Kronberg (war) – Die Weihnachtsferien, welche Schulkinder ab jetzt genießen können, bieten sich für Schlittenfahren und andere Wintersportarten geradezu an. So war das zumindest in früheren Zeiten. Schneearme und milde Winter sowie Heiligabend ohne Schnee gab es zwar anno dazumal auch immer wieder. Dennoch zeigt die Wetterstatistik einen eindeutigen Trend: Es schneit in den Wintermonaten immer weniger, nicht zuletzt, weil die Winter temperaturmäßig wegen des Klimawandels immer wärmer werden. Vor hundert Jahren bot sich laut Cronberger Anzeiger folgende Situation: Am 15. Dezember 1925 lagen laut der örtlichen Zeitung gute Rodelverhältnisse vor, doch über die Weihnachtsfeiertage setzte dann doch noch Tauwetter ein. „Die Weihnachtsfeiertage, die man so gerne in fußhoher Schneelage verleben und dahinwandeln möchte, waren total verregnet. Am ersten Feiertag lag wohl 20 cm Neuschnee, aber er hatte kein vollwertiges Lager und löste sich bald wieder in Wohlgefallen, das heißt in Wasser, auf. Ruhig und monoton vergingen deshalb die drei Tage, fast ohne Fremdenbesuch. Alle Vorbereitungen waren umsonst. In unseren Gasthäusern lagern noch große Mengen an Fleisch, Geflügel und Fischen und Gemüse und die Wirte erleiden großen Schaden statt Gewinn, der ihnen bei der steuerdrückenden Zeit wohl zu gönnen wäre“, so das Blatt weiter.
Weihnachten 1950, also vor einem dreiviertel Jahrhundert, schaute es dafür umso besser mit dem Schnee aus, wie der Kronberger Anzeiger vom 27. Dezember zu berichten weiß. Starker Schneefall am ersten Feiertag „wie schon seit vielen Jahren nicht mehr“ versetzte Kronberg und den Taunus in eine wahre „Zauberlandschaft“. Ski und Rodel optimal. Ein endloser Strom an Wintersportlern, die bis aus dem Mainzer Raum angereist kamen, zog den ganzen Tag durch Kronberg. Die Bahn setzte wegen der ungewöhnlich großen Nachfrage zusätzliche Züge ein. Doch es gab laut der Zeitung nicht nur Freudiges über das traumhafte Winterwetter mit den idealen Schneeverhältnissen festzuhalten. So „karambolierte ein amerikanischer Pkw mit einem Autobus und auf den stark verschneiten Straßen sah man die ‚Opfer‘, die nur mit vereinten Kräften wieder dazu zu bewegen weiter zu fahren“, will heißen, die Autos hatten sich im Schnee festgefahren.
August Wiederspahn (1892-1972) hält in seinen als Buch publizierten Memoiren „Jugendtage im alten Kronberg“ fest, dass zu seiner Schulzeit um 1900 in der kalten Jahreszeit oft sechs Wochen lang Schlittenfahren ohne Unterbrechung täglich, manchmal sogar bis Mitternacht, angesagt war. Dann war Alt und Jung sowie Mann und Frau auf den Beinen oder besser gesagt auf den Rodeln. Damit sind wir schon beim eigentlichen Thema dieses Artikels angelangt – dem Rodelsport in Kronberg. Heute kaum mehr vorstellbar, dass bis in die 1950er Jahre jedes Wochenende bei guten Schneeverhältnissen abertausende Rodelbegeisterte beiderlei Geschlechts mit dem Zug und Auto aus Frankfurt in die allseits gerühmte Rodelhochburg Kronberg kamen, um hier ihrem Sport auf flinken Schlittenkufen zu frönen. Wiederspahn geht von bis 30 000 Personen aus. Wem es von diesen zu beschwerlich war, einen Schlitten mitzuschleppen, der konnte sich praktischerweise einen solchen in der Burgstadt ausleihen.
Der Kronberger Anzeiger berichtete regelmäßig montags darüber, wie viele Personen am Sonntag vor allem per Zug angereist waren und wie sich die aktuelle Schneesituation darstellte. Wenn die Bedingungen besonders gut waren, setzte die Kronberger-Bahn wie bereits erwähnt, zahlreiche Sonderzüge zusätzlich ein. Bahn und Gastronomen freuten sich dann über entsprechend gute Umsätze.
Alte Postkarten mit Rodlern und Rodlerinnen als Motiv zeugen noch heute von der einstigen Bedeutung des Rodelsports für die Burgstadt. Viele Damen rodelten demnach vor dem ersten Weltkrieg gerne mit einem Panamahut als Kopfbedeckung. Der Hut wurde mit einem schicken Schal um Ohren und Kopf gebunden fixiert. Das sah selbstverständlich weit eleganter aus als die Wollmützen der Männerwelt, insbesondere wenn der Hut zusätzlich mit Seidenblumen verziert war. An Fasching war hingegen das Rodeln in Kostümen sehr beliebt.
Geradezu legendären Ruf hatten die beiden Rodelbahnen „Kellergrundbahn“ und vor allem die „Schwarzeweg-Bahn:“, die von den Hängen des Altkönigs bis nach Kronberg hinunterführten. Bei letzterer befand sich laut Wiederspahn sogar zu seiner Jugendzeit für hungrige „Mäuler“ in der Nähe des Kronberger Forsthauses eine „Krebbel-Gaststätte“. Das Geschäft muss damals sehr gut gelaufen sein, denn die Bewegung beim Schlittenziehen den Berg hinauf und das Fahren in kalter Luft abwärts resultierte in entsprechend großem Hunger. Laut Landesgeschichtlichem Informationssystem Hessen (kurz „LAGIS“) wurde die Schwarzeweg-Bahn am 31. Dezember 1907 eingeweiht. Weiter heißt es bei LAGIS: „1906 hatte der Rodelclub Taunus beschlossen, dem volkstümlichen Schlittenfahren eine sportliche Note zu geben. Mit einer Länge von 1100 Meter war die so genannte Schwarze-Weg-Bahn eine anspruchsvolle Strecke, die auch gefährliche Sprünge vorsah. Dagegen verzichtete die ‚Rothehang-Bahn‘, die kurz nach der ‚Schwarze-Weg-Bahn‘ geöffnet wurde, auf solche Sprünge. Durch die Eröffnung der neuen Rennrodelbahn in Kronberg entwickelte sich das Rodeln zu einem ‚schichtenübergreifen Volkssport‘, der auch zahlreiche Zuschauer und Besucher anlockte.“ Es wurden Rennen, getrennt für Damen und Herren mit Einsitzer- und Zweisitzerschlitten ausgelobt. Der Nachwuchs konnte sich bei speziellen Jugend-Wettbewerben messen. Manchmal meldeten sich weit mehr als 100 Teilnehmer zu einem Rennen an, für das ein Startgeld zu zahlen war. Für die Sieger lockten neben dem begehrten Ehrenpreis der Stadt Kronberg goldene, silberne und bronzene Rodelclub-Medaillen zur Belohnung.
Der Lokalhistoriker Wilhelm Jung hält ähnliches in seinem im Jahr 1978 editierten Bildband „Kronberg im Taunus in alten Ansichten“ fest. Seinen Angaben zufolge richtete der 1906 gegründete Rodelclub Taunus viele Rodelrennen auf der Schwarzeweg-Bahn über die folgenden Jahre aus. Die Strecke war eher etwas für Geübte. Teilweise schwere Unfälle inklusive nicht wenige zerbrochene Rodel waren da vorprogrammiert, nicht zuletzt, weil einige Schikanen zu bewältigen waren, wie enge Kurven und eine Art Sprungschanze. Die teilweise spektakulären Rodelsprünge lockten als Nervenkitzel viele Zuschauer am Rand der Bahn geradezu an. Fußgänger durften den Rodelkurs wegen der erhöhten Unfallgefahr nicht betreten. Streckenwärter achteten darauf und halfen zudem gestürzten Rodlern schnell die Bahn zu räumen. Ab und an war von diesen auch erste Hilfe zu leisten. Schwerere Verunfallte mit Beinbruch und Kopfverletzungen wurden zum Arzt oder ins Krankenhaus zur weiteren Versorgung gebracht. Die Zeitungen berichteten regelmäßig über verletzte Rodler. Laut Jung war eine weitere beliebte Rodelstrecke die so genannte „Victoriabahn“. Dazu wurde die Victoriastraße, wenn genügend Schnee gefallen war, kurzerhand zur Rodelbahn umfunktioniert und freigegeben. Die Strecke war besonders bei „Abendrodlern“ beliebt, da sie mit farbigen Elektrobirnen beleuchtet war. Hier befand sich auch gleich eine „Cafebude“, wie eine Postkarte in dem Jungschen Bildband zeigt.
Es liegen sogar einige inzwischen im Internet abrufbare Filmaufnahmen über das Rodeln in Kronberg vor, die wohl zwischen 1903 und 1910 von dem Hofapotheker Dr. Julius Neubronner aus Kronberg gedreht wurden. Als Filmpionier hatte er sich 1903 eine Ernemann-Filmkamera zugelegt. Nicht zuletzt gab um diese Zeit der in Kronberg ansässige Hufschmied und Wagenbauer Johannes Kunz, der als offizieller „Hoflieferant“ auch für den Kutschenpark von Kaiserin Friedrich verantwortlich war, mit dem von ihm entwickelten und im Jahr 1907 patentierten „Taunitia-Rodel“ dem örtlichen Schlittensport zusätzlich enormen Auftrieb. Der besonders robuste Schlitten zeichnete sich neben stabilen gebogenen Eschenholzleisten als Rahmen durch Kufen mit Doppelprofileisen aus. Das Modell wurde in großer Stückzahl, die in die Tausende ging, bis in die 1930er Jahre erfolgreich verkauft. Als Sitzfläche diente eine Bespannung aus rotem Segeltuch. Gemäß Jung wurde der „Taunitia“ sogar in Sonderausführung mit Lenk- und Bremsvorrichtung für Technikfreaks und Angeber angeboten. Diese „getunten“ Modelle durften bei offiziellen Rennen jedoch nicht verwendet werden. Auch waren dann Zusatzgewichte, die den Rodel schneller machten, untersagt. Wer etwas in Kronberg auf sich hielt, der vertraute selbstverständlich seinem Taunitia.
Der hatte aber durchaus seinen Preis. Weit bescheidener und einfacher ging es laut Wiederspahn noch Ende des 19. Jahrhunderts bei der Ortsjugend und den „Kleinen Leuten“ zu. Hier kam mit der „Schlaaf“ (= „Schleife“) die Marke Eigenbau zum Einsatz. Dazu wurde aus massiven Holzbrettern ein Schlitten mit niedriger Sitzfläche und Holzkufen zurechtgezimmert, um auf den abschüssigen Altstadtgassen bis ins Thal herunter zu sausen. Zudem wurde die Oberurseler Landstraße bis zum ersten Weltkrieg ab und an von offizieller Seite zur Schlittenpiste freigegeben. „Manchmal machte sich die Kronberger Jugend an schönen Wintertagen auf den Weg zum Feldberg und fuhr dann in einem Zug über den Fuchstanz, Falkenstein und die Falkensteiner Straße hinab nach Kronberg“ so erinnert sich Wiederspahn in seinem Büchlein.


