Der voll besetzte Gemeindesaal in der Markusgemeinde in Schönberg Fotos: Göllner
Kronberg (mg) – Vor 85 Jahren – an sich keine lange Zeitspanne –, in der Nacht vom 9. auf den 10. November im Jahr 1938, brannten in Deutschland Synagogen. Organisierte Schlägertrupps zerstörten jüdische Geschäfte und andere Einrichtungen. Es war der Tag, an dem Tausende Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens in Deutschland misshandelt, verhaftet oder getötet wurden. Am Abend des 9. November dieses Jahres versammelten sich im Gemeindesaal der Schönberger Markusgemeinde mehr als 80 interessierte Menschen unterschiedlichen Alters. Eingeladen hatte am Donnerstag der Ortsverband der Kronberger Sozialdemokraten zu einer zeitgemäßen Veranstaltung mit dem Titel „Müssen wir wieder um unsere Demokratie kämpfen?“. Es herrschte reges Treiben im Raum. Nach und nach wurden immer mehr Stühle ergänzt, da der Zuspruch das erwartete Maß anscheinend überstieg. Sowohl der langjährige Kronberger SPD-Mandatsträger und kundige Geschichtsinteressierte Hans-Robert Philippi als auch Historiker Professor Dr. Christopher Kopper, der in Kronberg aufwuchs, an der Universität Bielefeld lehrt und in den 1990er Jahren das Buch „Das Hakenkreuz auf der Kronberger Burg“ verfasste, sollten in den nächsten zwei Stunden mit eindrucksvollen Details in ihren Redebeiträgen anschaulich schildern, wie es um Kronberg im Jahr 1938 bestellt war. Koppers Aufgabe an diesem Abend war ergänzend, Vergleiche zwischen dem Aufstieg der NSDAP und der AfD zu formulieren. Ergänzt wurden beide durch Vertreterinnen und Vertreter der Kreisau AG der Altkönigschule, die sich zukünftig zum Ziel macht, sich um die Gedenksteine für jüdische Opfer in Kronberg zu kümmern, die sogenannten „Stolpersteine“. Es schloss sich insgesamt eine engagierte Diskussion mit dem Publikum an, so viel sei vorweggenommen.
Hans-Robert Philippi
Zunächst stellte Hans-Robert Philippi einen historischen Zusammenhang zum Datum her. Er beschrieb im Folgenden die konkreten Geschehnisse und Entwicklungen zur damaligen Zeit in Kronberg und begann im Jahr 1933 – dem Jahr, in dem Hitler die Macht in Deutschland ergriff und Hindenburg ihn zum Kanzler machte. Zu diesem Zeitpunkt lebten nach Philippis Angaben 26 jüdische Kronbergerinnen und Kronberger in der Stadt im Taunus, die nach Berichten Carl Neubronners in das kommunale Leben integriert waren. Das sollte sich ändern. Der in Kronberg wohnende Philosoph Max Horkheimer verließ beispielsweise umgehend im Jahr 1933 sein Haus im Minholzweg und wanderte in die Vereinigten Staaten von Amerika aus. Im Kronberger Waldschwimmbad waren „Juden nicht länger erwünscht“, der Schumacher Sally Strauss in der Friedrich-Ebert-Straße 17 wurde boykottiert und der damalige Bürgermeister Kronbergs, Wilhelm Schaub, postulierte bereits lange vor den Novemberpogromen, dass „kein Geschäftsmann mehr einen städtischen Auftrag erhielte, sofern er mit Juden verkehre oder Geschäfte mache“. In der Reichspogromnacht fand die Entwicklung ihren negativen Höhepunkt. Ein Sturmtrupp drang in das Haus des jüdischen Chemikers Dr. Ernst Eichwald in der Höhenstraße ein und zerstörte den Innenbereich nahezu vollständig, auch andere wurden Opfer von Vandalismus, Brandstiftung und Gewalt. Im Zuge der weiteren sich verschärfenden Schikanen verließen viele der Betroffenen die Stadt. Fünf Kronbergerinnen und Kronberger fanden ihren Tod in den Konzentrationslagern, insgesamt 14 Menschen kamen durch Verfolgungsmaßnahmen ums Leben. Hans-Robert Philippi betonte intensiv die Erinnerungskultur, die am Leben zu halten wäre, um erneute mögliche Grausamkeiten und gesellschaftliche Verwerfungen zu verhindern. Und er unterstrich das notwendige und damit rechtzeitige Erkennen solcher Entwicklungen und Dynamiken aktuell und in der Zukunft, um in der Lage zu sein, dem entgegenwirken zu können.
Die Kreisau AG der Alktkönigschule
Die Schülerinnen Nika Ristic, Ji-Won Lee, Margret Maßmann und Lehrer Daniel Keiser von der Kronberger Altkönigschule traten ebenfalls während der Veranstaltung ans Mikrofon und bekamen für ihr Engagement und die Absicht, sich zukünftig um den Erhalt der „Stolpersteine“ in Kronbergs Stadtbild zu kümmern, Anerkennung und Beifall. Die „Stolpersteine“ sind das Ergebnis des Kunstprojekts Gunter Demnigs, das im Jahr 1992 begann. Mit den im Bürgersteig eingelassenen Messingtafeln soll an das Schicksal der Menschen erinnert werden, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert oder vertrieben wurden. Im polnischen Dorf Krzyzowa (Kreisau), rund 60 Kilometer südwestlich von Breslau, liegt die Internationale Jugendbegegnungsstätte „Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung“ und steht symbolisch für die deutsch-polnische Annäherung und Kommunikation. In den Jahren 1942 und 1943 fanden dort Treffen der Widerstandsgruppe um Helmuth James von Moltke statt, um Pläne und Einschätzungen für eine Zeit nach dem Nationalsozialismus zu kreieren. Im Jahr der deutschen Wiedervereinigung 1989 trafen sich zudem der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland Helmut Kohl und der polnische Regierungschef Tadeusz Mazowiecki und nahmen gemeinsam an einer Versöhnungsmesse teil. An der Kronberger Altkönigschule existiert seit langer Zeit ein Bezug zu diesem Ort in Form der Kreisau Arbeitsgemeinschaft, die als Prämisse „Aus der Vergangenheit lernen, Zukunft gestalten“ trägt. Wenn die Schülerschaft der AKS nach Krzyzowa/Kreisau reist, setzt sie sich unter anderem mit polnischen Schülerinnen und Schülern im Rahmen von Workshops, Vorträgen und Exkursionen mit den Themen Widerstand gegen den Nationalsozialismus, der polnischen Geschichte und dem Holocaust auseinander.
Professor Dr. Christopher Kopper
Daran schloss Professor Dr. Christopher Kopper an und versuchte, anhand einiger Gegenüberstellungen aufzuzeigen, ob – und wenn ja welche – Parallelen und Ähnlichkeiten zwischen der Entwicklung der damaligen NSDAP und der aktuellen AfD existierten. Ein gravierender Unterschied sei laut Kopper, dass die Verfassung der Weimarer Republik von Beginn an von Monarchisten, National-Konservativen und völkisch Rechtsextremen bekämpft wurde, wohingegen die Bundesrepublik Deutschland von Beginn an und bis heute auf einen breiten politischen Konsens der meisten etablierten Parteien zurückgreifen kann, was die Werte des Grundgesetzes betreffe. Kopper ergänzte, dass nach seinem Dafürhalten die AfD an Vorurteile appelliere, an Neidgefühle und verbreitete Ressentiments. Ferner mache sich die Partei, die in einigen Bundesländern bereits vom Verfassungsschutz überwacht werde, die Unwissenheit von Teilen der Bevölkerung zunutze. Des Weiteren sei die AfD mehr oder weniger monothematisch in der Argumentation und führe nahezu alle Probleme des Landes auf das Thema Einwanderung zurück. Was die Ähnlichkeiten der Strategien von NSDAP und AfD angehe, formulierte der Lehrende an der Universität Bielefeld einige Gemeinsamkeiten. Beide Parteien vermieden grundsätzlich konkrete Aussagen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik. Beispielsweise kämen keine tatsächlichen Aussagen seitens der AfD zu den Themen Mindestlohn, Bürgergeld, Steuerpolitik und Rente. Die politischen Widersprüche würden sich auch in den Vorsitzenden der Partei widerspiegeln – einerseits die neoliberale Ex-Bankerin Alice Weidel und andererseits der national-soziale Malermeister Tino Chrupalla. Beide Parteien sprächen zudem alle soziale Schichten an, wobei die NSDAP im Akademikermilieu deutlich erfolgreicher war als es die AfD bislang noch ist. Ängste von Bürgerinnen und Bürgerin um materielle Verluste und den sozialen Status zu befördern, sei auch beiden Parteistrategien immanent.
Diskussion im Anschluss
Es entwickelte sich nach dem Ende der Redebeiträge eine kleine Kontroverse in den Räumlichkeiten der Markusgemeinde. Zunächst zeigten sich einige Besucher konsterniert und etwas rat- und hilflos, da sie die gesellschaftliche Entwicklung kaum verstünden. Sie bemängelten Komfortzonen, aus denen man herauskommen müsse, um die Demokratie zu stärken und zu verteidigen. Ein anderer Teilnehmer stellte dann deutlich die Frage, ob der Zuwachs der AfD nicht auch daran liegen könne, dass sehr viele demokratisch legitime Themen dieser Partei überlassen würden. Ersichtlich nicht dem rechten politischen Spektrum zugehörig, formulierte der Besucher, der sich große Sorgen um das Land mache, ob es legitim sei, Menschen, die beispielsweise „Gendern, illegale Migration und das Aus von Benzinmotoren“ kritisierten, bisweilen in Ecken zu schieben, wo sie gar nicht hingehörten. Er appellierte an eine größere Akzeptanz anderer Meinungen im gesamten politischen Spektrum, sonst würde man der AfD ein viel zu großes Feld überlassen, das diese dann ohne große Probleme vereinnahmen könne, ohne tatsächliche Lösungen anzubieten. Diese Punkte konnte man durchaus in Zusammenhang mit einem der Analysepunkte von Christopher Kopper bringen, der zuvor in seiner Rede angab, dass beim empirischen Betrachten der AfD-Wählerschaft „nur“ 29 Prozent ein durchgehend rechtsextremes Weltbild innehätten, die anderen 71 Prozent wiederum nicht. Mit diesem größeren Prozentanteil könne man nach wie vor in Diskussionen treten und Argumente austauschen. Abschließend sei gesagt, dass zu konstruktiven Diskussionen auch das Zuhören und die Akzeptanz anderer demokratischer Meinungen gehören. Nur Senden alleine hilft nicht. „Politik ist kein Wunschkonzert, auch kein Pizzaservice, der liefert, was man bestellt. Politik setzt immer Kompromisse voraus“, war dann schlussendlich auch eine der wesentlichen Aussagen des Abends und kam ebenfalls von Christopher Kopper. Das trifft zumindest in tatsächlichen und wehrhaften Demokratien zu. „Wehret den Anfängen. Zu spät wird die Medizin bereitet, wenn Übel durch langes Zögern erstarkt sind“, gab einst der römische Dichter Ovid von sich, der vor 2066 Jahren geboren wurde. Eine historische Aussage stets mit Bezug zur Gegenwart. Das liegt in der Natur der Sache.
Hans-Robert Philippi am Vortragspult
Die Schülerinnen der Altkönigschule Nika Ristic, Ji-Won Lee und Margret Maßmann v.l.n.r
Professor Dr. Christopher Kopper geht in den Diskurs mit dem Publikum.
Die Veranstaltung besuchte ein engagiertes Publikum.