Unvollständige Akten zum Winkelbach: „Kröte ist geschluckt“

Kronberg (mw) – Nach der erheblichen Kostensteigerung für die Offenlegung des Winkelbachs am Bahnhofsquartier (wir berichteten) war im Sommer vergangenen Jahres seitens der Stadtverordneten einstimmig ein Akteneinsichtsausschuss beschlossen worden. Die Aufgaben übernahm der Haupt- und Finanzausschuss (HFA) unter Leitung des Ausschussvorsitzenden Andreas Becker (CDU) mit insgesamt fünf Sitzungen. Ziel der Aktensichtung war, „Transparenz bezüglich der massiven Kostensteigerung zu schaffen“, erklärte Becker im Rahmen der jüngsten Stadtparlamentssitzung. Ursprünglich waren im Grundsatzbeschluss für das Bahnhofsquartier 2015 zweimalig Kosten in Höhe von 75.000 Euro für die „Offenlegung des Winkelbachs“ genannt worden. In der Vorlage aus 2021 wurden die Kosten nun mit rund 1,9 Millionen Euro beziffert. „Dies entspricht einer Kostenabweichung von rund 2,5 Prozent vor Ansatz der Kosten für den zweiten Bauabschnitt“, führte Becker aus. Die Vergabe wurde gemäß der Vorlage 5077/2021 in Höhe von 1,36 Millionen Euro beschlossen.

Becker stellte den Stadtverordneten den Abschlussbericht vor – die Ergebnisse der umfangreichen Aktensichtung –, der vom HFA einstimmig beschlossen worden war. Der Stadtverordnetenversammlung seien die 75.000 Euro als Betrag genannt worden, und der Betrag sei in den folgenden Beratungen durch die Verwaltungsspitze nicht korrigiert worden. „Die 75.000 Euro waren völlig unrealistisch“, so Becker. „Nach Auskunft von Erstem Stadtrat Robert Siedler hätten sie nie genannt werden dürfen, da sie nie Gegenstand einer qualifizierten Baukostenermittlung waren. Der Akteneinsichtsausschuss habe feststellen müssen, dass die vorgelegten Akten unvollständig waren. Allein die Herkunft des Betrages von 75.000 Euro habe sich als Grundlage für die Honorarabrechnung ergeben. Becker ergänzte: „Eine belastbare Kostenschätzung lag erst zu einem späteren Zeitpunkt vor.“ Der Aktenausschuss empfiehlt deshalb die Einführung von digitalen Akten und „ein verbessertes, strukturierteres Projektmanagement“. Das sei insbesondere „mit Blick auf eine belastbare Kostenkalkulation unter Angabe der Kalkulationsgrundlage und mit Blick auf eine vollständige Dokumentation der Projektkommunikation“ zu empfehlen.

Weitere, seitens der KfB in einem Antrag formulierte Forderungen, zeitnah zu belegen, dass die Offenlegung des Winkelbachs „angesichts des geringen ökologischen Nutzens und der unverhältnismäßig hohen Kosten nicht vermieden werden kann und bis dahin sämtliche weitere Schritte zur Offenlegung des Winkelbaches zu unterlassen, zog die KfB zurück, da die Baumaßnahmen bereits begonnen haben. „Wir halten es jedoch für unvernünftig, unsinnig und nicht verantwortungsvoll, derart viel Geld in eine Maßnahme zu stecken, deren Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit uns nicht nachvollziehbar nachgewiesen wurde“, betonten sie und kündigten an, eine Petition an den Landrat richten zu wollen mit der Bitte der Prüfung des Sachverhalts. „Uns ist bewusst, dass es ein langes Verfahren ist, aber es gibt ja noch den zweiten Bauabschnitt“, so der KfB-Co-Fraktionsvorsitzende Jochen Eichhorn. Der stellvertretende HFA-Vorsitzende Ralf A. Pampel sprach von einem „erschreckenden Bild der Steuerung, Dokumentation und Kommunikation der Projektentwicklung Winkelbach“, die der Vorgänger-Verwaltungsspitze anzulasten sei. Ähnlich „erschreckend“ empfindet die KfB aber den Umgang der aktuellen Verwaltungsspitze mit der berechtigten Kritik im Rahmen des Dringlichkeitsantrags des Bürgermeisters im vergangenen Sommer, als die Kostenexplosion um das 25-fache von den ursprünglich 75.000 Euro auf 1,9 Millionen Euro verkündet worden war. „Daraufhin wurde versucht, mit den heute so beliebten ‚alternativen Fakten‘ Nebel zu werfen und jede Kritik zu verunglimpfen“, so Pampel. Bis heute habe es kein Wort des Bedauerns, „gar der Entschuldigung für die damalige Verunglimpfung“ gegeben, bedauert er.

„Wir sind gezwungen, die Kröte zu schlucken, um nicht den Fertigstellungstermin für das Casals Forum zu gefährden.“ Man habe Verständnis für die Empörung der KfB, aber nicht für die Inkaufnahme des mit dem Antrag verbundenen Risikos, sagte der FDP-Stadtverordnete Walther Kiep. Anfänglich sei das Büro Levin Monsigny Landschaftsarchitekten beauftragt worden, um das Bachbett „für das lustige Bächlein“ entlang des Casals Forums und des Hotels, das die Besucher erfreuen sollte, zu gestalten. „Das Büro schätzte den Aufwand hierfür auf 150.000 Euro, wurde aber von der Stadt genötigt, den Betrag auf 75.000 Euro zu reduzieren, um die Honorarkosten zu drücken“, ließ Kiep Revue passieren. Dieser Betrag nun sei den Stadtverordneten als Kostenschätzung für das Gesamtprojekt verkauft worden. „Es könnte sein, dass die Täuschung den Zweck hatte, das Projekt Casals Forum nicht durch die Bekanntgabe der tatsächlichen Kosten zu gefährden“, mutmaßte Kiep nun. Sei die Verwaltung jedoch tatsächlich der Auffassung gewesen, dass die Offenlegung für 75.000 Euro zu haben war, dann hätte sie sich doch nach Kostenexplosion fragen müssen, ob der tatsächliche Aufwand noch im Verhältnis zum nach Kieps Überzeugung „nicht vorhandenen ökologischen Nutzen“ steht. Dies sei viel zu spät geschehen. „So bleibt das Gefühl, dass eben leider nicht alles getan wurde, sprich, der üble Nachgeschmack“, findet Kiep und mit ihm die FDP. Ein Gutachten hätte an dieser Stelle Klarheit gebracht, im besten Fall 1,7 Millionen Euro gespart oder doch mindestens viele Stunden an gegenseitigen Schuldzuweisungen erspart.

Nun könne man nur noch hoffen, dass zur Eröffnung des Casals Forum wenigstens Wasser durch den Schillerweiherüberlauf in das dann nach ökologischen Maßstäben 40 Zentimeter breite Bachbett fließt. „Sonst stehen wir wirklich wie die Bürger von Schilda vor einem leeren Bachbett für 1,7 Millionen Euro.“

Der SPD-Stadtverordnete Hans Robert Philippi sah die Sachlage gänzlich anders. Dass die 75.000 Euro als „geschätzte Kosten“ aufgetaucht seien, sei „unglücklich“. Doch könne ihm keiner erzählen, dass sie selbst, die Stadtverordneten, nicht gewusst hätten, dass hier Mehrkosten aufgerufen würden. „Es waren doch vorher im Haushalt schon 630.000 Euro für die Maßnahme vorgesehen“, erinnerte er. Das habe man die ganze Zeit, bis zu der erneuerten Kostensteigerung, doch akzeptiert. Jedem habe klar sein müssen, dass man einen verrohrten Bach, der leider unter dem zu bauenden Hotel und Casals Forum verläuft, nicht einfach überbauen könne, weil man dann nicht mehr darangekommen wäre. „Und wenn man ihn umlegt, dann muss man ihn aus der Verrohrung nehmen und in einen guten ökologischen Zustand versetzen. Darum wären wir doch gar nicht herumgekommen“, meinte er. „Oder wollten sie das Parkdeck dort stehenlassen?“ Es gebe nun einmal Bestimmungen, an die man sich zu halten habe.

An diese erinnerte auch Erster Stadtrat Robert Siedler einmal mehr. „Wir haben die Gesetzeslage eindeutig dargelegt, der Winkelbach ist zwingend offenzulegen“, sagte er.

So freute sich denn auch der Grünen-Stadtverordnete Udo Keil über die erhebliche Aufwertung des Gewässers als biologisches Habitat mit verlangsamter Fließgeschwindigkeit und Durchwanderbarkeit, die ihm das Regierungspräsidium bestätigt habe, während die KfB-Co-Fraktionsvorsitzende Heide-Margart Esen-Baur sich über Philippis Wortbeitrag, man habe sich als Verwaltung an die Bestimmungen zu halten, echauffierte. Ihrer Überzeugung nach hätte man die Denkmalschutzbehörde miteinbeziehen müssen, da der Schillerweiher wie auch der gesamte Stadtpark unter Denkmalschutz ständen, dies habe die Stadt aber nicht getan. „Daraus ziehe ich den Schluss, dass sich die Verwaltung nicht an die Bestimmungen gehalten hat.“



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