Die Geschichte zweier junger, passionierter Fahrradsammler

Die Freunde Timon Ott (links) und Ricardo Guzmán (rechts) mit ihren selbst restaurierten Rennrädern Foto: Westenberger

Kronberg (mw) – Die zwei ehemaligen AKS-Schüler Timon Ott (23) und Ricardo Guzmán sind vom Typ her ganz unterschiedlich, und doch teilen sie schon seit einigen Jahren eine gemeinsame Leidenschaft, Vintage-Räder. Timon ist Germanistik- und Geschichtsstudent in Frankfurt und arbeitet gerade an seiner Bewerbung für die Filmhochschule, Ricardo ist ebenfalls am Ende seines BWL-Studiums in Bayreuth angelangt. Gekreuzt haben sich ihre Wege schon als Kinder, angefreundet haben sie sich aber erst als Jugendliche, durch ihr gemeinsames Interesse an alten Rennrädern. Wenn Timon etwas interessiert, er sich aber darin nicht auskennt, braucht er keinen Anstoß von außen. Dann tüftelt er so lange daran herum, bis er es versteht. „Er hat dafür den nötigen Biss und die Geduld“, weiß Ricardo über seinen Freund und strahlt ihn voller Anerkennung an, während ihre gemeinsame Geschichte nur so aus ihm heraussprudelt, sodass der ruhigere Timon kaum zu Wort kommt. Während Timon als Jugendlicher schonmal BMX-Rad gefahren ist und darüber anfing, an Rädern herumzuschrauben, inzwischen jedoch sein Rad nur noch ab und zu besteigt, um von A nach B zu kommen, ist Ricardo bis heute aktiver Sportler. Die in Garage und Keller lange vergessenen und verstaubten Rennräder aus den 80ern und 90ern, die sie gemeinsam über den Kleinanzeigenmarkt ergattert haben, testet er am liebsten selbst mit eigener Muskelkraft auf der Langstrecke durch. Timons Leidenschaft liegt im Zerlegen der ersteigerten Räder. „Auseinanderschrauben könnte ich sie zwar auch“, sagt Ricardo augenzwinkernd, „aber mit dem Zusammenbauen ist das dann so eine Sache, das kann nur Timon richtig gut.“ Seitdem sie 13 und 14 Jahre alt sind, teilen sie ihr Hobby, alten Rädern wieder zu neuem Glanz zu verhelfen. Die Freunde restaurieren historische Rennräder aus den vergangenen Jahrzehnten und versetzen diese in ihren ursprünglichen Originalzustand. „Oft wurden diese nämlich durch Werkstattbesuche ihrer Vorbesitzer repariert und im Zuge dessen modifiziert“, erläutern sie. „Diesen Vorgang revidieren wir und bauen die Räder wieder so auf, wie sie damals in den Katalogen der Hersteller beworben wurden. Von den 40er-Jahren bis in die 90er-Jahre ist alles dabei.

Leider wüssten die Verkäufer der historischen Fahrräder meist wenig über das Rad in ihrem Schuppen, hätten meist keine Verbindung mehr dazu. Doch dank eines kleinen Liebhabermarktes und des World Wide Web ist es möglich, alle alten Kataloge einzusehen, über die sich die einzelnen Komponenten jedes Rennrades wie Kassetten, Kettenblätter oder die Kurbeln zurückverfolgen lassen. Bis aufs Baujahr genau lassen sich die Rennräder darüber bestimmen, mitunter ist sogar über eine Nummer im Rahmen nicht nur das Baujahr, sondern auch der Mitarbeiter, der das Rad zusammengeschraubt hat, vermerkt, verrät Ricardo. „Wir haben hier zwar nicht die Maschinen aus der Tour de France stehen“, erklärt er. Aber es seien trotzdem alles hochwertige Rennräder der damals angesagten Hersteller aus dem Profisport.

Nach einem gelungenen Ankauf ist es Ricardos Aufgabe zu recherchieren, um fehlende oder passende Komponenten zu besorgen, die Timon schließlich wieder detailgetreu montiert. Timon hatte Ricardo damals in der Jugend für 15 Euro geholfen, ein professionelles Foto von seinem damaligen Fahrrad zu machen, das er verkaufen wollte, um sich ein anderes zuzulegen. „Das Foto ist für den Verkauf sehr wichtig und ich habe es einfach nicht so gut wie Timon hinbekommen“, verrät er. Damals hatten beide begonnen, statt auf das neueste Mountainbike zu sparen, das für ihren Geldbeutel ohnehin unerschwinglich war, nach alten Rädern Ausschau zu halten. Deren Design finden sie bis heute zeitlos schön, mit ihren zwei, drei aufeinander abgestimmten Farbkomponenten, filigraner Bauweise, formschönen Komponenten und zurückhaltendem Logo. Dabei sind die Vintage-Rennräder mit den heutigen Rädern technisch kaum noch vergleichbar, denn die Oldtimer haben einen Stahlrahmen, und Schaltung und auch Bremssystem sind ebenfalls noch ganz anders aufgebaut. „Sie lassen sich aber weicher und absolut verlässlich fahren, auch auf Langstrecke“, finden beide, deren Sammlerleidenschaft an dem Punkt aufhört, wo Carbonrahmen (und zunächst auch Titanrahmen) den Stahlrahmen abgelöst hatten. Dass ihr Hobby, alte Räder zu kaufen und sie mit Liebe zum Detail aufzuarbeiten, schließlich sogar helfen würde, ihre Studentenkasse aufzubessern und sie darüber Stück für Stück lernen würden, sich in der Geschäftswelt zurechtzufinden, konnten sie damals nicht ahnen.

Während Ricardo seine Zeit am Handy mehrmals täglich mit dem Studium der Kleinanzeigen im Radius von 200 Kilometern rund um Frankfurt verbringt, ist es sein Freund Timon, der die letzen Jahre, während Ricardo in Bayreuth studierte, möglichst schnell losfuhr, um den Kauf perfekt zu machen – bevor ihnen andere Interessenten zuvorkamen. Platz für die über die Jahre bis zu 100 gekauften, restaurierten und teilweise weiterverkauften historischen Räder fanden die jungen Männer bei Freunden und Familie, sodass kein Druck entstand, ein professionelles Geschäft daraus zu machen, um beispielsweise monatliche Mietkosten für eine Werkstatt decken zu müssen. Um so größer war der Spaß und die Freude, sich in die Radgeschichte, die technischen Entwicklungen des Radsports einzuarbeiten, die in Frankreich und Italien, aber auch in Deutschland eine lange Tradition hat, sich die Technik zu eigen zu machen und ein Händchen dafür zu entwickeln, für welche Rennräder – möglichst ohne zu viel Rost oder gestauchten Rahmen – es überhaupt Sinn macht, quer durch Deutschland zu fahren, um sie nach Kronberg zu schaffen und zu restaurieren.

An Räder aus dem Ausland haben Timon Ott und Ricardo Guzmán sich normalerweise nicht herangetraut, zu groß war das Risiko, über den Tisch gezogen zu werden und der Aufwand, sie nach Kronberg zu bekommen. Doch ein paar Mal war die Sammelleidenschaft dann doch zu groß: „Einmal haben wir ein Rennrad auf Mallorca gekauft, und gerade interessieren wir uns für eines aus Italien“, verrät Ricardo lachend. Denn eigentlich sollte nun, zum Ende des Studiums, das Ziel sein, ihre gewonnenen und liebevoll restaurierten Liebhaberstücke auch an entsprechende Liebhaber abzuverkaufen, um neue Wege einzuschlagen. Die beiden haben nämlich längst erkannt, dass ihre Kreativität, gepaart mit technischem Verständnis und Marketinggeschick, ihnen als Unternehmerduo Chancen eröffnen kann. Wenn es ihnen gelingt, ihre ganz unterschiedlichen Talente gemeinsam zu nutzen, beispielsweise für zukünftige Filmprojekte.

Man darf auf jeden Fall gespannt sein, was die beiden jungen Männer in naher Zukunft auf die Beine stellen werden, die sich selbst als „relativ altmodisch“ betrachten und sich über den allgemeinen Trend freuen, dass dem Handwerk mit hochwertigen Materialien sowie Recycling wieder mit mehr Wertschätzung begegnet wird.



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