„tegut...Lädchen für alles“ gibt Menschen eine Perspektive

Vor sechs Jahren ist die langjährige Geschäftsführerin von Perspektiven e.V., Ulrike Schüller-Ostermann (rechts), mit dem Inklusionsunternehmen „tegut...Lädchen für alles“ an den Start gegangen. Nun heißt es Abschied nehmen, auch von den Mitarbeiterinnen Alexandra Neeb (Zweite von links) und Doris Krausim tegut-Lädchen. Schüller-Ostermanns Nachfolger ist Eberhad Emrich (links). Foto: Westenberger

Schönberg (mw) – Mit dem „tegut...Lädchen für alles“, das vor sechs Jahren seine Pforten im Mainblick öffnete, hat der Oberurseler Verein eine weitere Perspektive für Menschen geschaffen, die Beeinträchtigungen und soziale Benachteiligungen erfahren, weil sie seelisch erkrankt sind oder eine körperliche oder Sinnesbehinderung haben. Gleichzeitig stellt das Lädchen die Nahversorgung sicher. Unter dem Dach des Paritätischen Gesamtverbands hat Perspektiven e.V. seit 1987 viele verschiedene Angebote für Menschen mit Beeinträchtigungen entwickelt. Dazu gehören begleitende Hilfen im Alltag durch „Betreutes Wohnen“, „Beschäftigung in Tagesstätten“ sowie die Begleitung und Vermittlung im Arbeitsleben durch den „Integrationsfachdienst“. Seit nunmehr fast 25 Jahren ist Ulrike Schüller-Ostermann in dem Verein aktiv, 16 Jahre lang stand sie ihm als Geschäftsführerin vor.

Nun verabschiedet sie sich mit Ende dieses Monats in den wohlverdienten Ruhestand. Ein „Baby“ von ihr ist das „tegut...Lädchen für alles“, dessen Träger die Perspektiven gemeinnützige GmbH ist. Schüller-Ostermann erklärt, dass viele der Menschen mit Behinderungen dem harten Arbeitsalltag einfach nicht standhalten können. Nicht für alle von ihnen passt aber das Konzept geschlossener Werkstätten. Mit Projekten wie dem Einkaufsmarkt in Schönberg erhalten Menschen mit Einschränkungen Berufschancen, die sie in die Gesellschaft integrieren, sie teilhaben lassen und sie bestenfalls im Alltag stärken, sie selbstständiger machen und Freude in ihr Leben bringen. Genau das ist mit dem 200 Quadratmeter großen, 4.000 Artikel starken Lebensmittelmarkt – in dem man alles Wichtige für den täglichen Bedarf findet – gelungen. Insgesamt gibt es acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – ein „klasse Team“, sagt Schüller-Ostermann, die schon überlegt, ob sie nicht von ihrem Wohnort Rossbach nach Schönberg fahren soll, um in „ihrem Lädchen“ weiter einzukaufen. „Zwei der Mitarbeiter mit Einschränkung sind von Anfang an mit dabei“, verrät sie. Bei den Kundinnen und Kunden sieht das ähnlich aus, auch hier gibt es viele treue Besucher. Das schafft zwischen den Bediensteten und den Kunden ein Vertrauensverhältnis. „Die meisten Kunden sind nett“, erzählt Alexandra Neeb, die hier bereits zu Schulzeiten ihr Praktikum gemacht hat und jetzt, unterstützt von der Berufsbegleitung für Förderschülerinnen, die Berufsschule besucht und im „tegut...Lädchen für alles“ ihre Ausbildung macht. „Nur einige diskutieren wegen der Corona-Maskenpflicht mit uns im Laden“, sagt sie. Der Spaß an ihrer Arbeit ist ihr anzumerken, „die Kasse kann ich wirklich gut bedienen“, erzählt sie freudestrahlend. Ihre Kollegin Doris Kraus, die von Anfang an mit dabei ist in dem kleinen, sehr gut sortierten Supermarkt, macht der Kundenkontakt am meisten Freude in ihrem Arbeitsalltag. „Obwohl mir Namen schnell entfallen, kenne ich hier inzwischen viele Kundinnen und Kunden sogar mit Namen“, berichtet sie.

Wechsel in der Geschäftsführung

Für die 69-jährige Schüller-Ostermann, die den Verein bereits an ihren Nachfolger, den Diplombetriebswirt Eberhard Emrich, übergeben hat, ist das der wichtigste Erfolg, zu sehen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurechtkommen, sich wohl fühlen und mit ihren Aufgaben wachsen, sich weiterentwickeln können. Um das Inklusionsunternehmen für Menschen mit Behinderungen aufrechtzuerhalten, darf allerdings auch der wirtschaftliche Erfolg nicht ganz außer Acht gelassen werden. Auch wenn die vier Mitarbeiter mit unterschiedlichen Einschränkungen vom Landeswohlfahrtsverband Hessen gefördert werden, muss ein bestimmter Umsatz eingespielt werden. „Leider sind die Umsatzzahlen die ganzen ersten Jahre weit unter dem geblieben, was ein Gutachten vom Wohlfahrtsverband und auch eine wirtschaftliche Erfolgsrechnung von tegut anfänglich geschätzt hatten“, berichtet Schüller-Ostermann. Dank Unterstützung des Kronberger Bürgermeisters habe man jedoch rechtzeitig Hilfe durch verschiedene Stiftungen erfahren, wie die Liselott und Klaus Rheinberger Stiftung und die Linsenhoff Stiftung. Gefördert wird das Projekt unter anderem auch durch die „Aktion Mensch“.

Umsatzsteigerung im tegut-Lädchen

Umso mehr freut es Schüller-Ostermann und die Belegschaft des Lebensmittelmarkts, dass sich in diesem Frühjahr der Umsatz des Marktes um 30 bis 40 Prozent erhöht und der Lieferservice (ab 20 Euro) inzwischen gut etabliert hat. „Es sieht so aus, als ob es uns doch gelungen ist, neue Kunden dazuzugewinnen“, sagt sie. Die Schwierigkeit bestehe nach wie vor darin, dass viele der Kunden zwar die kürzeren Einkaufswege nutzen, jedoch oftmals nur für kleinere Einkäufe, nicht für den Wocheneinkauf. „Dabei findet man hier wirklich alles, was das Herz begehrt, von Haushaltswaren angefangen bis zu allen erforderlichen Lebensmitteln.“ Dazu bezieht der Verein beispielsweise von einer Bäckerei frische Backwaren.

Weiterentwicklung der Perspektiven

Beste Voraussetzungen für Schüller-Ostermanns Nachfolger, Eberhard Emrich, der zuvor lange Jahre in der Geschäftsführung der Lebenshilfe Gießen tätig war und somit die nötigen Erfahrungen mitbringt, die es für die Leitung eines Trägers braucht, der ganz unterschiedliche Leistungen und Eingliederungshilfen für Menschen mit seelischen Erkrankungen und Behinderungen, aber auch Beratungs- und Präventionsleistungen erbringt. Der Verein „Perspektiven“ wurde im Jahre 1987 von besonders engagierten Mitarbeitern des Waldkrankenhauses Köppern und der Klinik Bamberger Hof in Frankfurt gegründet und versteht sich als Lobby für Menschen mit Beeinträchtigung. „Wir sehen uns als Teil eines regionalen Netzwerkes und leisten unseren Beitrag zur optimalen Versorgung von Menschen mit seelischer Erkrankung oder Behinderung“ und der innovativen Weiterentwicklung des Vereins, so ist auf der Homepage von Perspektiven e.V. zu lesen. Gerade Letztere, die innovative Weiterentwicklung, entsprechend der Veränderungen in der Gesellschaft, ist dem 60 Mitarbeiter starken Verein und seiner langjährigen Geschäftsführerin gelungen.

Perspektiven e. V., der vorrangig im Hochtaunus tätig ist, aber auch eine Nebenstelle in Frankfurt hat und im Rahmen seiner ambulanten und teilstationären Assistenzleistungen beim betreuten Wohnen und in den drei Tagesstätten über 300 Menschen jährlich betreut, hat in den vergangenen Jahren mit neuen Angeboten auf die sich verändernden Gegebenheiten sowie die steigenden Betreuungsfallzahlen reagiert. So gibt es neben der psychosozialen Kontakt- und Beratungsstelle als erste Anlaufstelle für Menschen mit psychischen Krisen oder Angehörige auch die Traumaberatung „AS+TRA“, die Menschen unterstützt, die aufgrund ihrer Flucht oder Menschenrechtsverletzungen traumatisiert sind. Wie Schüller-Ostermann erläutert, wurde weiter die Fachberatung „Perspektiven für Kinder“ gegründet, die sich an Kinder und Jugendliche wendet, deren Eltern seelisch erkrankt sind, um diesen Hilfestellung zu geben, damit sie nicht selbst erkranken. „Um psychischen Erkrankungen präventiv zu begegnen, engagieren wir uns auch im bundesweiten Schulprojekt ,Verrückt? Na und!‘“, ergänzt sie.

„Bei unserem tegut-Lädchen ist es für mich besonders schön zu sehen, wie sich die Mitarbeiter positiv weiterentwickelt haben. Natürlich haben wir auch ein Beschwerdemanagement-Kästchen, aber da kommt nicht viel hinein“, erzählt sie abschließend. Für sie persönlich werde es nicht einfach, Abschied zu nehmen. „Ich werde meine Kollegen vermissen“, sagt sie. „Denn unser Verein hat wirklich sehr engagierte, tolle Mitarbeiter, die sich mit den Aufgaben des Vereins identifizieren.“ Auch das konzeptionelle Arbeiten werde ihr fehlen, deshalb will sie sich nach neuen Herausforderungen umschauen. Und ab und zu wird sie sicherlich den fürs Einkaufen etwas weiteren Weg von Rossbach nach Schönberg in Kauf nehmen, um im „tegut...Lädchen für alles“ auf einen Plausch – und natürlich zum Einkaufen – vorbeizuschauen.



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