuchenden aufzuzeigen, welche Zusammenhänge zwischen den einzelnen Faktoren der Natur existieren. Pflanzen, Insekten, Bäume, Beikraut und mehr sind stets im Kontext miteinander zu sehen und zu verstehen, die Abläufe und Ergebnisse der Evolution schließlich fein aufeinander abgestimmt. Heutzutage nennt man das spätestens seit dem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts zum Thema Klimaschutz aus dem Jahr 2021 die notwendige Biodiversität zum Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen menschlicher Existenz.

Apfellehre

Seit dem Jahr 1991, folglich länger als eine Generation von 30 Jahren, kann man bei Heiko Fischer den Obstbaumschnitt in Kursen lernen. Das Angebot nahmen und nehmen auch viele Menschen außerhalb der Kronberger Peripherie wahr. In der Landesanstalt für Obst- und Gartenbau in Groß-Umstadt hatte sich der im Berufsleben technische Planer in seiner Freizeit vor Dekaden zum Baumwart für Obstgehölze ausbilden lassen. Zunächst war der heutige Erlebnispfad der Streuobstwiese ein Informationspfad. Um vor allem Kindern Aspekte und Zusammenhänge der natürlichen Abläufe anschaulicher erklären zu können, wurden zahlreiche aktive und interaktive Elemente hinzugefügt und die Erlebnisobstwiese entstand. So gibt es ein riesiges Insektenhotel mit zahlreichen Geschossen und Wohnbereichen. Im Souterrain wohnt sogar der Ameisenlöwe, und in der Nachbarschaft können die Besucherinnen und Besucher – wenn sie denn geduldig und still beobachten – Zaunechsen beobachten, von denen es einmal bis zu 30 Paare auf der Wiese gab. „70 Prozent der Wildbienen wohnen jedoch unter der Erdoberfläche und nicht in den Schächten, wie es sie im Hotel gibt“, ergänzt Heiko Fischer und zieht sich währenddessen seinen Hut zurecht. Ein bisschen weiter weg findet man, nachdem man den Hummelnistkasten hinter sich gelassen hat, in einer anderen Ecke des Geländes eine Magerwiese. Der Name ist irreführend, denn mager ist der Ertrag ganz gewiss nicht für Insekten, Bienen und Schmetterlinge – im Gegenteil: Sie finden dort ausreichend Nektar, auch an den vielen Brennnesselblüten. Magerwiesen zählen zu den artenreichsten Wiesen überhaupt. Die Unterscheidung in der Formulierung traf der Mensch, nicht die Tiere und Insekten. Schmetterlinge habe man dieses Jahr bedauerlicherweise nicht so viele gesehen und erlebt, so Naturfreund Fischer. Man findet auf dem gesamten Areal auch zahlreiche bewegbare und interaktive Schautafeln, die sich unter anderem mit Steinkauz und Hummeln beschäftigen. Selbstverständlich hat dann auch jeder der zahlreichen Apfelbäume mit einer Vielzahl von Sorten auf dem Parcours ein eigenes und informationsreiches Erklärungsschild. Dort wird auch exemplarisch Pflück- und Lagerreife der jeweiligen Sorte angegeben. Jedes Jahr hat Heiko Fischer bis zu zehn Termine, an denen er Kindergarten- und Grundschulkindern anhand der einzelnen Module in die Geheimnisse der Bewohner der Obstwiese einführt. Aber auch Erwachsene, Vereine und Firmen mit ihrer Mitarbeiterschaft buchen und besuchen seine Führungen. Fischer, der sich selbst mehr als Praktiker denn als Pomologe versteht, lehrt auch vor Ort. So finden mit ihm Apfelverkostungen an der Kronthalschule statt. Die Schülerinnen und Schüler bekommen vier verschiedene Apfelsorten in die Hand, die sie anfassen, riechen und schmecken dürfen und sollen. Im Anschluss ordnet jede und jeder die Äpfel ein und bewertet sie. Haptik, Geschmack und Geruch statt Foto, Bild und Text.

Entstehung eines Apfels

Blütenknospen eines Obstbaums bilden sich dauerhaft nur dann, wenn ein regelmäßiger Schnitt und gute Pflege existieren. Der Baumschnitt erfolgt bei Obstbäumen im Spätwinter, folglich zwischen Ende Februar bis Mitte März. Die Blüten sprießen dann zwischen den Monaten März und Mai, je nach Temperatur und Apfelsorte, meist jedoch zur Hälfte des Monats April. Die Blüte besteht aus fünf Blütenblättern, Kelchblättern sowie aus weiblichen und männlichen Fortpflanzungsorganen. Die Staubblätter sind die männlichen Fortpflanzungsorgane und haben die Aufgabe, den Blütenstaub entstehen zu lassen, die sogenannten Pollen. In einer Blüte sind meist mehrere solcher Staubblätter vorhanden. Jedes besteht aus dem Staubfaden und einem Staubbeutel. In den kleinen Kammern des Beutels reifen die Pollen heran. Wenn der Beutel platzt, wird der Blütenstaub freigesetzt. Bienen, Hummeln und Luftströmungen positionieren die Pollen auf den weiblichen Fortpflanzungsorganen anderer Apfelblüten. Das weibliche Fortpflanzungsorgan einer solchen Blüte, der sogenannte Stempel, besteht aus dem Fruchtknoten, dem Griffel und den Narben. Der Griffel sorgt dafür, dass die Narben in optimaler Position für die Aufnahme des Blütenstaubs sind. Landet eine Polle auf einer Narbe, findet die Bestäubung statt. Die Polle nimmt dort Feuchtigkeit auf und bildet eine Wurzel, die in die Narbe hineinwächst. So bewegt sich die männliche Keimzelle in den Fruchtknoten, wo die weibliche Eizelle schon auf die Befruchtung wartet. Äpfel gehören zu den selbstunfruchtbaren Obstsorten, sie benötigen in der Nähe des Baumes eine andere Apfelsorte, die sich als Befruchter eignet.

Die Frucht

Nach der erfolgreichen Befruchtung bilden sich Samen, das sind die Apfelkerne. Mit der Zeit wandeln sich der Fruchtknoten in das Fruchtfleisch und die Samenanlagen zum Kerngehäuse um. Ausreichend Sonne und Wasser lassen nach vier bis sechs Monaten den Apfel entstehen.

Der Baum

„Einen jungen Apfelbaum muss man die ersten fünf bis sieben Jahre „bemuttern““, erklärt Fischer. Bis zum zehnten Lebensjahr seien sie gefährdet. Man muss die jungen Holzgenossen auch mit Drahtmanschetten sowie Hunde-, Katzen- und Waschbärkot unter der Erde vor Wurzelfraß durch Wühlmäuse schützen und in jedem Fall dauerhaft Feuchtigkeit zukommen lassen. Um dem Rindenbrand vorzubeugen, ist es bisweilen notwendig, den Stamm mit Kalk weiß zu tünchen.

Der Mensch

Heiko Fischer trainierte neben seinem Engagement für den Obst-und Gartenbau und die Natur an sich auch jahrelang die Turngemeinschaft des MTV Kronberg. Das zeigt zum einen die Konsequenz, gleichzeitig aber auch die grundsätzliche Beharrlichkeit in seinem Handeln, die nicht zwangsläufig nur aus Disziplin besteht, sondern vor allem Leidenschaft ausdrückt. Fischer macht es gerne, und deswegen macht er es auch intensiv und ausdauernd.

Nun ziehen im November erst einmal vier Monate Herbst und Winter ein. Im kommenden Jahr wird die Erlebnisobstwiese erneut die Besuchenden empfangen, ob Klein oder Groß, Jung oder Alt oder alles dazwischen. Die Vielfalt des grünen Kosmos entfaltet sich im jährlichen Rhythmus, und Heiko Fischer wird das hoffentlich erneut und noch häufig begleiten, hegen und pflegen. Noch ein kleiner Tipp zum Schluss: Ein Apfel besitzt laut Fischer dann die sogenannte Pflückreife, wenn das Obst sich an der Sollbruchstelle zwischen Stil des Apfels und dem Zweig des Apfelbaums fast von selbst löst, nachdem man diesen dort um 90 Grad drehte.

Die Erlebnisobstwiese des Obst- und Gartenbauvereins Kronberg, im Hintergrund kann man die Burg entdecken Fotos: Göllner

Das Insektenhotel mit allen Stockwerken

Der Mensch und Naturfreund Heiko Fischer

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