„Was wir hier in zehn Tagen gelernt haben, bringt uns in zehn Management-Seminaren keiner bei!“

Einmal Bundeswehr und zurück: Für zehn Tage wurde aus Pascalina Cropp „Oberleutnant der Reserve Cropp“. In dieser Rolle hatte sie so manche Herausforderungen zu meistern, sowohl körperlich als auch mental.

Foto: privat

Kronberg (mw) – Für knapp zwei Wochen schlüpfte die 34-jährige Kronbergerin, Pascalina Cropp in eine andere Haut: Aus der im Public-Affairs Bereich tätigen Mitarbeiterin eines Finanzdienstleisters in Frankfurt wurde kurzerhand „Oberleutnant der Reserve Cropp“. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Ralph Brinkhaus hatte der ehemaligen AKS-Schülerin von der Möglichkeit erzählt, prägende Einblicke in die Arbeit der Bundeswehr und das tägliche Leben der Bundeswehrsoldaten zu erhalten. Die sogenannte „108. Dienstliche Veranstaltung der Luftwaffe zur Information für zivile Führungskräfte“ (kurz: 108. InfoDVagLw) ermöglicht vorwiegend Führungskräften sowie Politikern und anderen Multiplikatoren, sich ein Bild über die Arbeit der Bundeswehr zu machen. Pascalina Cropp bewarb sich kurzerhand dafür, nachdem ihr Chef ihre Idee ebenfalls spannend fand und ihr dafür Bildungsurlaub gewährte, und sie wurde nach einem Bewerbungsverfahren bei der Bundeswehr tatsächlich eingeladen.

Freiwillig zur Bundeswehr

Nicht alle ihre Freunde und Kollegen verstanden ihre Beweggründe, „freiwillig zur Bundeswehr“ zu gehen, doch Pascalina Cropps Neugier war geweckt, einfach mal „eine ganz andere Erfahrung zu machen“, erzählt sie im Gespräch. Die zwei Wochen in Roth in Bayern sollten zu einem ihrer „coolsten“, aber auch herausforderndsten Erlebnisse“ werden. Nach offizieller Musterung im Karrierecenter der Bundeswehr in Wiesbaden ging es am 2. März mit einem dreitägigen Kasernen-Schnelldurchlauf in Roth in Bayern los, wo die Ausbildung der Luftwaffen-Soldaten erfolgt. Insgesamt 19 Teilnehmer aus den Bereichen Wirtschaft, Politik, Industrie und Wissenschaft tauschten für zehn Tage ihre gewohnte Tätigkeit gegen den Soldatenalltag in Uniform bei der Luftwaffe ein.

Wir-Gefühl

„Ab sofort hieß es täglich, spätestens um 4.45 Uhr mit AC/DC Musik geweckt zu werden, die wichtigsten Befehle kennenzulernen, das Tragen der Ausrüstung zu erlernen, Schießen zu lernen, Marschieren lernen, inbegriffen dem feierlichen Gelöbnis, der Bundesrepublik treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes zu verteidigen. Für viele war es das erste Mal in Uniform, und obwohl es zunächst ungewohnt erschien, stellte sich sofort ein Wir-Gefühl mit Gleichheit, Verbundenheit und durchaus etwas Schneid ein. Von nun an war es nicht mehr relevant, wer welche Position im zivilen Leben bekleidet – wir waren jetzt alle ,Flieger‘“, erzählt Pascalina Cropp. „In der Begrüßung wurde uns vom Oberstleutnant passend dazu erklärt: ,Wir sind jetzt alle gleich – nur unsere Dienstgrade nicht.‘“ Damit sich die Teilnehmer auch entsprechend zu verhalten wussten, setzten sie sich mit dem Wehrrecht und der soldatischen Ordnung auseinander und traten zum Formaldienst an. „Es ist erstaunlich, wie eine Gruppe durch gemeinsame Haltung zur Einheit wird, auch wenn hier die Ausbilder aufgrund der knappen Zeit sicher mehr als ein Auge zudrücken mussten“, so Cropp. Natürlich war der Dienstgrad eines Oberleutnants der Reserve äußerst privilegiert, schließlich war er formal gesehen ein höherer Dienstgrad als die meisten Soldaten in der Kaserne des Ausbildungsbataillons in Roth hatten. „Aber insbesondere vor diesem Hintergrund und weil wir im Verlauf der Woche auch außerhalb der Kaserne Uniform tragen würden, leuchtete uns die Relevanz des richtigen Verhaltens als Offizier ein. Wir galten von nun an auch als Vorbilder.“

Kasernenleben

Die ersten Tage waren körperlich und mental äußerst anstrengend. „Bis 23 Uhr war eigentlich immer Programm und dann hast du dir noch überlegt, wann du duschen, die Schuhe putzen und den Rucksack packen kannst“, erzählt sie. Keine Minute blieb zum „Chillen“, keine freie Zeit, außer an einem Sonntag. Die Individualität wurde für den Gemeinschaftssinn zurückgestellt, Zeit allein zu sein und zum Nachdenken fehlten. „Wir erhielten unter anderem auch eine Waffeneinweisung“, erzählt Cropp weiter. „Uns wurden die Standardpistole P8 und das Sturmgewehr G36 vorgestellt, und im Schießsimulator konnten wir uns gefahrlos mit den Waffen vertraut machen. Die Technik leistet hier Erstaunliches und ermöglichte über das Feedback der Schießlehrer auch den Ungeübten schnell eine gute Ausführung. Die Ausbilder hatten viel Geduld mit uns, beantworteten unsere Fragen und versuchten gegebenenfalls, Unsicherheiten zu nehmen. Der Höhepunkt des Tages war dann, das Erlernte mit scharfer Munition und unter individueller Betreuung anzuwenden“, so Cropp. „Uns wurde vermittelt, immer den Respekt vor der Waffe zu wahren, gleichzeitig aber keine Angst zu haben.“ Im Schnelldurchgang erlernte die Gruppe an diesem Tag außerdem noch das Zurechtfinden im Gelände mit UTM-Koordinaten, Karte und Kompass sowie das Absetzen einer Munitions- und Kampfmittelmeldung. „Wir fühlten uns nun schon sehr wie ein Infanterist und hatten eine klarere Vorstellung, was der Objektschutz der Luftwaffe leistet.“

Kameradschaft

Die letzte Station für diesen Tag bestand im Überwinden der klassischen Hindernisbahn (HiBa). Die zwölf Stationen wurden kameradschaftlich nach dem „VENÜ-Prinzip“ Vormachen, Erklären, Nachmachen, Üben überwunden. Mit Körperkraft, Ausdauer, Beweglichkeit und Schnelligkeit wurden die Hindernisse entweder einzeln oder in der Gruppe auf freiwilliger Basis bezwungen. Kameradschaftlich ging es auch an die letzte soldatische Pflicht des Tages, die Nahrungsaufnahme – gemeinsam wurde nach fränkischer Art gekocht. Besonders diese kameradschaftlichen Abende sind Pascalina Cropp in guter Erinnerung geblieben. „Hierbei konnten wir den Erfahrungsberichten aus Einsätzen in Mali und Afghanistan lauschen oder die Rekruten zu ihrer Motivation und ihrer Zukunft innerhalb der Bundeswehr befragen. Uns wurde dadurch bewusst, wie ausgeprägt der Zusammenhalt unter ihnen ist und dass Kameradschaft großgeschrieben wird. Jeder befolgt die gleichen Regeln, hat die gleiche Grundausbildung und lebt in einer Struktur, die von großem gegenseitigen Respekt und Anerkennung unter den Kameraden geprägt ist.“ Nirgends sonst sei ihr das in ihrem Leben auf diese Weise begegnet. Kameradschaft unter den Soldaten ist das A und O. Es herrscht ein respektvolles Miteinander, ein starker Zusammenhalt sowie eine hohe Wertschätzung jedes Einzelnen, sagt sie. Nachhaltig beeindruckt hat die 34-Jährige insbesondere das Thema „Innere Führung“. Der oder die Schwache einer Gruppe ist immer der Erste und gibt das Tempo an – im wahrsten Sinne des Wortes. „Auf ihn/sie wird immer Rücksicht genommen und das Motto ,die Gruppe ist nur so stark wie das schwächste Glied‘ wird hier tatsächlich in einem Umfang gelebt, wie man es außerhalb des Bundeswehr im Berufsalltag zu noch selten wahrnimmt.“

Damit die Gruppe funktioniert, wird Rücksicht auf die Schwächeren genommen.

Bei der anschließenden Rundreise hat das Projektteam seinen Multiplikatoren vermittelt, dass es wichtig ist, dass sich die Gruppe nicht trennt und man sich immer gegenseitig hilft. „Gleichzeitig wurde uns bewusst, dass eine Gruppe in diesem Umfeld nur mit Führung, Hierarchie und klaren Anweisungen funktioniert“, lässt Cropp das Erlebte Revue passieren. Dank des Projektteams habe man ein Kollektiv erlebt, in dem es keinen Platz für Egoismus oder Alleingänge gibt. Gleichzeitig war klar: Im Dienst werden Anweisungen befolgt. Abends, im informellen Umfeld, herrschte dann ein angenehm privater, humorvoller Umgang untereinander. Für Pascalina Cropp ist klar: „Was wir hier in zehn Tagen gelernt haben, bringt uns in zehn Management-Seminaren keiner bei!“

Rundreise

Besondere Schmankerl waren für die „VIP-Soldaten“ natürlich inbegriffen: Beispielsweise der militärische Lufttransport von Roth zur Luftwaffenkaserne Köln-Wahn, wo sie der stellvertretende Inspektor der Luftwaffe begrüßte und eindrucksvoll den Bogen von politischen und gesellschaftlichen Themen unserer Zeit zu den strategischen Themen der Luftwaffe spannte. Oder die Besichtigung des „A310“, der Maschine der Bundesregierung, der Besuch des Zentrums für Luftoperationen, dem Hubschraubergeschwader 64 (HSG-64) in Laupheim und der Besuch des technischen Ausbildungszentrums der Luftwaffe-Abteilung Süd in Kaufbeuren, in dem jeder Teilnehmer virtuell den Start der Triebwerke eines Eurofighters durchspielen durfte. „Im Anschluss hatten wir die wohl einmalige Möglichkeit, per Flug mit einer CH-53 nach Neuburg verlegt zu werden. Mit offener Heckklappe überflogen wir eine Stunde tief das bayrische Land, und als wir in Neuburg auf dem Vorfeld landeten, hatten wir ausnahmslos das breiteste Grinsen. Dieser erhabene Moment wurde dann sogar noch durch drei kurz nach unserer Landung in nächster Nähe startende Eurofighter gesteigert“, so Cropp. Die Rundreise endete schließlich mit der Besichtigung der Eurofighter-Simulatoren in Neuburg und dem ziemlich echten Gefühl, in einem Kampfjet zu sitzen. „Spaß machte aber auch eine Almwanderung, als 20 Soldaten in Flecktarnuniform in die Almhütte einfielen“, blickt sie schmunzelnd zurück.

Zurück in der Kaserne in Roth, gipfelte die „108. InfoDVagLw2“ in einer Militärpatrouille. Das Team des 7. Luftwaffenausbildungsbatallions hatte sich mit großem Enthusiasmus ein fiktives, militärisches Szenario überlegt. Mit Tarnfarbe im Gesicht brachte man sie zu einem versteckten Lager mitten im Wald, hier begann das „Leben in der Lage“, es wurde jede Gruppe mit einer Karte und Koordinaten ausgestattet. „Die Koordinaten führten durch den Wald zur Schießanlage oder zu einem kleinen Fluss, der mittels Seilen auf drei verschiedene Arten und Weisen überquert werden musste“, erläutert sie. „Eine weitere Koordinate lotste uns zu einem abgesperrten Gebiet, in dem auf die unterschiedlichsten Weisen versteckte Kampfmittel erspäht, identifiziert und gemeldet werden mussten. Von hier aus wiederum erhielten wir Koordinaten, die uns zu einer gestellten Unfallstelle führten, an der wir unsere Fähigkeiten als Sanitäter und Ersthelfer unter Beweis stellen konnten“, so ihre anschauliche Schilderung.

Mentale und körperliche Herausforderung

Alles in allem sei es einfach eine „tolle Erfahrung“ gewesen. Alle hätten „durchgehalten“, was anfangs gar nicht so klar gewesen sei. Neben dem Schlafdefizit hätten vor allem die knappen Befehle, die Pünktlichkeit und das Zurückstellen der eigenen Wünsche ordentlich geschlaucht. Körperlich sowie mental seien die zehn Tage herausfordernd, anstrengend, vor allem aber unheimlich spannend gewesen. „Danach wieder aus der Uniform auszusteigen war ein genauso verwirrendes Gefühl, wie das Flecktarn das erste Mal überzustreifen“, erinnert sich Cropp zurück. „Uns wurde dann erst bewusst, dass wir keine Zeit zum Nachdenken gehabt hatten, keine Nachrichten gelesen oder gehört hatten und uns kaum Zeit für E-Mails an die Familie oder Firma blieb.“ Nach tagelangem Zusammensein mit mehr als 20 Personen inklusive Zimmer teilen ist Pascalina Cropp bewusst geworden, wie weit die Individualisierung der Gesellschaft fortgeschritten ist. „Persönlich finde ich es schwierig, nicht man selbst sein zu können, sondern so gleich wie möglich“, gesteht sie. Und auch körperlich empfindet sie, diesen Berufsweg als Frau einzuschlagen, als eine ziemliche Herausforderung. Für sich persönlich mitgenommen hat sie von diesen zehn Tagen bei der Luftwaffe jedoch sehr viel: Körperlich und mental an seine Grenzen zu gehen bedeute auch, sich selbst besser kennenzulernen. Für Pascalina Cropp eine tolle Erfahrung, ebenso wie echte Gemeinschaft und deren Vorteile zu erleben. „Außerdem habe ich in meiner ganzen beruflichen Laufbahn noch keine Veranstaltung erlebt, die so perfekt organisiert und abgelaufen ist“, sagt sie.

Wie wichtig die Bundeswehr für unser Land ist, zeigt sich insbesondere in Krisenzeiten. Gerade in Zeiten von Corona wird dies wieder in den Vordergrund gerückt: „Wie soll eine Bundeswehr funktionieren, wenn keine Soldaten zur Verfügung stehen, keine jahrelange Ausbildung stattfindet und keine Akzeptanz in der Gesellschaft erfolgt?“, fragt sie. Mit welchen Herausforderungen die Bundeswehr leben muss, sei oftmals gar nicht bekannt, oder es werde nur ein Teil des Ganzen erzählt. „Die hohe Komplexität – alleine nur in der Luftwaffe – ist beeindruckend“, findet Cropp.

„Der Informationsgehalt und die einzelnen Programmpunkte des Reinschnupperns übertrafen unsere Erwartungen jedenfalls deutlich und dürften uns noch lange beschäftigen.“ Und so hofft sie, mit diesem Beitrag ein Stück weit zur Wertschätzung, Anerkennung und Unterstützung der Luftwaffe und ihrer Soldatinnen und Soldaten durch die Gesellschaft beigetragen zu haben.



X