Kronberg
(pf) – Es war ein ganz besonderer Theaterabend, den die Bewohnerinnen und Bewohnen des Altkönig-Stifts am vergangenen Freitag erlebten, eine Aufführung, die sie so schnell nicht vergessen werden. Die auch vom Theater und aus Fernsehfilmen bekannte Schauspielerin Susanne Schäfer nahm ihr Publikum in Peter Hacks Erfolgsstück aus dem Jahr 1976 „Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“ mit nach Weimar ins Jahr 1786, in dem der Dichter ohne offiziellen Abschied und inkognito zu einer Italienreise aufgebrochen war.
Die Schuld an seiner überstürzten Abreise gab man Charlotte von Stein, Hofdame der Herzogin Anna Amalia und enge Vertraute der Herzogin Luise von Sachsen-Weimar-Eisenach aus dem Hause Hessen-Darmstadt, der Gemahlin von Anna Amalias Sohn Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach. Der acht Jahre Jüngere hatte den damals schon berühmten Dichter 1774 bei einem Besuch in Frankfurt kennen gelernt und nach Weimar eingeladen. Ein Jahr später reiste Goethe nach Weimar, wo sich zwischen ihm und dem Herzog eine enge Freundschaft entwickelte. Der Herzog machte ihn später zum Staatsminister und erwirkte 1782 für ihn einen kaiserlichen Adelsbrief.
Charlotte von Stein war sieben Jahre älter als Goethe, mit dem herzoglichen Stallmeister Gottlob Ernst Josias Friedrich Freiherr von Stein verheiratet und sollte gleichsam als seine Erzieherin Goethe auf das Leben am herzoglichen Hof vorbereiten. Doch nach der plötzlichen Abreise brodelte es in der Weimarer Gerüchteküche. Hatten Goethe und sie ein Liebesverhältnis?
„Ich bin nun die Ursache davon, daß er uns heimlich verlassen hat, über Nacht, unangekündigt, ohne Abschied oder Erlaubnis. Der Staat ist ohne Minister, der Hof ohne Spielmeister, das Theater ohne Direktor, das Land ohne seinen großen Mann“, so beginnt Peter Hacks fünfaktiges Theaterstück: eine Verteidigungsrede, in der sich die Hofdame in einem Monolog vor ihrem Mann – einem leeren Sessel, neben dem eine Flasche und ein Glas Wein stehen – und vor dem Weimarer und Kronberger Publikum rechtfertigt.
Und sie nimmt kein Blatt vor den Mund, schildert Goethe als ungehobelten Grobian, als Tagedieb und Flegel, der sich vor ihr auf dem Boden gewälzt und die Haare gerauft habe, dem sie zehn Jahre lang versucht habe Manieren beizubringen, ein Zögling, an dem sie gescheitert sei. Das einzige Ergebnis ihrer Bemühungen sei gewesen, aus einem Lumpen einen erzogenen Lumpen gemacht zu haben.
Zehn Jahre lang, so versichert sie, habe sie sich gegen seine Zudringlichkeit und seine Liebe wehren müssen, habe sich aber nie etwas zuschulden kommen lassen, schließlich kenne sie die Männer. Stark, grob und verfolgungswütig seien sie. Und siebenmal habe sie die Mordversuche ihres Mannes, das Kindbett, überlebt.
Erst im Laufe des Monologs ändert sich ihr Ton. Ist Goethe zu Beginn das Scheusal voller grenzenloser Eigenliebe und leer im Herzen, bekennt sie zum Schluss, das sie der einzige Mensch sei, der ihn heile könne. Ja, sie werde ihrem Mann die Unannehmlichkeiten einer Scheidung nicht ersparen. Der Brief, auf den sie sehnsüchtig wartet, enthalte seinen Heiratsantrag, das wisse sie genau. Doch als er endlich eintrifft, ist es ein Paket aus Rom mit einer tönernen Plastik und einem Brief von Goethe, in dem er vom schönen Wetter in Italien berichtet. Damit geht nicht nur die tönerne Figur, sondern auch ihre Hoffnung auf ein Leben als Charlotte von Goethe in Scherben.
Regisseur und Dramaturg Hannes Hametner, der mit dieser von Susanne Schäfer beeindruckend vorgetragenen „ungehaltenen Rede einer ungehaltenen Frau“ am 16. Oktober vergangenen Jahres in der Volksbühne am Großen Hirschgraben in Frankfurt Premiere hatte, kommt mit wenigen Requisiten aus: dem leeren Sessel, einem Tischchen mit Briefen, aus denen sie als Charlotte von Stein zitiert, und einem weißen Vorhang an der Bühnenrückwand vor dem imaginären Fenster, hinter dem die Postkutsche vorfahren soll.
Ob Charlotte von Stein und Goethe tatsächlich ein Liebespaar waren, bezweifeln die Biografen. Dass Peter Hacks Theaterstück zu seinen am häufigsten und immer mit großem Erfolg aufgeführten zählt, ist aber eine Tatsache. Eine Paraderolle und eine Herausforderung, nicht zuletzt seiner geschliffenen Sprache wegen, für eine Vollblutschauspielerin wie die gebürtige Frankfurterin Susanne Schäfer, die natürlich keine Schwierigkeiten hatte, Goethes hessische Mundart zum Vergnügen des Publikums perfekt nachzuahmen.
Schauspielerin Susanne Schäfer, gebürtige Frankfurterin, begeisterte im Altkönig-Stift als Charlotte von Stein, Goethes Weimarer Freundin, in Peter Hacks Theaterstück „Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“.
Foto: Wilfried Schumacher