Applaus für rasanten Diener im Venedig der 60er-Jahre

Happy End (v. l.): Florindo (Dennis Kutt), Mafioso (Kurt Hame), Beatrice Rasponi (Victoria Leschhorn), Truffaldino (Roy Kullmann), Smeraldina (Mariela Milkowa), die oberste Herrin von Venedig (Karin Gerber) Uschi Braaf (Marianne Marks) und Klaas Grinski (Tamara Dirksen).

Oberursel (ow). In der Jubiläumsaison des Theaters im Park (TiP) steht der „Diener zweier Herren“ von Carlo Goldoni auf dem Programm. Dem Publikum wird eine rasante Verwechslungskomödie serviert. Das Ensemble spielt wie aus einem Guss und sorgt mit viel Spielwitz laufend für Überraschungen.

Dreharbeiten im TiP. Ton ab, Film ab, Klappe „Diener, die …“, ja die wievielte ist das eigentlich. Was für ein Chaos-Film wird dem hochverehrten Publikum denn da vorgeführt? Eingestimmt auf den „Diener zweier Herren“ aus der Feder von Carlo Goldoni, erleben die Zuschauer gleich zu Beginn ein heilloses Verwirrspiel. Sie werden atemlos gespielt von einem Ensemble, das auch singen kann. Wahlweise geht man sich an die Kehle, fällt in Ohnmacht oder um den Hals und heulen wird als emotionale Kreativität serviert. Der Regisseur sorgt für ein höllisches Durcheinander. Es fragt sich nur welcher. Der völlig durchgeknallte Klaus Grinski auf der Bühne, der immer nach seiner Bluna schreit – Tamara Dirksen agiert glaubhaft immer kurz vor dem Nervenzusammenbruch in dieser Rolle –, verfolgt von Assistentin Uschi Braaf (Marianne Marks), die alles immer wieder retten muss? Oder Andres Walther-Schroth? Zum 25. Geburtstag hat sich der langjährige Hausregisseur des TiP einige Knaller einfallen lassen.

Den Klassiker der Commedia dell’arte aus dem Jahr 1746 präsentiert er als eine Art Love-Story im Mafia-Millieu mit viel Herz, Schmerz und Dramatik, die im Bella Italia der 1960er-Jahre spielt. Durcheinandergewirbel wird alles durch den toll- oder frechdreisten Diener, der hier zum Butler, Chauffeur und Boten ernannt wird. Er trägt einen knallroten, eleganten Anzug und ein keckes Strohhütchen, Roy Kullmann sieht wirklich fesch darin aus. Requisiten und Kostüme halten sich streng an die Mode der damaligen Zeit. Die jungen Herren werden in bunte Anzügen gesteckt, die Damen tragen eleganten Kleider, die Paten, ob aus Neapel oder Venedig, erscheinen ganz elegant vom Scheitel bis zur Sohle mit Hut, Anzug und Lackschuhen auf der Bühne. Inge und Kurt Hame, zuständig für Kostüme und Requisten, sind auch am Filmset und als Leibwächter im Einsatz.

„In welchem Film bin ich denn hier gelandet“, mag sich mancher Besucher fragen. Und dann tritt aufs Stichwort – der Running Gag kommt beim Publikum gut an – immer eine Schlagerdiva auf und trällert bekannte Songs wie „Zwei kleine Italiener“. Karin Gerber kann das. Sie war in der DDR eine bekannte Schlagersängerin und trat mehrfach im Friedrichstadtpalast auf. Der Liebe wegen kam sie in den Taunus. Um Liebe geht es ja auch in dem Stück, mehrfach sogar. Nicht zur zwischen den einzelnen Paaren. Auch um die Liebe zum Magen. Der ewig knurrende Magen von Truffaldino ist ja an all dem Wirwarr schuld.

Venedig liegt an der Hohemark

Die Inszenierung von Andreas Walther-Schroth spielt noch in Venedig. Mit dem Bühnenbild der Lagunenstadt ist dem langjährigen Bühnenbildner und großartigen Illusionsmaler Wojtek Wellenger ein Meisterstück gelungen. Der Entwurf stammt von Rosa-Lilli Kahle und Salome Lilienthal, zwei Schülerinnen der Fachoberschule Gestaltung an der Hochtaunusschule. Der Blick wird perspektivisch in die Tiefe gezogen zum Canale Grand, auf dem die Gondeln schaukeln. Im Vordergrund spannt sich darüber die berühmte Rialtobrücke. Die malerisch verwinkelten Gassen in zarten Pastelltonen entfalten eine dreidimensionale Wirkung. Man beachte bitte das angesetzte Dach der Strandbar. Im Hintergrund ist die weltbekannte Silhouette von Venedig zu sehen, aus der die Spitze des Markusdoms aufragt.

Einige Gäste der Strandbar von Wirt Brighella (Winfried Wagner) und seiner urbayerischen Gattin Rosemarie (Doris Kutt) – immer im feschen Dirndl – rekeln sich auf Liegenstühlen im Sand, einen Drink schlürfend, wie sich das am Lido von Venedig gehört. Hier läuft Truffaldino nach der Pause zur Hochform auf, auch rein körperlich. Roy Kullmann rennt seinen Lügen förmlich hinterher. Natürlich holen sie ihn immer wieder ein, und es setzt Ohrfeigen. Von beiden Herren. Von Beatrice Rasponi, Victoria Leschhorn überzeugt beherzt und mutig in einer Hosenrolle als Federico Rasponi. Ebenso von Florindo Aretusi (Dennis Kutt), ihrem Liebhaber, von dem sie annehmen muss, dass er ihren Bruder im Duell getötet hat. Um ihm zu helfen, ist sie ihm nach Venedig gefolgt. Zufälligerweise haben die beiden nicht nur denselben Bediensteten, sondern sind auch im selben Hotel abgestiegen.

Verwicklungen enden glücklich

Das Stück beginnt mit einer Verlobung. Der Pate von Venedig, Pantalone (Thomas Becker), verlobt seine nah am Wasser gebaute, wild-romantische Tochter Clarice (Selina-Zoe Goetz) mit Silvio (Matthias Nitsch). Die beiden lieben sich wirklich. Er ist der Sohn von Dottore Lombardi – eine Paraderolle für Karl-Heinz Weiler. Eigentlich war Clarice ja Federico Rasponi, den sie nicht mochte, versprochen. Zeugen der Verlobung sind die Wirtsleute. Das Idyll wird gestört durch Truffaldino, der um eine Unterredung seines Herrn Federico Rasponi – in Wahrheit handelt es sich aber um dessen Schwester Beatrice – mit Pantalone nachsucht. Was tun, wenn Federico wirklich lebt?

Die Verwicklungen nehmen ihren Lauf. Bis zum Schluss sorgt der „Diener zweier Herren“ für immer neues Chaos, verwechselt Koffer, öffnete Briefe und verliebt sich nebenbei auch noch unsterblich. Immer weiter verstrickt er sich in sein Lügengeflecht. Am Ende kommt die Wahrheit dann doch ans Licht. Als es um sein eigenes Glück, um die Hand er schönen Smeraldina geht, gibt er zu, zwei Herren gedient zu haben. Umso schöner das Happy-End. Die Technik zieht noch einmal alle Register. Die Bühne erstrahlt in lila Glanz, musikalisch wird das Publikum auf Hochzeiten eingestimmt. Aber halt, was passiert nun mit Truffaldino. Muss er nicht für seine tolldreisten Lügengeschichten bestraft werden?

Den Fall entscheid die oberste Richterin von Venedig. Eine königliche Erscheinung, Karin Gerber, diesmal nicht als schlagerträllernde Nervensäge, sondern als Grande Dame, lässt Gnade vor Recht ergehen, Ende gut, alles gut für sage und schreibe vier Paare. Nicht nur die beiden Liebespaare laufen in den Hafen der Ehe ein, auch Truffaldino bekommt seine Smeraldina, die Anstandsdame von Clarice. Eine sehr selbstbewusste Dame, die Männern gerne die Leviten liest, dargestellt von Mariela Milkowa. Und es gibt – welche Überraschung – noch ein weiteres Liebespaar. Das ist „Der Diener zweier Herren“ a la Andreas Walther-Schroth.

Für die temperamentvolle, witzig-spritzige Darbietung der Amateur-Schauspieler bedankte sich das Premierenpublikum mit tosendem Applaus. Auch die Akteure vor und hinter der Bühne bekamen den verdienten Beifall und alle Mitwirkenden vom Veranstalter, dem Kultur- und Sportförderverein Oberursel (KSfO) ein kleines Geschenk überreicht.

TiP nach 25 Jahren sehr lebendig

Totgesagte leben länger, das kann man gerade beim „Diener zweier Herren“ erleben. Auch dem Theater im Park (TiP) wurde bei seinen Anfängen von einigen Skeptikern keine lange Lebensdauer zugetraut. Aber es hat sich durchgesetzt. Das Open-Air-Theater in Oberursel hat viele Freunde und treue Besucher, die zum Teil aus der ganzen Region anreisen. Klein, aber fein lautet die Devise. Es kann sich schon aus Etat-Gründen nicht mit den großen Festspielbühnen in der Region messen. Dafür wartet das TiP mit einigen Besonderheiten auf. Wie dem lauschigen Ambiente im Park, einem U-Bahn-Anschluss, oder die Bewirtschaftung durch Oberursel Vereine, kurz: die Aufführungen sind stets auch ein geselliges Ereignis, das sich viele Orschler nicht entgehen lassen.

Die Zusammenarbeit mit der Klinik Hohe Mark könnte besser nicht sein. Mit großem Vergnügen eröffnete Anke Berger-Schmitt, die Herrin des Parks, wie alle Jahre zuvor auch an diesem Premierenabend die Saison. Es ist ein Jahr der Jubiläen. Zum zehnten Mal gehen die Aufführungen an der neuen Spielstätte über die Bühne. Andreas Walther-Schroth führt zum 15. Mal Regie, und Urgestein Klaus-Peter Hieronymi vom KSfO war seit 1994 – also seit 25 Jahren – an vorderster Front im Einsatz. Doch diese Saison wird für ihn die letzte sein als Mitglied im Produktionsteam. Ende des Jahres beendet er sein aktives Berufsleben in städtischen Diensten. Dann ist er frei und kann, wenn er denn will, sich privat mit seinem geballten Sachverstand weiter für das TiP engagieren. Darauf hoffen insgeheim natürlich viele Akteure vor und hinter Bühne, die sich auf eine weitere Zusammenarbeit mit ihm freuen würden, wie das Team Technik mit Sven Hochwitz an der Spitze. Dazu gehören auch Arnold Nell, Frank Reich und Harald Schiefer. Wenn sich in den lauen Sommernächten langsam die Dunkelheit über den Park senkt, dann gehen die Lichter an. Über den Sitzplätzen der Tribüne hängen große Scheinwerfer, in dieser Spielzeit leuchten sie in den Farben Italiens – grün, weiß, rot. Dafür sorgt der Techniker in seinem luftigen Arbeitszimmer neben allen weiteren technischen Effekten. Hoch über der Tribüne hat er alles Blick und die Technik fest im Griff. Theater im Park, für Sven Hochwitz die schönste Nebensache der Welt. Seit 23 Jahren ist er mit Herzblut dabei und hat dafür schon manchen Urlaub geopfert.

Ähnlich lange sind Thomas Becker und Karl-Heinz Weiler auf der Bühne im Einsatz. Zum TiP ist der langjährige Obermeister der Elektro-Innung durch seinen Beruf gekommen. Durch das Licht, das Park benötigt, und die Leitungen, die verlegt werden mussten, um dunkle Fußwege zu beleuchten. Seinen ersten Bühnenauftritt hatte er bereits 1996 bei „Des Teufels General“. In diesem Jahr spielt er wunderbar authentisch den Dottore Lombardi. Für die Mafioso-Rolle hat er sich extra einen Bart stehen lassen. Nach dieser Saison wird er aufhören und seinen Abschied von der Bühne nehmen. Die Bühnenkarriere von Thomas Becker begann 2007. Damals wurde „In 80 Tagen um die Welt“ gegeben. Seitdem ist er fast ununterbrochen in unterschiedlichsten Rollen mit dabei. Zu den langjährigen Ensemblemitgliedern zählt auch Winfried Wagner, seit seinem Einstieg beim „Fröhlichen Weinberg“ im Jahr 2005. Als wieselflinker „Diener zweier Herren“ setzte sich Roy Kullmann wieder mal gekonnt in Szene. Zum ersten Mal stand er 2008 als „Sakini“ im „Kleinen Teehaus“ auf der Bühne des TiP. Seine Vielseitigkeit stellte er auch in der Rolle des „Datterich“ (2010/11) und als „Quasimodo“ im „Glöckner von Notre Dame“ (2017) unter Beweis.

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