Kronberg (aks) – 50 Jahre hat sie geschwiegen. Zur Gedenkveranstaltung zum 50. Jahrestag der Befreiung nach Auschwitz sei sie auf Drängen ihrer Töchter 1995 nach Auschwitz gefahren, „zum ersten Mal“. Eine Gruppe Jugendlicher habe sie gebeten: „Erzählen Sie doch mal!“ und da sei es aus ihr „heraus gesprudelt“. „Alle im Schneidersitz und ich auf dem Bett.“ Die Töchter erfuhren so zum ersten Mal von ihrem Leidensweg, weder ihnen noch ihrem Mann hatte Eva Szepesi, 1932 in Budapest geboren, davon berichtet. Sie entschied sich damals, mit aktiver Erinnerungsarbeit für alle zu sprechen, „die Familien und Unschuldigen, die stumm sind, ermordet, damit sowas nie wieder passiert!“ Eva Szepesis Kindheit endete mit zwölf Jahren im Vernichtungslager der Nationalsozialisten Auschwitz-Birkenau, wo ihre Eltern und ihr kleiner Bruder vor ihr ermordet wurden. Eine Aufseherin rettete ihr bei „der Selektion“ an der Rampe das Leben, als sie ihr riet, zu sagen, sie sei 16 Jahre alt: „Versuch nicht, dich jünger zu stellen!“. So kam sie in den Arbeitsdienst, wo sie Steine schleppen und Maschinenteile reinigen musste und fast verhungerte. Am 27. Januar 1945 wurde sie von einem sowjetischen Soldaten gerettet. „Ich habe überlebt“, so Eva Szepesi.
Zeitzeugin erinnert an den Holocaust
Eva Szepesi wirkt stark, mit fester Stimme spricht sie von ihren schrecklichen Erlebnissen, und wirkt dennoch nicht verbittert. In Auschwitz haben sich auch die Illustratorin Stephanie Lunkewitz, die 2015 mit ihrem Mann, dem Verleger Bernd Lunkewitz nach Los Angeles auswanderte, und die Journalistin Bärbel Schäfer 2014 kennengelernt. Dieser Besuch habe sie „sehr mitgenommen“ und ließ sie nicht mehr los. „Ich muss was machen!“, so Lunkewitz. Sie lernte Eva Szepesi kennen und habe einfach in ihrem Frankfurter Wohnzimmer gesessen und zugehört. Aus diesen Gesprächen und vielen transatlantischen Zoom-Konferenzen sei dieses Buch entstanden. Die Illustratorin wollte sich viel Zeit lassen für „ihr Lebenswerk“, denn dies sei das wichtigste Buch ihres Lebens. Heute Abend sei sie „überglücklich“, sich mit Eva Szepesi und Myriam Halberstam vom Ariella Verlag in Kronberg zur Lesung zu treffen. Zum ersten Mal seien sie in persona vereint. Dirk Sackis, Inhaber der Bücherstube Kronberg, schien sichtlich stolz über den Anklang, den diese besondere und für ihn „wichtige“ Lesung fand. Er plane auch eine Wiederholung dieses Abends Anfang April, mit so viel Andrang habe er nicht gerechnet.
Treffpunkt für „wichtige“ Lesungen
Die Stimmung in der gemütlichen, bereits mehrfach ausgezeichneten, Buchhandlung war herzlich aufgeladen, jeder fühlte sich willkommen und den meisten schien bewusst, welche Ehre und welch einmaliger historischer Moment es war, der Zeitzeugin Eva Szepesi zuzuhören, die von ihrem Leben erzählte und aus ihrem Buch las: „Ich war Eva Diamant“, ein Jugendbuch, das für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren empfohlen wird, nach den Statuten des Yad Vashem. Die Bilder von Stephanie Lunkewitz scheinen schonungslos und sind doch zumutbar. Sie hat viel Herzblut in dieses Werk gelegt, das spürt man, wenn sie selbst Passagen aus dem Buch liest.
Eine „Komplett-Katastrophe“ habe sie selbst erlebt, als am 7. Januar dieses Jahres ihr Haus in Pacific Palisades abbrannte, das Nachbarhaus der Villa von Thomas Mann und der Villa Aurora von Lion Feuchtwanger. Ihr Mann habe noch in den Flammen ihr Manuskript und ihre Bilder für dieses Buch gerettet und dabei sein Leben riskiert.
Alles andere, viele eigene Werke sowie Originale ihrer Eltern, Kinderbuchautoren in der DDR, und Familien-Fotos, alles sei verbrannt. Tapfer ringt sie sich ein Lächeln ab: „Mir geht es gut, ich habe meine Familie.“ Das Holocaust-Museum in Los Angeles, das ihre Werke ausstellt, stehe „für Weitermachen!“ Und sie strahlt: „Trotz des Feuers gibt es dieses Buch.“
Nach dem 7. Oktober, dem brutalen Angriff der Hamas-Terroristen auf Israel, habe sich ihr Leben verändert, wie das der meisten Juden, erläutert Eva Szepesi auf Nachfrage. Sie hätte nie geglaubt, „dass in unserem Leben sowas nochmal kommt! Wir müssen auf die Demokratie aufpassen!“ und: „Bei den jungen Leuten habe ich Hoffnung.“ Wenn sie in Schulen von ihrem Leben berichte, „könnte man eine Nadel auf den Boden fallen hören“, so mucksmäuschenstill sei es. Ihre eindringliche Bitte: „Vergesst meine Geschichte nicht, denn jetzt seid ihr Zeugen einer Zeitzeugin.“
Zweitzeugen
Die Verlegerin Halberstam erklärt, dass es aktuell den Begriff „Zweitzeugen“ und auch einen Zweitzeugen-Verein gebe, der die Geschichten über den Holocaust weiterträgt.
Auch die Anwesenden hat die Zeitzeugin an diesem Abend in Kronberg zu Zweitzeugen gemacht, niemand dürfe schweigen, wenn jüdisches Leben angegriffen werde und Juden sich in Deutschland nicht mehr sicher fühlten, so Szepesi. Die Hamas hat am 7. Oktober auch deutsche Geiseln in ihre Gewalt gebracht, doch aus Deutschland sei kein Aufschrei zu hören gewesen – obwohl noch immer 63 Geiseln in der Gewalt der Hamas sind. Halberstams bittere Erkenntnis: „Weil sie Juden sind“.
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