Musik als Zeichen der Menschlichkeit zu Ehren „Slavas“

Zu Ehren von „Slava“ Rostropovichs Geburtstag – er wäre dieses Jahr 95 Jahre alt geworden – stimmte Kantor Bernhard Zosel mit dem Chor der Johanniskirche im Schulgarten eine deutsche und eine russische Kantate an. Fotos: A. Malkmus

Kronberg (aks) – Nach fünf Jahren Pause fanden sich bei strahlendem Sonnenschein viele Gäste an der Büste Mstislav Rostropovichs im Schulgarten ein, der in diesem Jahr 95 Jahre alt geworden wäre. Kantor Bernhard Zosel stimmte mit dem Chor der Johanniskirche Kronberg eine deutsche Kantate von Max Reger und eine russische von Dimitri Stepanowitsch Bortnjanski an, in denen die Kraft Gottes über alle Grenzen hinweg anklang und die zum Innehalten einluden. Heiter und unbeschwert könne dieser Geburtstag heute nicht sein, betonte Raimund Trenkler, Gründer und Präsident der Kronberg Academy, zu deren Aufbau der große Cellist Mstislav Rostropovich maßgeblich beitrug. Die Feier erinnere an einen Menschen, „der verteidigte, was gut und richtig war: Menschlichkeit, Freiheit und Demokratie… und sie solle Mut machen.“ Er sprach den Anwesenden aus dem Herzen: „Wir erleben einen unmenschlichen Krieg und wir fühlen Ohnmacht – keine Unbeschwertheit!“ Rostropovich habe immer Mut bewiesen und sei seiner Überzeugung gefolgt: „Jeder Mensch sollte das Recht haben, ohne Angst zu denken und seine Meinung zu sagen.“ Rostropovichs Einsatz für Nobelpreisträger Solschenizyn sei unvergesslich. Seine Verteidigungsrede erschien am 21. November 1970 in der Süddeutschen Zeitung und nicht in sowjetischen Zeitungen. Er bezahlte dies mit der Aberkennung der russischen Staatsbürgerschaft und obgleich von Gorbatschow rehabilitiert, blieb er staatenlos. Und heute? „Er würde seine Stimme erheben und etwas tun“, davon ist Trenkler überzeugt. Sein Denkmal stehe für einen entschlossenen Künstler, der sich für Musik einsetzte, aber auch für Freiheit und Menschlichkeit. In diesem Sinne galt sein Engagement auch den jungen Künstlern. Trenklers Warnung: Wir sollten Autokraten wie Putin nicht den Gefallen tun, die wunderbare Musik russischer Künstler zu sanktionieren. Dann kündigt er mit großer Freude László Fenyö als „Enkelschüler“ Rostropovichs an, Gewinner des Pablo Casals Wettbewerbs 2004 und heute weltweit gefragter Cellist. Er spielt die Bach Suite Nr. 3 C-Dur tief empfunden und zart. Diese ewig schöne Musik erklingt in der Stille und spendet Trost. In demütiger Dankbarkeit stehen die Menschen hier im Schulgarten beisammen.

Musik brauche keine Worte, keine Übersetzung. Die Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger sieht in der Musik ein verbindendes Element für alle Menschen: „Wir sind ein Planet, eine Familie“. Sie wirkt ernsthaft besorgt: „Über Nacht wurde das Völkerrecht ausgelöscht“. Nach fast 80 Jahren Frieden in Europa, herrsche nun wieder Krieg. Gerade heute müsse auch russische Musik gespielt werde, schließlich gelten die westlichen Sanktionen nicht der Zivilgesellschaft und nicht der Kultur. Sie erwähnt voller Hochachtung den Mut der russischen Wissenschaftler und Künstler, die mit jedem offenen Brief gegen die Regierung 15 Jahre Haft riskierten sowie all jener, die gegen Putin auf die Straße gingen. Sie appelliert an die Hilfsbereitschaft: „Wir alle können denen eine Heimat bieten, die nun auf der Flucht sind.“ Sie erinnert daran, dass Rostropovich 1989 am Checkpoint Charlie in Berlin auf seinem Cello die Bach Suite gespielt hat, aus Respekt vor den Opfern der Mauer. Die Ministerin ist überzeugt: „Am Ende werden Menschlichkeit und Gerechtigkeit siegen“. Beeindruckt hätten sie junge Künstler, die in den Bunkern der Ukraine musizierten. „Es gibt sie, Kultur auch in der dunkelsten Stunde!“ Stark-Watzinger ist überzeugt, dass der Cellist Rostropovich heute nach Moskau reisen und seinen Protest in Musik ausdrücken würde.

Sein Engagement lebe weiter im Wirken der Kronberg Academy, wo die Musik überdauern werde.

Am Ende zitiert sie Rostropovich: „Every man must have the right fearlessly to think independently and express his opinion about what he knows, what he has personally thought about and experienced, and not merely to express with slightly different variations the opinion which has been inculcated in him.” Danach herrschte andächtiges Schweigen, das waren starke Worte, die Mut machten gegen Krieg und Ungerechtigkeit aufzustehen – auch und gerade mit Musik.

Das sich anschließende Benefizkonzert zu Gunsten der Rostropovich Cello Foundation zur Förderung junger Cellisten der Kronberg Academy Foundation war eine Sternstunde in Sachen Kammermusik. Der ungarische Cellist László Fenyö und der Pianist aus Usbekistan, Michail Lifits, interpretierten in wunderbarer Eintracht und innigem Dialog Brahms Sonate für Klavier und Violoncello e-Moll, opus 38. In zarter Eleganz, spielerisch leicht und doch mit fein dosiertem Temperament hielten sie die ausverkaufte Stadthalle in Atem. Ebenso hingebungsvoll interpretierten sie Rachmaninoffs „Vocalise“, in einem Arrangement von Rostropovich, einander zugewandt und in einer fast liebevollen Umarmung durch die Musik. So herrschte erst einmal Stille, so ergriffen waren die Zuhörer, bevor der Applaus los brandete.

Auch bei Benjamins Britten Sonate C-Dur, die der Komponist Rostropovich gewidmet hat, verstehen sich die Künstler als Duett in allen Spielarten: Ihr Scherzo ist heiter bis scherzhaft, das bestätigen die Lacher im Publikum, aber auch erotisch lebensfroh, mutig und stolz in der Marcia, dem triumphalen Marsch… Im Wechsel messerscharfe Klänge des Cello, Staccato und luftig leicht die perlenden Klänge des Flügels. Die atemberaubenden Tempi schaffen Fenyö und Lifits meisterhaft präzise unangestrengt, aber nie nachlässig. Man sieht ihnen an, wie sehr sie die Musik ergreift und so steigern sie sich gegenseitig zu Hochform auf und nehmen auch das Publikum mit. Musiker besitzen das große Talent in ihrer Empathie, den Zuhörer große Leidenschaften spüren zu lassen. Das geht nur mit Empathie, ein tröstlicher Gedanken in einer kalten Welt, der uns mit dem heutigen Geburtstagskind verbindet, ein mutiger Mensch, der nie weggesehen hat und sich immer für eine gerechte Welt eingesetzt hat. So endet dieser Nachmittag mit einem überragenden Kunstgenuss, der lange nachklingt und mit vielen Botschaften, die zu Menschlichkeit und Solidarität aufrufen.

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