Ehre für Mr. Oberstedten und für Mr. Stierstadt

Paul Gerecht ist dafür bekannt, dass er den Stier gern bei den Hörnern packt. Foto: js

Oberursel (js). Eigentlich hat Willi Steffek nur einen Makel, er ist kein waschechter „Stedter“. Also er ist nicht in Oberstedten geboren und mit Stedter Milch großgezogen worden. Zu Zeiten, als der heutige Ortsteil noch selbstständig war. Einen Makel, den Paul Gerecht nicht durchs Leben schleppen muss, in seinem Kiez auf der anderen Seite Oberursels ist der Ur-Stierstädter von Geburt an zu Hause. Makel hin, Makel her, der eine wie der andere ist zu einer Persönlichkeit herangereift, die einen besonderen Status im örtlichen Leben nach sich zieht. Der Schreinermeister in Stierstadt, der Pfarrerssohn und Schwimmbadbauer in Oberstedten. Sie haben sich verdient gemacht um die Stadt und ihre Ortsteile durch ihr Wirken über Jahrzehnte, um die 100 Jahre Ehrenamt dürften sie zusammen auf dem Buckel haben. Spät kam die Würdigung, aber nicht zu spät, „längst überfällig“ sei die Verleihung der Ehrenmedaille der Stadt Oberursel an „Mr. Oberstedten und Mr. Stierstadt“, so Bürgermeister Hans-Georg Brum (SPD) in seiner launigen Laudatio auf die beiden CDU-Ortsgranden.

Wenn man mit Willi Steffek schnell ein paar Dinge besprechen und ein Foto machen will und sich dazu am Brunnen am Ortseingang trifft, muss man ein wenig Zeit einplanen. Willi-Steffek-Terrain dieses Oberstedten, er kennt hier so gut wie jeden, jeder kennt ihn, im Minutentakt wird gegrüßt. Ein Hupton aus dem Auto auf der Straße, ein Winken von der anderen Straßenseite, ein direkter Gruß bei der Begegnung auf dem Bürgersteig. Eine kurze Geschichte gehört meist dazu. Der Brunnen vor dem symbolischen Tor zur Gemeinde ist so ein Projekt, für das der gebürtige Alsfelder die Werbetrommel gerührt hat. Rund 60 000 Euro hat er gesammelt, ist auch schon wieder ein Dutzend Jahre her. Die Wassertechnik für den Kreisel-Brunnen mit dem Hufeisen als Wahrzeichen Oberstedtens in der Mitte ist seine Mitgift. Wenn er sich nicht kümmert, tut’s kein anderer. 100 Meter ortseinwärts haben sie ihm den „Willi-Steffek-Platz“ gewidmet, zwei Straßenschilder im Originalstil früherer Zeiten, weiße Schrift auf blauem Grund. Eines prangt an der einstigen Steffek-Schwimmbad-Zentrale, wo jetzt Thai-Food und spezielle Smoothies produziert werden, eines auf der anderen Seite an einer Pizzeria, hinter der sich der putzige „Stedter Äppelpark“ ausbreitet. Auch so ein Steffek-Projekt, das unter seiner aktiven Mitwirkung umgesetzt wurde. Das Stück Original Berliner Mauer mittendrin hat er ankarren lassen, ein Zeichen, das jeder für sich deuten kann.

Was dem Stedter sein Apfelpark ist, könnte in Stierstadt der Lindenplatz an der alten Dorflinde vor der Kirche St. Sebastian sein. Ein Herzensprojekt für Paul Gerecht, einen Mann, der die Menschen gerne eint, am besten in der Mitte des Dorfes. Etwa beim Weihnachtsmarkt, den sie vor ein paar Jahren aus der nicht ganz so heimeligen Taunusstraße auf das Umfeld der Linde verlegt haben. Um die Anschaffung der Weihnachtsbeleuchtung hat sich Paul Gerecht gekümmert, beim Bau von vielen der Holzhütten hat der Schreinermeister selbst Hand angelegt. Die eckige Rundbank um die Linde ein Gemeinschaftswerk der ortsansässigen Schreiner, von dem er heute noch schwärmt. Vom Zusammenhalt, der da entstanden ist, heute würde man vom „Flow“ sprechen, der sich entwickelt hat. Ein bodenständiger Mann wie Paul Gerecht benutzt lieber geerdete Begriffe.

Noch mehr Stierstadt und noch mehr Paul Gerecht als in der Linde steckt im Stier ein paar Meter unterhalb der Linde, auch noch im Ortskern. Noch so ein Projekt von Gemeinschaftssinn, ein Platz, dem Urvater Stierstadts gewidmet, dem Mentor aller, die heute die „alten Stierstädter“ sind. In zentraler Mitte der Stier aus Bronzeguß direkt neben dem alten Brunnen von 1898, lebensgroß, für 25 000 Euro im Bayerischen gekauft. Auf dem Heinrich-Geibel-Platz steht der Stier, den Paul Gerecht sinnbildlich so gerne bei den Hörnern packt und fürs Foto auch mal mit beiden Händen. Aber ach, was ist aus dem Platz vor der Feuerwehr geworden. Sieht schon ein bisschen verloddert aus, nackt und leer, baumlos, wenig heimelig. Der Bürgermeister, der auch in Stierstadt wohnt, würde mangelnde Verweilqualität konstatieren. Paul Gerecht wird unruhig. Schon bald wird er ein paar Männer zusammentrommeln, die wie er anpacken können. Ein Samstagvormittag sollte dann reichen, natürlich gibt’s ein Bier dazu und warme Fleischwurst vom örtlichen Metzger.

So sind sie, der Mr. Stierstadt und der Mr. Oberstedten. Net nur jammern, wie es gerne heißt, sondern anpacken. „Beide sind Führungskräfte und von hoher Integrationskraft, beide werden von ebensolchen Frauen unterstützt.“, wie der Bürgermeister beim kleinen Festakt im Rathaus die Lebenseinstellung der Herren kurz und treffend beschreibt. Für die Verschönerung „ihres Ortsteils“ muss immer Zeit und eine Hand frei sein. Vereinsmenschen sind beide „durch und durch“, auch dafür haben sie die Ehrenmedaille aus Bronze und die Urkunde dazu verdient. Steffek war bis 2017 Vorsitzender des Vereinsrings Oberstedten, 20 Jahre lang. In Stierstadt hat das Paul Gerecht bis 2017 übernommen, wichtigstes Ereignis in all den Jahren der Hessentag 2011.

Viele Parallelen

Parallelen finden sich viele im Leben der „Ehrenbürger“ ihrer Ortsteile, bis hin zur Geburt im Jahrgang 1944. Macher mischt sich gerne in die Ortspolitik ein, einmal infiziert, können sie es kaum mehr lassen, den Weg des Hasen mitzubestimmen. Steffek war Stadtverordneter, hat den Job später an die Gattin abgegeben. Knapp 20 Jahre war er im Ortsbeirat Oberstedten engagiert, vom „hohen Unterhaltungswert“ der meisten Sitzungen dieses Gremiums weiß nicht nur der Bürgermeister zu berichten. Als Ortsgerichtsvorsteher hat der langjährige Kirchenvorstand Jahrzehnte auf dem Buckel, er kennt die Dramen des Lebens und Sterbens im Ort wie kaum ein anderer. Natürlich war auch Paul Gerecht Stadtverordneter, bis heute ist er Magistratsmitglied, nach der nächsten Kommunalwahl 2021 soll dann Schluss sein. Ortsvorsteher war er 22 Jahre lang bis 2011, im Verwaltungsrat der Pfarrgemeinde St. Sebastian saß er 32 Jahre. War wirklich überfällig die Ehrenmedaille für die beiden Männer, deren Stimme Gewicht hat im Ort. Ziemlich genau passend zum jeweils 75. Geburtstag.

Weitere Artikelbilder



X