Issam Chermi versprüht gute Laune in der Postfiliale am Berliner Platz

Egal wie lang die wartende Schlange vor der Tür ist und wie hoch sich die Päckchen schon stapeln, Issam Chermi hat die Ruhe weg. Foto: Westenberger

Kronberg (mw) – Issam Chermi kann sich an Zeiten bei der Deutschen Post zurückerinnern, als es dort noch deutlich gemächlicher zuging. „Wir sind uns gegenseitig auf die Füße getreten und hatten von 12 bis 15 Uhr Mittagspause“, blickt er lachend zurück. „Ich konnte zum Mittagessen nach Hause fahren und noch ins Waldschwimmbad gehen, richtig Stress hatten wir eigentlich nur zwei Mal im Jahr, zu Ostern und zu Weihnachten.“ Die letzten Jahre hat sich nicht nur das Postgeschäft mit zunehmendem Online-Banking und Online-Handel stetig verändert, sondern auch die Menschen, sagt Chermi. Letztere studiert der gelernte Bürokaufmann und Postfilialleiter inzwischen seit vielen Jahren. Er hat für sich schon in jungen Jahren bei seiner Ausbildung in einem Zweiradfachbetrieb in Hofheim schnell erkannt, dass ihm der Kundenkontakt und der Verkauf deutlich mehr Spaß machen, als bei einem größeren Unternehmen irgendwo als Sachbearbeiter hinter dem Schreibtisch zu sitzen. So ist der Schwalbacher Issam Chermi bei der Post AG gelandet, wo er eine Zeit lang auch im Außendienst arbeitete und auf diese Weise nach Hamburg und in die Niederlande unterwegs war. Gespürt hat er jedoch schnell, dass seine Heimat der Taunus ist, wo er seine Wurzeln, seine Familie und seine Freunde hat. Er freut sich darüber, seine Kundinnen und Kunden nach mehreren Jahren in Kronberg am Berliner Platz zu kennen, ja sogar einen seiner früheren Lehrer auf diese Weise wiedergetroffen zu haben und darüber, keinen weiten Weg zu seiner Arbeit zurücklegen zu müssen. Dass sich das Post-Geschäft für die Postmitarbeiter in den letzten zwanzig Jahren stetig gewandelt hat, um jetzt, in der anhaltenden Coronakrise, noch einmal tüchtig an Fahrt aufzunehmen – die Pakete stapeln sich in der Filiale am Berliner Platz täglich bis weit in den Verkaufsraum hinein – bringt auch ihm deutlich mehr Stress im Berufsalltag, aber sein Lächeln und die Freude an seinem Job hat Issam Chermi darüber nicht verloren. „Meine gute Laune ist wohl naturgegeben, na ja, zumindest teilweise“, gesteht Chermi, der zuvor in einer Sulzbacher Postfiliale tätig war. „Und ich bin einfach dankbar für das, was ich habe.“ Am Ende eines jeden Tages sieht Issam Chermi, dessen Eltern, selbst gerade erwachsen, als Gastarbeiter vor vielen Jahren aus Tunesien nach Frankfurt-Ginnheim kamen, was er geleistet hat und ganz nebenbei macht er andere Menschen mitunter etwas zufriedener. Da ist der ältere Mann mit Rollator, der nicht weiß, wie er sein Päckchen bei einer DHL-Station abholen soll, so holt Chermi es schnell selbst für ihn ab. Oder eine ältere Dame, die nicht weiß, wie sie mit ihrem Paket nach Hause kommen soll, er fährt sie kurzerhand selbst nach Hause. „Ich mache gerne eine gute Tat“, sagt Chermi, der von seinen Eltern gelernt hat, die guten Taten, genauso wie die schlechten, zu verstecken, wie er verschmitzt mitteilt. Die heutige Handykultur ist nichts für den 40-Jährigen. Er verdammt die neuen Medien nicht, aber ihm selbst ist die Zeit zu schade, um sie mit WhatsApp & Co. zu verbringen. „Meine Freunde habe ich auch ohne WhatsApp & Co. und gehe lieber mit ihnen draußen einen Kaffee trinken, anstatt Bilder von meinem Mittagessen zu posten.“ Chermi findet, die Menschen sind ruheloser geworden, und ja, es gibt doch viel zu viele unzufriedene Menschen. Warum sie es sind, weiß der Postbeamte nicht, doch er lässt sich von ihnen seine gute Laune nicht verderben, sich schon gar nicht verunsichern oder provozieren. „Ich kenne ja die Gründe nicht, warum jemand vielleicht gerade mal schlecht drauf ist und ich will sie auch gar nicht wissen.“ Einen schlechten Tag habe auch er mal, aber nach dem zweiten Kaffee verflüchtige sich bei ihm die schlechte Laune meistens schon wieder. „Die einen haben zu viele Sorgen, die anderen sind vielleicht einsam“, mutmaßt er. „Doch es gibt tatsächlich auch Menschen, deren Ziel es ist, grundlos Ärger zu stiften.“ Das seien die ewig Unzufriedenen. Von ihnen lässt sich Issam Chermi schon gar nicht runterziehen. Das gerade sei ja ihr Ziel, „aber da laufen sie bei mir ins Leere“. Er hat seine eigene Strategie entwickelt, mit ihnen umzugehen, ohne sich seine Energie rauben zu lassen. Und selbst sie bekommen bei ihm am Ende ein „auf Wiedersehen und einen schönen Tag“ mit auf den Weg. Chermi hat es schon in jungen Jahren selbst genervt, wenn er irgendwo einkaufen war und schlecht bedient wurde. Es sei schließlich so, dass der Kunde mit einem Auftrag komme, dafür Geld bezahle und damit seinen Arbeitsplatz sichere. Deshalb kann er es auch nicht verstehen, wenn Verkäufer sich herausnehmen, ihre Kundinnen und Kunden schlecht zu behandeln. Natürlich erfordert das in seinem Job mitunter Geduld, starke Nerven und ein ziemlich dickes Fell. Doch in der Regel, sagt der Postangestellte, erhalte er das, was er gebe, auch zurück. Die meisten Postbesucher in Kronberg seien sehr freundlich, zuvorkommend, ja sogar dankbar, dass es die Postfiliale am Berliner Platz gebe und alles so gut funktioniert. „Ich habe schon so viel Schokolade von netten Kundinnen und Kunden bekommen, dass ich bald noch einen Süßwarenladen aufmachen kann“, erzählt er lachend. „Ich habe von klein auf gelernt, dass man die Menschen so behandelt, wie man selbst auch behandelt werden möchte.“ In Kronberg fühlt er sich heimisch, weil er einen Teil seiner Kindheit hier verbracht hat. Chermi, der heute noch in seiner Freizeit am liebsten sportlich in der Natur unterwegs ist, war als Jugendlicher im MTV-Verein aktiv. „Als 15-Jähriger habe ich hier schräg gegenüber bei Herrn Herzog in der Turnhalle Basketball trainiert“, verrät er. Später dann hat er lange noch unter der Mannschaftsleitung von Trainer Milo Basketball gespielt. „Es gab Zeiten, da sind wir von Schwalbach, Höhe Waldfriedhof, zum Training gelaufen, weil die S-Bahn nicht fuhr, haben dann trainiert und sind wieder zurückgelaufen. Wenn ich das heute erzähle, glaubt mir das fast keiner mehr. Ich war eigentlich ständig draußen, wir hatten auch ganz in der Nähe unserer Wohnung einen Basketballkorb im Freien, wo wir ständig trainiert haben“, blickt er zurück. Auch an die Kerb mitten in Kronberg kann er sich noch gut erinnern, wo er als Kind am liebsten Autoscooter gefahren ist. Sein Großvater hat Issam Chermi mit auf den Weg gegeben, dass es mit den Menschen wie mit den Birnen am Birnbaum sei. Keine gleiche der anderen, und es gibt immer einige wenige faule Früchte am Baum. Das habe ihn seine Erfahrung auch mit den Menschen gelehrt. Die meisten hätten einen guten Kern, aber eben nicht alle. Immer wieder habe er in seinem Umkreis erlebt, dass auf diese Weise Jugendliche aus belastetem Elternhaus trotz allem eine Top-Entwicklung hingelegt hätten. Und andere, die eigentlich aus einem Top-Familienhaus kamen, trotzdem vom Weg abgekommen sind. Nach anstrengenden Tagen mit Überstunden und unliebsamen Aufgaben (auch die gibt es in seinem Job, beispielsweise gehören punktgenaue Materialnachbestellungen nicht zu Chermis leidenschaftlichsten Aufgaben …) genießt er es besonders, mit seinem Mountainbike loszustrampeln. „Vergangenes Wochenende war ich bis auf dem Feldberg und habe dort nur drei Menschen angetroffen, da alle Straßen dorthin gesperrt waren.“ Das war ein tolles Erlebnis für ihn. Alles sei rein weiß gewesen, soweit das Auge reichte. Die eigene Verausgabung, die Ruhe und die kristallklare Luft dort oben waren für ihn ein äußerst erholsames Erlebnis. In die Natur abzutauchen – für ihn eine wunderbare Möglichkeit, bei sich selbst die Reset-Taste zu drücken, wie er gesteht. Was würde Issam Chermi wohl den Menschen wünschen? Vielleicht, dass sie sich darauf zurückbesinnen, dass das dicke Auto und die teuren Klamotten, das Materielle, nicht der Garant für Glück sind. Und nicht am zigsten Pullover in noch einer Farbe, am 20sten Paar Schuhe, das bestellt wird, das Glück hängen sollte (oder der Ärger, wenn sie nicht passen und zurückgeschickt werden müssen). Für Issam Chermi jedenfalls liegt das Glück ganz woanders: in den kleinen Dingen des Alltags, in einem Lächeln oder einem kleinen Hilfsdienst für andere, beim Zusammensein mit seinen Freunden. Dort kann es jeder für sich selbst entdecken.



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