Kronberg (mg) – Das Bundesministerium trägt aktuell die Kurzform BMFSFJ, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Männer tauchen inhaltlich folglich als Teil von Familie, Senioren und Jugend auf. Sie sind statistisch gesehen, wenn man dem ersten „Einsamkeitsbarometer“ Deutschlands folgt, etwas weniger einsam als Frauen. Unabhängig von der Verwendung von Etiketten, Plaketten oder neuhochdeutsch „Labels“ von Ministerien ist Einsamkeit ein Begriff und ein Zustand, der lange in der gesellschaftlichen Wahrnehmung nicht gerne gesehen und schambehaftet war – ähnlich wie Trauer, Krankheit und der Tod an sich. Und doch sind dies alles Emotionen und Zustände, die nahezu jeder Mensch einmal durchlebt – und sei es nur unbewusst, ohne zu merken, dass dem so ist. Es sind völlig normale Befunde und Umstände eines Menschen im Laufe seiner Existenz. Ein Tabu ist häufig ein ungeschriebenes Gesetz, das dazu dienen kann, etwas zu stigmatisieren oder gar „totzuschweigen“. Etwa ein Drittel aller Menschen in Deutschland zwischen 18 und 53 Jahren leidet zumindest ab und an unter dem Gefühl oder auch der Tatsache ‚Einsamkeit‘. Mit dem zuvor genannten Einsamkeitsbarometer trat Bundesministerin Lisa Paus Ende Mai an die Öffentlichkeit. Es handelt sich dabei um die erste umfangreiche und professionell verarbeitete Datenerhebung in der Bundesrepublik Deutschland zum bisherigen Tabuthema. Mit dieser Studie, die Daten aus dem Zeitraum zwischen den Jahren 1992 und 2021 enthält, wird es nun aus dem Schattendasein geborgen und in Zukunft Thema sein können, ohne Tabu – auch in Kronberg im Taunus und seiner Stadtverwaltung respektive den dafür zuständigen Fachbereichen und Gremien. Die aktuelle Bundesregierung liefert hierzu dem gesamten Land eine Strategie gegen Einsamkeit, in der 111 Projekte zusammengefasst wurden. Angeschlossen daran war vor kurzem eine bundesweite Aktionswoche mit dem Titel „Gemeinsam aus der Einsamkeit“ zwischen dem 17. und 23. Juni.
Einsam ist nicht alleine sein
Das Einsamkeitsbarometer 2024 benennt repräsentative Aussagen zur nationalen Entwicklung von Einsamkeit, macht vulnerable Gruppen und Risikofaktoren aus, zeigt Veränderungen und Entwicklungen auf und gewährleistet somit auch eine internationale Vergleichbarkeit der Daten. Das „Kompetenznetz Einsamkeit“ am gemeinnützigen Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. (ISS) in Frankfurt am Main bereitete die Erhebungen auf. Dort wird Einsamkeit folgendermaßen definiert: „Einsamkeit ist ein subjektives Gefühl, bei dem die eigenen sozialen Beziehungen nicht den persönlichen Wünschen und Bedürfnissen entsprechen. Zum Beispiel kann Einsamkeit für manche ein empfundener Mangel an engen emotionalen Bindungen bedeuten. Für andere entsteht Einsamkeit, wenn sie weniger Kontakt zu anderen Menschen haben, als sie es gerne möchten.“ Professorin Maike Luhmann, eine der führenden deutschen Einsamkeitsforscherinnen, beschreibt das Thema folgendermaßen: „Einsamkeit ist eine wahrgenommene Diskrepanz zwischen den gewünschten und den tatsächlichen sozialen Beziehungen“. Nimmt man den Begriff „subjektiv“ heraus, ist man folglich schon ein Stück weit der „Wahrheitsfindung“ nähergekommen. Zum Problem wird Einsamkeit, wenn das Gefühl sich manifestiert und mit einem dauerhaften Leidensdruck einhergeht. Chronische Einsamkeit macht unglücklich und ist mit einer Vielzahl an körperlichen und psychischen Erkrankungen verbunden. Während der Covid-19-Pandemie nahm das Gefühl der Einsamkeit stark zu und nun danach auch wieder deutlich ab. Dennoch sind „Rückstände“ vorhanden, denn solche Erlebnisse verkraftet nicht jede und jeder gleichermaßen – Stichwort „individuelle Resilienz“. Manche Menschen schätzen eine gewisse Form des Alleinseins, andere halten es kaum zwei Stunden ohne einen persönlichen Kontakt zu jemand anderem aus. In der Studie wurde unter anderem festgehalten, dass einsame Menschen seltener an demokratischen Wahlen teilnehmen und sich insgesamt weniger engagieren. An sich nicht wirklich erstaunlich, so geht tatsächliche Einsamkeit über einen langen Zeitraum nahezu uneingeschränkt mit Formen von Depression einher, die wiederum Rückzug und Phlegma als Merkmale aufweisen. Ältere und jüngere Menschen sind laut der statistischen Erhebung vom Moment der Einsamkeit am häufigsten betroffen. Außerdem Menschen, die intensive „Care-Arbeit“ leisten. „Care-Arbeit“ oder Sorgearbeit beschreibt die Tätigkeiten des Sorgens und sich Kümmerns. Dazu zählen Kinderbetreuung, Altenpflege, gleichzeitig auch familiäre Unterstützung, häusliche Pflege oder Hilfe unter Freunden.
Fachbereich 3 der Stadtverwaltung
Der Redakteur unterhielt sich im Rahmen der Veröffentlichung des Einsamkeitsbarometers mit der Leiterin des Fachbereichs „Soziales, Kultur und Bildung“ der Stadt Kronberg, Angelika Hartmann, und der Abteilungsleiterin des Fachreferats Soziales, Senioren und Integration, Annika Carstens, zum Thema Einsamkeit. Während der Coronazeit und auch durch Gespräche im Zuge der Seniorenwoche der Stadt Kronberg im vergangenen Jahr fiel Angelika Hartmann auf, dass vor allem Kindern, Jugendlichen und Senioren vieles an Sozialem fehlte und das Thema Einsamkeit einmal näher beleuchtet werden müsste – für und bei Menschen jeden Alters. Gleichzeitig sollte es in ihren professionellen Augen nicht nur betrachtet, sondern auch „bearbeitet“ werden. Das bedeutete, dass die ausgebildete Erzieherin und studierte Pädagogin begann, Ideen und Konzepte zu sammeln, die dabei helfen können, die von Einsamkeit betroffenen Menschen in Kronberg aus diesem bisweilen leidvollen Lebensumstand herauszuholen. „Man kann sich nicht nur einsam fühlen, wenn man alleine lebt. Auch in Beziehungen, die grundsätzlich Veränderungen unterworfen sind, ist das möglich, wie ich in einigen Gesprächen feststellte“, formulierte Hartmann im Interview einen weiteren Aspekt des Themas. „Zudem trauen sich Menschen häufig nicht, sich mitzuteilen. Es mussten also in meinen Augen Maßnahmen und Angebote gestaltet werden, die es ermöglichen, diese Menschen zu motivieren, ihr Leben zu verändern. Hier tritt das bekannte Prinzip ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘ in Erscheinung, Hilfe, sich aus der Isolation zu lösen“, ergänzte Hartmann. Ihr stellten sich zwei Fragen: zum einen, wie erkennt man einsame Menschen und, zum anderen, wie bekommt man Kontakt und Zugang zu ihnen.
Hartmann kam zu dem Schluss, dass es „Angebote brauche, die mit einer positiven Motivation etwas öffnen“. Wichtig sei hierbei, dass die Verknüpfung zu positiven Emotionen und Gefühlen hergestellt würde. Seit dem 1. März übernimmt nun schrittweise Angelika Carstens diese Aufgaben, musste sich in das Thema einfinden und konnte die Vorbereitungen von Angelika Hartmann miteinbeziehen. Ihr Fachreferat ist auch für das Ausrichten der Seniorenwoche zuständig. Carstens und Hartmann berichteten dann vom Alltäglichen. Beispielsweise versuche man im Ernst-Winterberg-Haus, einer Wohnanlage der Stadt Kronberg für Menschen „60 plus“, Anreize und Angebote zu schaffen, die Verbindungen auf freiwilliger Basis entstehen lassen. Es gebe exemplarisch den Montagsclub mit Beisammensein zu Kaffee und Kuchen und Ausflügen, Seniorengymnastik, Seniorenfrühstück und vieles mehr. „In der Adlerstraße im Café Kollektiv gibt es nun einen vom Fachbereich ins Leben gerufenen Spieletreff. Zunächst kamen nur drei bis vier Leute; mittlerweile sind es bis zu 15 Menschen, die nicht nur Scrabble spielen, sondern sich auch unterhalten. Mit der Zeit verabreden sich diese Menschen dann auch untereinander. Wir haben den Raum und ein Thema zur Verfügung gestellt; daraus entwickeln sich dann oft andere Dinge, Zwischenmenschliches“, erklärte Annika Carstens die Entwicklung beispielhaft. Durch die unterschiedlichen Angebote, die gemacht würden, spreche man in der logischen Konsequenz auch unterschiedliche Personen an, ergänzte sie. Aus dem Zuspruch sammle man selbst Erfahrungswerte, was „gut ankäme“ und was nicht so sehr auf Zuspruch stoße. Das fließe dann in die zukünftige Gestaltung anderer und weiterer Angebote. „Aber auch die drei oder vier Menschen, die ein Angebot schätzen, sind es gewiss wert, dass dieses gemacht wird“, finalisierte es Carstens.
„Das Gefühl von Einsamkeit kann darüber hinaus dadurch zustandekommen, dass man mit seinem Erscheinungsbild oder seinen Argumenten nicht positiv wahrgenommen wird“, führte Angelika Hartmann ein weiteres Momentum an. Diese Menschen, die oft einen introvertierten, zurückhaltenden Charakter besäßen, fühlten sich oft nicht gesehen, nicht beachtet, nicht gehört. Das sei jedoch ein Grundbedürfnis jedes Menschen, das zumindest zu einem gewissen Maße erfüllt werden müsse. Ohne diese Wertschätzung der eigenen Person verkümmere man ansonsten. Das gelte auch für sehr alte und/oder kranke Menschen, die traurigerweise den persönlichen Eindruck entwickelten, der Gesellschaft nichts mehr zu bieten zu haben. Dieser Zustand ist mit Einsamkeit gewiss „verwandt“. Digitale Angebote könnten zwar ergänzen und in einzelnen „einsamen“ Momenten helfen; gleichzeitig ersetzten diese aber nicht den direkten zwischenmenschlichen Kontakt, formulierten es Annika Carstens und Angelika Hartmann einhellig noch auf die Frage der Redaktion, wie sie das Angebot von sozialen Netzwerken im thematischen Zusammenhang bewerteten. Heute würde der Nachbar eine Whatsapp-Nachricht schreiben, ob man mit einer Packung Milch aushelfen könne. Früher hätte er an der Tür geklingelt und der direkte soziale und alltägliche Austausch hätte als Gespräch stattgefunden. Die digitale Welt sei aufgrund der ursprünglichen und immer noch existenten Bedürfnisse der Menschen nach direkten zwischenmenschlichen Kontakten häufig genug selbst eine Form der Einsamkeit. Das begleite nun die Gesellschaft beim Altwerden und müsse im Auge behalten werden.
Als letzter Punkt wurde angesprochen, dass es sicherlich Menschen gebe, die aufgrund des Ausmaßes ihrer Einsamkeit psychotherapeutische Begleitung bräuchten. Wenn diese jedoch nicht wollten, könne man gleichzeitig niemanden zwingen. Es gebe bedauerlicherweise Grenzen ihrer Wirkungsmöglichkeiten, betonten die engagierten Mitarbeiterinnen der Kronberger Stadtverwaltung.
Fotoprojekt
„Einsam – Gemeinsam“ ist der Titel, unter dem das Projekt des Magistrats und des Seniorenbeirats der Stadt Kronberg und des Kamera-Klubs in der Taunuskommune läuft, ebenfalls flankiert vom Fachbereich 3. Ziel des kreativen Wettbewerbs ist es, den aufmerksamen Blick auf das Thema Einsamkeit zu lenken, und zwar durch die Fotolinse. Alle – außer professionellen Fotografen – sind zum Mitmachen eingeladen. Es können Momente des Lebens eingefangen oder Geschichten erzählt werden. Oder beides. Alle Amateurfotografen sind zwischen dem 15. Mai und dem 1. September (Einsendeschluss) aufgerufen, ihre thematischen Fotografien an die E-Mail-Adresse einsam-gemeinsam[at]gmx[dot]de zu schicken. Benötigte Formulare für die Nutzungsrechte, die Datenschutzfreigabe und weitere Informationen können auf der Internetseite des Kronberger Kamera-Klubs gefunden werden: www.kamera-klub-kronberg.de. Die Preisverleihung findet im Rahmen der diesjährigen Seniorenwoche der Stadt Kronberg statt, genauer am 14. Oktober in der Stadthalle am Berliner Platz. Es wird für die drei Fotos, die auf den ersten drei Plätzen landen, besondere Preise geben, und die zehn „besten“ Fotos finden sich in einer Ausstellung wieder, die in der Stadtbücherei in der Hainstraße zu sehen sein wird. Die Jury besteht aus Mitgliedern des Kamera-Klubs.
Seniorenwoche
Die Seniorenwoche war im Jahr 2023 ein toller Erfolg und findet dieses Jahr zwischen dem 14. und 19. Oktober statt. Thema wird auch hier, wie erwähnt, ‚Einsamkeit‘ sein. Unter anderem wird die Radiomoderatorin und Autorin Bärbel Schäfer aus ihrem Roman „Avas Geheimnis“ vorlesen, der sich ebenfalls um das Thema dieses Artikels dreht. Schäfer wird auch die Preisverleihung zum zuvor beschriebenen Fotowettbewerb „Einsam-Gemeinsam“ übernehmen.