Kronberg (kb ) – Ihr Geburtsort, das bei Bremen liegende und schon im 13. Jahrhundert erwähnte Mittelsbüren, musste Mitte der 1950-er Jahre für den Bau eines Stahlwerks weichen. „Der Ort wurde einfach platt gemacht“, so Annegret Haake etwas wehmütig, die am 1. März ihren 90. Geburtstag begeht. Körperlich zwar etwas eingeschränkt, ist sie geistig aber noch umso präsenter. Auf spannende neun Jahrzehnte kann sie an diesem besonderen Tag zurückblicken. „Unser Örtchen bestand aus 36 Häusern inklusive Kirche und einem Gasthof, umringt von Deichen. Als Kinder gingen wir in jedem Haus ein und aus. Abgeschlossene Türen gab es damals nicht, schließlich kannten wir uns alle und waren meist sogar miteinander verwandt. Wenn die Sturmflut das Wasser der Weser ins Land drückte, dann war die Luft voller Gischt, die an den Fenstern unserer Häuser herablief, erinnert sich die Jubilarin. Ihr Großvater und ihr Vater begleiteten jeweils das Amt des Ortsvorstehers. Ihre Mutter war auf dem Bauernhof, auf dem Haake mit ihrer 1934 geborenen Schwester sowie einem Bruder, Jahrgang 1938, aufwuchs, als Lehrfrau für Hauswirtschaft aktiv. Dadurch befanden sich meist noch 2 bis 3 Lehrmädchen mit im Haus. „Wir waren weitgehend Selbstversorger. Neben Kühen, Pferden, Schafen und Hühnern stand bei uns der Dorfbulle im Stall zum Decken der Kühe“, berichtet sie weiter. Bereits am 4. September 1939, also wenige Tage nach dem Überfall der Nazis auf Polen, heulten die Sirenen wegen eines Luftangriffs der Engländer. In diesen Tagen manifestierte sich bei Haake die tiefe Abneigung roter Haare. Den Grund liefert sie gleich mit: „Ich hatte rote Haare als junges Mädchen. Deswegen hänselten mich meine Schulkameraden ständig mit dem Spruch: ‚Rote Haare und Sommersprossen sind des Tommies Volksgenossen‘. Mit den Tommies waren die Engländer gemeint. Daher hasse ich diese Haarfarbe seitdem regelrecht und kann nicht verstehen, wenn sich Frauen ihre Haare freiwillig rot färben.“
Kapitulation
Im Jahr 1943 sollte sie die Mädchenoberschule in Bremen besuchen, aber es kam anders. Kriegsbedingt wurde die 13-Jährige für ein Jahr nach Markneukirchen im Vogtland „verschickt“. Haake weiter: „Die Stadt ist bis heute für ihre Musikindustrie sehr bekannt. Bei den Geigenbauworkshops der Kronberg Academy sind Instrumentenbauer von dort immer wieder anwesend.“ Ab 1944 besuchte Haake dann die Mittelschule in Bremen. Nach der Kapitulation kamen die Amerikaner im April 1945. Dadurch war der Schulbetrieb zunächst für mehrere Monate unterbrochen. Die alte Volksschullehrerin half jetzt mit Notunterricht aus. Nach Erhalt der mittleren Reife im Jahr 1949 absolvierte Haake eine Hauswirtschaftslehre und besuchte zudem die Landfrauenschule. Das Abschlusszeugnis in der Tasche zog es Haake dann für ein Jahr nach Västergötland in Südschweden. „Hier habe ich einen Haushalt geführt und lernte so nebenbei die schwedische Sprache in ihren Grundzügen.“
Nachdem ihr Geburtsort, wie eingangs erwähnt, niedergelegt worden war, erwarb Haakes Vater ein Gut in Ahrensburg bei Hamburg, um Getreide anzubauen sowie Schweine und Rinder zu züchten. Kurz zuvor half Haake noch bei der Erstellung der Ortschronik von Mittelsbüren mit, in der sie mit ihrer Schwester im Bild festgehalten ist. „Früher lebten hier viele Walfänger, die im Frühjahr in See stachen. Deren Beruf war gefährlich, sodass es immer wieder vorkam, dass nicht alle wohlbehalten im Herbst zurückkehrten“.
Haake oblag in Ahrensburg die Buchführung. Nachdem ihr Vater 1957 verstorben war und ihr Bruder das Gut übernommen hatte, begann das Geburtstagskind nochmals mit 29 Jahren einen Neustart im tiefen Süden der Republik. Isny im oberschwäbischen Allgäu hieß das neue Ziel.
Studienreisen nach Indonesien
Dort ließ sie sich an der Naturwissenschaftlich Technischen Akademie zur Chemisch Technischen Assistentin ausbilden, da sie sich schon immer für die Naturwissenschaften sehr interessierte. Das zeigte sich nicht zuletzt daran, dass sie nach der Ausbildung aufgrund ihrer sehr guten Prüfungsergebnisse ab 1964 für zwei Jahre als Dozentin an der Akademie die Fächer Mikroskopie, Pflanzenkunde und Analyse von Nahrungsmitteln lehrte. 1966 erfuhr sie über eine Freundin, dass im Institut für Mineralogie und Kristallographie an der Frankfurter Goethe-Universität eine Stelle vakant war. „Hier heuerte ich für gerade einmal 800 Mark Einstiegsgehalt an und blieb bis 1993, als ich in den Ruhestand ging. Chemische und physikalische Analysen zur Ermittlung von Kristallstrukturen sowie das Anfertigen entsprechender Zeichnungen und Fotografien zählten zu meinen Tätigkeiten. In Kronberg fand ich damals auch sogleich eine Wohnung, in der ich bis heute lebe“, fährt Haake fort. Eine Studienreise nach Indonesien 1970 weckte in ihr eine weitere Leidenschaft, der sie bis heute erlegen ist: die Batik. Dieses Textilfärbeverfahren auf Wachsbasis hat dort eine uralte Tradition. „Ich hatte damals das große Glück, einen Fabrikanten für Batikprodukte kennenzulernen, der mich intensiv in die Materie einführte.
Indonesien
Im Laufe der Jahre bin ich bei meinen weiteren Indonesienaufenthalten quasi zu einem Familienmitglied geworden. Über Vermittlung des Repräsentanten der Garuda Indonesia Airlines in Frankfurt bekam ich auch Zugang zur Botschaft Indonesiens in der einstigen Bundeshauptstadt Bonn“, so Haake weiter. Seit langem pflegt sie zudem den Kontakt zum indonesischen Generalkonsulat in Frankfurt am Main. Wenn Haake eine Sache wie die Batik wirklich interessiert und begeistert, dann brennt sie gleichsam für das Thema. Kein Wunder, dass als Ergebnis ihrer intensiven Recherchen ihr auch in Indonesien bekanntes Buch, „Javanische Batik. Methode – Symbolik – Geschichte“ im Jahr 1984 herauskam. Außerdem veröffentlichte sie einige Fachaufsätze zum dort sehr populären Schattenspiel. Ihre Sammlung dieser filigranen Figuren hat sie mittlerweile dem Museum für Weltkulturen in Frankfurt übergeben. Ihre umfangreiche Kollektion an Batiken wird seit einigen Jahren im Dresdner Völkerkundemuseum verwahrt.
Aktiv im Burgverein
Im Jahr 1991 wurde sie schließlich vom Burgvirus infiziert. Kaum in den Verein eingetreten, organisierte sie schon wenig später die damals legendären Ostereierausstellungen. Unvergesslich, wie sie geduldig stundenlang verschiedene Techniken zum Verzieren von Eiern auf der Burg vorführte und alljährlich fantasievolle Ausstellungen zu österlichen Themen stemmte. Doch das genügte ihr noch nicht. Im Herbst kam einige Jahre später das Kürbisfest, das heute als Herbstfrüchtefest erfolgreich weiterlebt, zum Saisonende hinzu. Nebenbei erforschte sie die Geschichte der Tonkacheln im Terracottasaal. So wurde Haake mit der Zeit selbst zu einer wichtigen Botschafterin für die Burg, ohne sich dabei groß in den Vordergrund zu drängen. Statt großartige Pläne in der Theorie zu schmieden, handelte sie lieber und erbrachte dabei sichtbare Ergebnisse zum Wohl der Burg. Ein „Geht nicht“ war von ihr so gut wie nie zu hören.
Selbst heute, wo ihre Knochen nicht mehr so wollen wie sie es sich wünscht, lässt sie bei Burgfesten ihr Spinnrad hurtig drehen, um diese heute fast vergessene Technik dem staunenden Publikum vorzuführen.
Die Mitglieder des Burgvereins belohnten Haakes vorbildhaften Einsatz in symbolischer Form im Jahr 2003 mit der Ernennung zum Ehrenmitglied zu ihrem 70. Geburtstag, nachdem sie bereits 2001 mit dem Frauenpreis der Stadt Kronberg ausgezeichnet worden war. Selbstverständlich freuen sich jetzt viele der Vereinsaktiven, ihrem besonderen Geburtstagskind zu seinem runden Geburtstag mit einem „Ad multos annos!“ zu gratulieren.
Annegret Haake feiert ihren 90. Gbeurtstag Fotos: privat