Oberursel (bg). Am großen Adventskranz in der Christuskirche brannte die erste Kerze, die Krippe – noch ohne das Jesuskind – war seitlich neben dem Altarraum aufgebaut und der Rahmen für die stimmungsvolle Lesung nahezu perfekt. Traditionell wurde – wie stets zeitgleich zum Weihnachtsmarkt in Oberursel – hier die Veranstaltung „Gute Alte Weihnachtszeit“ zelebriert und das bereits zum siebten Mal. Wie immer gingen die Karten weg wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln. Die Kirche bietet Platz für annähernd 500 Besucher und war bis auf den letzten Platz gefüllt. Alle waren voller Vorfreude und Beifall brandete auf, als die Künstler einzogen. Pianistin Angela Schmidt nahm am Bechstein-Flügel Platz, Bariton Gero Bachon platzierte sich ganz in ihrer Nähe, Sarah Spitzer gesellte sich mit ihrer Geige später hinzu. Der begnadete Erzähler Michael Quast begrüßte die Gäste, dankte den zahlreichen Sponsoren und führte durch das Programm. Es war ein sehr unterhaltsamer, bunter Strauß an anrührenden Geschichten im Wechsel mit bekannten Weihnachtsliedern.
Mit seiner charismatischen Ausstrahlung eignet sich Quast wie kein Zweiter für die Rolle des weihnachtlichen Geschichtenerzählers. Der vielseitige Schauspieler und Komödiant leitet obendrein die Frankfurter Volksbühne und das Festival Barock am Main in Frankfurt-Höchst. Bei den vorgetragenen Weihnachtsgeschichten schlüpfte der Schauspieler regelrecht in die Rolle der Protagonisten und ließ sie lebendig werden. Das Publikum lauschte mal andächtig und mal amüsiert den Texten aus der Feder von Leo Tolstoi, Alfred Polgar, Erich Kästner, Kurt Tucholsky, Ringelnatz, Heinz Erhardt, Tomi Ungerer, Franz Hohler oder Axel Hacke. Dessen Text vom „Laden der letzten Hoffnung“ beschrieb herrlich realistisch die Verzweiflung, die so manchen befällt, wenn am Weihnachtstag noch kein Geschenk für die Liebsten gekauft ist.
Mit seinen ausgewählten Geschichten rund um das Weihnachtsfest nahm Quast das Publikum mit auf eine Reise quer durch Europa.
Aus Italien, genauer gesagt aus Mailand hat der Panettone seinen Siegeszug in viele Länder der Welt angetreten. Eine zu Herzen gehende Liebesgeschichte aus der guten alten Zeit rankt sich um die Entstehung des traditionellen italienischen Weihnachtskuchens, aufgeschrieben von Antonio Luigi Erné. Vom irischen Dramatiker und Schriftsteller John B. Keane stammt die Geschichte eines alten Mütterchens. Nach dem es mühevoll ihren Sohn Jack großgezogen hatte, verschwand er eines Tages und wart nicht mehr gesehen. Er war ein echter Taugenichts, der nur drei Dinge konnte: essen, trinken und rauchen. Nie wieder hatte sie von ihm gehört, doch jedes Jahr hoffte sie in der Weihnachtszeit auf ein Lebenszeichen von ihm. Der Briefträger, der die Menschen in seinem Bezirk genau kannte, schlich sich viele Jahre geduckt an ihrem Fenster vorbei. Eines Tages hielt er das nicht mehr aus. Kurz vor Weihnachten schritt er zur Tat und brachte ihr einen Brief. In der ganzen Straße verbreitete sich diese Nachricht wie ein Lauffeuer und auf einmal breitete sich dort der Geist der Weihnacht für alle aus.
Von Rafik Schami stammt die Geschichte vom „König der Herrlichkeit, die in Syrien spielt. Für die Breitengrade ganz ungewöhnlich hatte es kurz vor dem Weihnachtsfest geschneit. Am Fest war es üblich, dass der Pfarrer einmal um die Kirche schritt, dann an die große Tür klopfte und als „König der Herrlichkeit“ um Einlass bat. Dabei wurde dem neuen Pfarrer sein Geiz zum Verhängnis. Er hatte dem treuen Kirchendiener den Lohn gekürzt, als dieser vom Messwein getrunken hatte. Zwei Flaschen hatte er ihm angerechnet, und auf Nachfrage warum so viel, stets geantwortet, auf dem Ohr höre er nichts. Bei der herrlich amüsanten Geschichte lief Quast zur Hochform auf. Glänzend stellte er die Verzweiflung des frierenden Pfarrers, der lange vor der Kirchentür ausharren musste bis ihm Einlass gewährt wurde, dar.
Seit vielen Jahren widmet sich Bachon dem Gesang und schloss sein Studium an der Wiesbadener Musikakademie 2021 ab. Erfolgreich nahm er am Stipendiaten-Programm der Bayreuther Festspiel im Jahr 2022 teil und erfreute jetzt seine Zuhörer mit alten bekannten Weihnachtsliedern, die manche leise mitsummten, wie „Maria durch ein Dornwald ging“ oder „Ich steh an deiner Krippen hier“.
Kongenial begleitet wurde er dabei von Schmidt am Flügel. Sie ist eine Meisterin an den Tasten, Preisträgerin im Internationalen Musikwettbewerb „Music & Earth“, Sofia und wurde in der Kategorie Piano Solo mit dem Spezialpreis Klassik ausgezeichnet.
Ihr großes Können stellte Geigerin Sarah Spitzer bei ihrem Auftritt unter Beweis. Kaum zehn Jahre alt wurde sie bereits als Studentin in der Budapester Musikakademie aufgenommen, studierte bei namhaften Künstlern und absolvierte inzwischen europaweit viele Auftritte. Gemeinsam mit Schmidt präsentierte sie sich mit dem Stück „Scciliano BMV 1017“, für Violine und Klavier von Johann Sebastian Bach und spielte als Solo noch das „Bach’sche Largo BWV, 1005“.
In der hektischen Vorweihnachtszeit beschäftigt viele Kinderherzen eine Frage: Gibt es den Weihnachtsmann wirklich?. Anfang des 20. Jahrhunderts stellte sie die achtjährige Virgina O’Hanlon in einem Brief der New Yorker Zeitung „Sun“ und erhielt von Francis Church mit einer ausführlichen Begründung die schöne Auskunft: „Der Weihnachtsmann lebt und er wird ewig leben“. Dieser bewegende Brief wurde über Jahrzehnte hinweg jedes Jahr an Weihnachten auf der Titelseite der „Sun“ abgedruckt. Nachdem Quast diesen anrührenden Texte gelesen hatte, blieb ihm zum Abschluss nur noch allen Anwesenden ein frohes Weihnachtsfest und ein glückliches Neues Jahr zu wünschen. Er versäumte aber nicht, die begeisterten Zuschauer gleich auf die 8. Weihnachtslesung am ersten Advent im kommenden Jahr hinzuweisen. Hausherr Pfarrer Reiner Göpfert schloss sich den guten Wüschen an, das Publikum spendete hingerissen Applaus und bekam als Zugabe noch Adolphe Adams „Cantique Noel“ zu hören.
