Wunderkinder, Wonnemonat und der Wappensaal

Eine musikalische Familie: Lalit, Jagdish und Ajit Mistry mit ihrer Mutter und der kleinen Schwester (von links) Fotos: Sura

Kronberg (aks) – Nach „Fridays for future“, den freitäglichen Schülerdemos für das Klima, könnte in schöner Regelmäßigkeit nun auch „Sundays for music“ folgen, sozusagen als musikalische Zugabe talentierter Schüler, so geschehen am Sonntagnachmittag im Wappensaal der Burg.

Dorothea Peukert und Brigitta Hermann luden zum Start der sechsten Saison der „Texte und Töne zur Teezeit“ ein: ein Format in wunderbarer Vielfalt, das sich immer größerer Beliebtheit erfreut. Die Auftaktveranstaltung fand im voll besetzten Wappensaal statt, was die Veranstalterinnen sichtlich freute. Ihr Erfolg mag auch daran liegen, dass man sich mehr und mehr um junge Nachwuchstalente bemüht und damit auch das Publikum verjüngt.

Erich Kästners letzter Gedichtezyklus „Die 13 Monate“, in dem er jedem Monat ein Gedicht widmet, stand im Mittelpunkt und darum herum rankte sich ein musikalisches Programm junger Künstler, das nicht nur beste Unterhaltung präsentierte, sondern sprachlos machte angesichts des jungen Alters der Protagonisten. Die 13-jährige Sprecherin der Gedichte, Lina Beck, traf recht gut in sorglosem Plauderton den feinen Sarkasmus und die wehmütige Ironie des großen deutschen Dichters, der als Kinderbuchautor weltberühmt wurde. Kästner „reloaded“, neu entdeckt von einem Teenager, war eine Offenbarung, seine Sprache ging unter die Haut, geprägt von großer Schönheit und Melancholie. Der Autor ist durch und durch Großstädter, der sich im Jahreszyklus und gegen Ende seines Lebens auf die Natur besinnt. In seinen zeitkritischen Gedichten geht es um das Vergehen der Zeit von Januar bis Dezember – es geht um Vergänglichkeit. Das Jahr ist anfangs klein wie ein Neugeborenes und verabschiedet sich 12 Monate später. Das Motiv des Älterwerdens und der Flüchtigkeit von Zeit und Raum zieht sich durch seine Lyrik in unterschiedlicher Länge und Versmaß und endet mit einem Hoffnungsmonat, einem 13. „Schaltmonat“, der von allen Monaten das Beste in sich vereint. Was bleibt vom Jahr? Hab ich mehr vom Leben, wenn das Jahr noch einen Monat mehr hat? Sein Rat: Machen wir uns als Menschen doch bereit für unsere Reise „auf eigenen Füßen“, ohne uns zu verirren. Dann brauchen wir nur so viele Monate wie das Jahr hat: nämlich zwölf. „Es tickt die Zeit. Das Jahr dreht sich im Kreise. Und werden kann nur, was schon immer war. Geduld, mein Herz. Im Kreise geht die Reise. Und dem Dezember folgt der Januar.“ Das klingt doch weise und vor allem tröstlich.

Rhapsodie

Die Utopie eines 13. Monats hat den 14 Jahre alten Leon Schneider, der bereits als „Burg-Star“ gilt, dazu inspiriert eine Rhapsodie zu komponieren zu den Kästner-Texten. Die kam an diesem Abend als Uraufführung ganz groß raus mit dem gemischten Chor von St. Johann, mit Violine und Cello. Selbstbewusst saß Leon selbst am Klavier, das Publikum im Wappensaal traute seinen Ohren nicht. Die harmonischen eingängigen Melodien mit starken Klangakzenten wurden perfekt umgesetzt von den sehr virtuosen Sängern des gemischten Chors von St. Johann mit Sängerinnen, die besser den Ton treffen – und halten – als die Queen of Pop „Madonna“ am Samstagabend bei der Eurovision.

Auch Kantor Bernhard Zosel zollte dem jungen Mann, der schon zahlreiche Musikstücke komponierte, seinen Respekt und präsentierte einen bestens eingestimmten Chor, der den Wappensaal vorher schon mit feinsinnigen Mendelssohn-Liedern erfüllte. Als Cellistin war Klara Flohr, 17 Jahre alt und Jungstudentin an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln, gerne mit von der Partie sowie Lalit Mistry an der Geige, dessen Vater Jagdish Mistry vom Ensemble Modern in der zweiten Reihe stolz auf seinen Sohn blickte – seine kleine Schwester konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Sein kleinerer Bruder Ajit brillierte vorher in einem Präludium von Kreisler.

Jeder Monat wurde nach der kurzen Lesung von Lina Beck musikalisch untermalt mit Liedern von Mendelssohn Bartholdy und Kompositionen von Chopin, Beethoven, Schubert, Cassadò, Kreisler, Kabalewski und Barbara Heller. Dabei gaben alle jungen Musiker ihr Bestes, unterstützt von ihren Lehrerinnen, die sie am Klavier begleiteten wie Susanne Endres, oder im Saal die Daumen drückten, wie Catherine Gordeladze, die Milo Fels unterrichtet.

Herausragend war der letzte Beitrag zum Monat Dezember mit einem Klavierstück von Clara Schumann, selbst ein Wunderkind und Grande Dame der Musik, bezaubernd schön am Klavier gespielt von Malin Goslar, 16 Jahre alt, die sich das Klavier spielen selbst beigebracht hat.

Viele waren gekommen, jung und alt, und das helle Licht der Nachwuchstalente begleitete sie auf dem Weg hinaus in Sturm, Donner und Regen. Weiter unten im Rathaus spielten die jungen Solisten der Kronberg Academy ihre Examenskonzerte, sie sind zehn Jahre älter und bereit für eine Weltkarriere. Viel Musik liegt in der Kronberger Luft und viele klingende Hoffnungsschimmer, die fröhlich stimmen.

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