Erster Genossenschaftstag im Altkönig-Stift weist Wege in der Altenpflege

Oberhöchstadt (pf) – „Die beiden kleinen Buchstaben eG und das Wort gemeinnützig spielen heute eine Hauptrolle“, kündigte Altkönig-Stifts-Vorstand Boris Quasigroch am Mittwoch vergangener Woche bei der Begrüßung der zahlreich erschienenen Gäste an, die im Festsaal und über eine Videoleinwand im Foyer der Tagung folgen konnten. Zum ersten Kronberger Genossenschaftstag hatte das Altkönig-Stift nicht nur Professoren und Fachleute aus ganz Deutschland eingeladen, sondern auch die Bundestagsabgeordnete Kordula Schulz-Asche von Bündnis90/Die Grünen, die ein Grußwort der Wiesbadener Staatssekretärin Anne Janz aus dem Hessischen Ministerium für Soziales und Integration mitgebracht hatte und verlas, die Mitglieder des Hochtaunus-Kreistags und Kronbergs Bürgermeister Christoph König. Nicht erschienen waren die ebenfalls geladenen Vertreterinnen des Verbands der Ersatzkassen vdek, des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und der Altenhilfe Hochtaunuskreis.

Die Idee zu dem Genossenschaftstag hatte Professor Dr. habil. Thomas Klie, Leiter des Instituts AGP (Alter Gesellschaft Partizipation) Sozialforschung der Evangelischen Hochschule Freiburg und des Kompetenzzentrums für zivilgesellschaftliche Entwicklung, einer Zweigstelle in Berlin. Er ist einer der wichtigen Sozialexperten in Deutschland für die Themen Wohnen im Alter und die Frage, wie wir füreinander sorgen, der sich gleich bei seiner Vorstellung als „Genossenschaftsfan“ outete.

Er ist dem Altkönig-Stift, wie er bei seiner Vorstellung sagte, seit über 30 Jahren verbunden. Damals sei es um das Thema Pflegeversicherung gegangen, deren Kostenträger, bedauerte er, leider nicht zum Genossenschaftstag gekommen seien. Angesichts der Tatsache, dass die häusliche Pflege alter und hilfsbedürftiger Menschen an ihre Grenzen gekommen sei, mache er sich Sorgen, dass private Investoren von Alten- und Pflegeeinrichtungen angesichts steigender Kosten und rückläufiger Renditeerwartungen Insolvenz anmelden und ihre Einrichtungen schließen könnten. Die Anforderungen der Pflegeversicherungsträger seien immer bürokratischer geworden, beklagte er. Nie hätten sie ausreichendes Pflegepersonal bezahlt und dem Altkönig-Stift, das sich in den Pflegeabteilungen mehr Personal leistet, einen Teil der Leistungen als „Luxus“ gestrichen. Aber es sei kein Luxus, stellte er klar, Pflegebedürftige nicht nur gut zu versorgen, sondern auch als Ansprechpartner Zeit für sie zu haben.

Solidarität leben

„Die Gesellschaft braucht Genossenschaften“, betonte Klie. Die von Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch, den Väter des Genossenschaftsgedankens, formulierten genossenschaftlichen Werte wie Partnerschaftlichkeit, Transparenz, Solidarität, Vertrauen, Fairness, demokratische Mitwirkung und Verantwortung hätten nichts von ihrer Aktualität verloren. Seit Beginn des Jahrhunderts sei der Trend zu Genossenschaftsgründungen gestiegen, berichtete er, von 56 im Jahr 2001 auf 370 zehn Jahre später.

Mit Joerg Weber, einem der Mitbegründer der Ökobank, Professor Dr. Alexander Schraml, Jurist, Vorstand der Kommunalunternehmen des Landkreises Würzburg und Professor an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt, Franz Josef Winterhalter, ehemaliger Bürgermeister der Gemeinde Oberried in der Nähe von Freiburg im Breisgau, und Boris Quasigroch, Vorstand im Altkönig-Stift, berichteten in der ersten Gesprächsrunde Fachleute für genossenschaftliche Wohn-, Lebens- und Versorgungsformen über ihre Erfahrungen.

Als eigenständige Genossenschaft bietet das Altkönig-Stift seit über 50 Jahren seinen Bewohnerinnen und Bewohnern ein selbstbestimmtes Leben in Würde und eine hohe Lebensqualität im Alter, so Quasigroch. Die Genossenschaft hat 3.067 Mitglieder, keine Nachwuchssorgen und 610 Bewohnerinnen und Bewohner in 494 Wohnungen und 114 Zimmern in den Pflegebereichen. Alle Erträge werden wieder investiert, einen Sanierungsstau gebe es nicht. Und damit niemand wieder aus dem Stift ausziehen muss, weil er länger lebt, als sein Geld reicht, gibt es seit 1980 die Altkönig-Stiftung, nach Ansicht von Professor Klie „das Tüpfelchen auf dem i“. Solidarität leben und füreinander einstehen würden auf bemerkenswerte Weise gelebt.

Daseinsvorsorge ist Kommunalaufgabe

Daseinsvorsorge, hob Professor Dr. Schraml hervor, sei ureigene Pflichtaufgabe der Kommunen. Er nannte es einen Skandal, dass beispielsweise die Allgemeinen Ortskrankenkassen jahrzehntelang Pflegeversicherungsbeiträge kassieren, aber wenn der Mensch, der das Geld einbezahlt hat, Pflege braucht, keinen Pflegeplatz für ihn haben. Der Landkreis Würzburg, berichtete er, habe als erster das Pflegeheim eines privaten Trägers kommunalisiert. Er forderte, die Privatisierung von Kliniken und Pflegeheimen zu verhindern. Auch er bekannte sich als Genossenschaftsfan und plädierte für den Grundsatz: Wenn ihr es nicht könnt, dann mach ich‘s selbst! Nichtstun und den Kopf in den Sand zu stecken, das gehe nicht. Wie er es geschafft hat, durch die Gründung eines gemeinnützigen Vereins die Betreuung, Versorgung und Pflege der Seniorinnen und Senioren in seiner nur knapp 3.000 Einwohner zählenden Gemeinde Oberried zu organisieren, damit sie, wenn sie im Alter pflegebedürftig werden, nicht ihre Heimatgemeinde und die gewohnte Umgebung verlassen müssen, berichtete Franz Josef Winterhalter. Ihm gelang es, 400 Ortsbewohner als Mitglieder für den Verein zu gewinnen. Inzwischen, berichtete er, identifizierten sie sich so sehr mit dieser Idee, dass sie selbst durch Kochen, Nachtwachen und Alltagsassistenz die Sorge für ihre elf Pflegebedürftigen übernommen hätten, als der Großteil des Pflegepersonals an Corona erkrankte. Da gut ausgebildetes Pflegepersonal wegen der deutlich besseren Bezahlung lieber in der benachbarten Schweiz arbeitet, habe er zudem Gemeindemitglieder gewinnen können, sich als Pflegepersonal ausbilden zu lassen und vor Ort zu arbeiten. „Das ist machbar und möglich“, versicherte er.

Von den Schwierigkeiten, in den Klostergärten von Ilbenstadt in der Wetterau ein inklusives Wohnprojekt mit 40 Wohnungen auf genossenschaftlicher Basis zu realisieren, berichtete Joerg Weber, einer der Mitbegründer der Ökobank. Zwei leerstehende, unter Denkmalschutz stehende ehemalige Klostergebäude mit Grundstück, die dem Land Hessen gehören, sollen dafür gekauft und durch einen dreigeschossigen Neubau miteinander verbunden und saniert werden. Doch zweimal sei der Finanzierungsplan zusammengebrochen, weil die Kreditanstalt für Wiederaufbau erst die Hälfte der zugesagten 1,3 Millionen Euro, dann die gesamten Fördermittel strich. Jetzt werde erst einmal auf gepachtetem Land ein solidarisches Landwirtschaftsprojekt begonnen, um ökologische Grundnahrungsmittel anzubauen und regional zu verkaufen.

Menschenhandel mit Pflegekräften

Früher habe es in den Kommunen Gemeindeschwestern gegeben, die sich vor Ort um Ältere und Pflegebedürftige kümmerten. Diese Strukturen seien durch die Pflegeversicherung zerstört worden, beklagten die Fachleute. Jedes Jahr gibt es tausend Pflegekräfte weniger auf dem Arbeitsmarkt, die in Rente gehen. Mittlerweile gebe es bereits Menschenhandel und Menschenhändlerringe, die daran verdienen, Pflegekräfte aus Marokko nach Deutschland zu vermitteln. Und die Krankenkassen verhandelten bereits, um die Qualitätsanforderungen an Pflegekräfte zu senken. „Da muss in der Politik was passieren“, forderte Professor Klie. „Wir brauchen eine Reform der Strukturen“, waren sich die Fachleute einig und sprachen sich für die Schaffung einer Taskforce aus, um die Forderungen an die Politik zu formulieren. Aus der Pflegeversicherung sei viel Geld entnommen worden für Zwecke, die nichts mit Pflege zu tun haben. Der Solidaritätsgedanke und das füreinander Verantwortung übernehmen müsse schon in Kindergärten und Schulen vermittelt werden, etwa durch ein Planspiel Genossenschaft, regten sie an.

Die Idee werde er mitnehmen, versicherte Bürgermeister König. Ein Drittel der 18.000 Einwohner Kronbergs, berichtete er, seien über 60 Jahre alt, über 1.000 bereits über 80 Jahre alt. Rund 1.200 wohnen in den vier Alten- und Pflegeheimen der Stadt, die anderen Zuhause. Junge Leute könnten sich die hohen Mieten in der Stadt zumeist nicht leisten. Als Oberhöchstädter gehöre für ihn das Altkönig-Stift, in dem immerhin zehn Prozent der Oberhöchstädter leben, schon immer dazu. Dass es nicht nur als größte Senioreneinrichtung weit und breit, sondern als Genossenschaft etwas Besonderes sei, diese Erkenntnis dürfte ihm der Genossenschaftstag eindrücklich vermittelt haben. Und er soll, darin waren sich alle Teilnehmer einig, nicht der letzte bleiben.

Von gelebter Solidarität im Altkönig-Stift berichtete Sigrid Majdalani, Vorsitzende des Stifts-Beirates, im Gespräch mit (von links) Franz Josef Winterhalter, Professor Dr. Thomas Klie, Stifts-Aufsichtsratsvorsitzendem Rudolf Herfurth und Professor Dr. Alexander Schraml.

Foto: Claudia Heinrich



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