Vier Jahreszeiten und ein Tango – Gidon Kremer und die Kremerata Baltica garantieren Spannung

Kronberg (aks) – In Schnittkes „Concerto grosso“ aus den 90er-Jahren mit Geiger Gidon Kremer und Olli Mustonen, Pianist und Dirigent, entstehen gleich zu Anfang ungewöhnliche Klangbilder, die neu und spannend, hell und dunkel wirken und teils dissonant auch gewöhnungsbedürftig sind. Das Publikum im Casals Forum lauscht hoch konzentriert und schätzt Gidon Kremers mutigen Einsatz für moderne und wenig bekannte Musik. An diesem Abend geht es nicht nur um Wohlklang für die Ohren und entspanntes Zurücklehnen, auch wenn Bach und Vivaldi dabei unbestrittene Publikumslieblinge sind. Gidon Kremer, dessen Schaffen nicht nur den klassischen Werken, sondern auch osteuropäischen, modernen Komponisten gewidmet ist, die nicht in einem Bogenstreich die Gemüter erobern, ist auch dem Kronberger Publikum bekannt für seine kompromisslose Haltung in der Musikwelt. Die Kremerata Baltica, 1997 von ihm gegründet, mit Nachwuchstalenten aus dem Baltikum, gilt heute als eines der bedeutendsten Ensembles Europas jenseits des Mainstream. Das Werk Antonio Vivaldis, des venezianischen Violonisten des Barock, blieb 300 Jahre verschollen und wurde erst 1926 in Turin wieder entdeckt und erfreut sich seitdem größter Beliebtheit. Seine „Vier Jahreszeiten“ faszinieren bis heute Alt und Jung, so ursprünglich, kraftvoll und bildhaft ist seine musikalische Reise durch das Jahr. Der Frühling ist leicht und zart. Das Vogelgezwitscher macht Lust auf einen Neustart.

Der Sommer ist für die Menschen auf dem Land eine große Mühsal: „Bei glühender Sonne schmachten Mensch und Herde“ – so klingt Totenstille in der Musik. Im Herbst wird die Ernte eingefahren, das verspricht Genuss – und viel Wein - eine willkommene Unterbrechung nach all der Mühsal: „Die Bauern feiern tanzend und singend“. Den Winter vertont Vivaldi als Rückzug vor den Kamin bei klirrender Kälte, aber auch als Knirschen der Schlittschuhläufer auf dem Eis. Janine Jansen, die holländische Stargeigerin, spielt auf einer Stradivari von 1715, die, wer weiß, vielleicht schon damals die Noten Vivaldis in Musik übersetzte. Freudestrahlend und voller Energie verleiht sie der verzaubernden Musik ihre eigene Magie. Bei den Allegro und Presto-Passagen in atemberaubendem Tempo fliegen ihre Haare, sie hopst und wiegt sich, immer im freudig zugewandten Dialog mit den virtuosen Musikern der Kremerata Baltica, sowie der empathischen Begleitung am Cembalo, gespielt vom renommierten Reinut Tepp aus Estland. Als Zuschauer vergisst man sekundenlang zu atmen. Besonders der innige Dialog mit dem wunderbaren Cello der charismatischen Magdalena Ceple, rührt beim Largo und Adagio. Alle früheren Versionen der „Vier Jahreszeiten“ (davon gibt es viele!), sind wie weggeblasen. Erstaunt und erfrischt erlebt man Jansens Vivaldi ohne Pathos, ohne Allüren. Auch die Akustik des Casals-Saal macht das Vivaldi-Erweckungserlebnis einzigartig. Das Doppelkonzert d-Moll von Bach, das Gidon Kremer in einmütiger Vollendung mit Janine Jansen spielt, gehört zu den Höhepunkten des Abends und ist nicht nur für Bach-Fans ein außergewöhnlicher Genuss.

Das Werk des Argentiniers Alberto Ginastera, „Concerto per corde“ ist dagegen voller spannender Dissonanzen und starker Rhythmik, ein musikalischer Kraftakt für das Ensemble mit hitzigem Pizzicato mit leiser Melancholie unter der Leitung von Olli Mustonen, das mit einem furiosen Finale, auch physisch in seiner Vehemenz Grenzen überwindet.

Nach den strahlenden Vier Jahreszeiten des Barocks erklingen nach fast drei Stunden die „Vier Jahreszeiten von Buenos Aires“ von Astor Piazzolla: Eine Liebeserklärung an seine Heimatstadt und an den Tango, voll instrumentaler Opulenz und rhythmisch, ausgelassen und melancholisch. Wie beim Tango eben, der sich verführerisch anschleicht, zum Tanz lädt und zu einem weiteren Höhepunkt des fast vierstündigen Programms anschwillt – ganz ohne Kitsch und Folklore. Das Publikum ist außer Rand und Band und springt von den Sitzen. Dieser Abend voller positiver Energie dank wunderschöner – und vor allem sehr unterschiedlicher – Musik und hingebungsvoller Weltklasse-Musiker war ein Geschenk.

Janine Jansen riss das Publikum mit ihrer Spielleidenschaft von den Sitzen, kongenial begleitet von Gidon Kremer und der Kremerata Baltica.
Foto: Patricia Truchsess



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