Oberursel (bg). Der Frohsinn, der älteste Karnevalverein in Oberursel, eröffnete den Reigen der prunkvollen Fastnachtssitzungen mit einer modernen Bühnenshow. Es gab viel Musik, Tanz, Comedy und Quatsch, ja, auch einige klassische Büttenreden waren noch im Angebot.
Sitzungspräsiden KP Hieronymi, der viele Jahre mit routinierter Hand das Narrenschiff durch die Sitzungen gesteuert hat und immer an Bord war, hatte diesmal ganz entspannt beim Elferrat Platz genommen. Stattdessen führt eine Doppelspitze durch die lange Nacht der „Großen und kleinen Tiere“: Claudia Chudaska vom Kleinen Rat (KR) und Gerd Krämer mit all seiner geballten Erfahrung als Sitzungspräsident im Rathaus tummelten sich auf der Bühne im roten Glitzer-Look und moderierten abwechselnd.
Zwei Hähne im Korb
Die Fastnacht fühlt sich dieses Jahr sehr weiblich an. Als sich der Vorhang in der gut gefüllten Stadthalle hob, präsentierten sich auf der Bühne in der Mehrzahl weibliche Hoheiten samt schmucker Tanz- und Ehrengarden zu einem tollen Eröffnungsbild. Als männlicher Regent war Prinz Maximilian I. aus Usingen fast allein auf weiter Flur, förmlich umzingelt von weiblichen Hoheiten. Unterstützung gab es für ihn nur durch Prinz Raphael I. der aber auch nur als Doppelspitze gemeinsam mit Prinzessin Tala I. als Kinderprinzenpaar über die Bommersheimer Narrenschar das Zepter schwingt. Aus Bad Homburg war vom Club Humor Ihre Lieblichkeit Jil I. erschienen, und die Brunnenstadt wird in dieser Kampagne von Prinzessin Vanessa I. vom Bommersheimer Carneval verein (BCV) mit zarter Hand regiert. Selbst beim traditionellen Tanz der Ehrengarde waren Tänzerinnen mit dabei. Und beim Funkentanz zu Ehren der närrischen Hoheiten glänzte Lea Veiga-Gennert als Funkenmariechen.
Getreu dem Motto tummelten sich an diesem Abend auf der Bühne und im Saal nicht nur kleine und große, sondern auch possierliche und ausgesprochen seltene Spezies. Vorgestellt wurden einige von Jens Stern in der Rolle des Professors Dr. Bernhard Grzimek. Die Frohsinn-Sänger steckten bei der Nachstellung der Fernsehsendung „Ein Platz für Tiere“ in schweißtreibenden Tierkostümen und brachten nicht nur sich selbst, sondern auch die Stimmung im Saal zum Kochen. Mit Melodien aus dem Dschungelbuch empfahlen sie Annegret Kramp-Karrenbauer: „Probier’s mal mit der Bundeswehr“, und Stephan Remes gab zwerchfellerschütternd komisch den King Louis. Der große Männerchor hatte einen Taunuskrebs in seinen Reihen, der unbedingt eine Seilbahn möchte, und der Professor stellte dem Publikum ein Exemplar der ganz seltenen Art des „animalus politicus radicalis“ vor, die sich vor allem im sogenannten „Dunkeldeutschland“ breitgemacht habe. Er führte das auf die jahrelange Käfighaltung der Lebewesen zurück.
Stargast Helene Fischer
Die Tanzgarden sind seit langem ein Aushängeschild des traditionsreichen Vereins, der intensive Nachwuchspflege betreibt. Ob die Minis, die sich als Vögelchen, Schmetterlinge und Großwildjäger präsentierten, Tanzgarde 1.0, Tanzgarde 2.0 und oder die Große Tanzgarde des Vereins, alle eroberten das Publikum im Handumdrehen und ernteten viel Applaus. Ohne Zugabe kam keine Formation von der Bühne. Das Frohsinn Ballett mischt seit Jahren in einer anderen Liga mit – als fester Programmpunkt beim HR-Fernsehen in der Sitzung „Rosa Wölkchen“. Eine Rakete gab es auch für die „Ambosse“, das Männerballet des Frohsinns. Wenn Saftschubsen mit Crew-Mitgliedern in die Flughafen-Disco zum Abtanzen gehen, dann gibt es kein Halten mehr. Wie entfesselt tobten die jungen Männer über die Bühne mit Startgast Helene Fischer als überragende Diva. Valentin Stedten glänzte in dieser Rolle im hautnahen rosa glitzernden Cat-Suit auf silbernen Higheels und schoss dabei den Vogel ab. Das Publikum war hin und weg. Der musikalische Nachwuchs für die „Brassband“, die „Drumkids“ und die „Jugendbrassband“, durften auch auf die Bühne und zeigten, was sie schon drauf haben.
Stephan Remes als Protokoller war der Erste in der Bütt. Mit gekonnt spitzer Feder bekamen die großen und die kleinen Tiere, vor allem die großen Politiker ihre Fett ab. Schräge Brüder, pubertäre Buben, die Grimms Märchen erzählen, aber eine Frau würde denen Paroli bieten, so Remes. Er hat auch schon einen Kandidaten als Nachfolger für Hans-Georg Brum ausgemacht: Ein Orschler mit Haut und Haaren, per Fahrrad unterwegs, weder aus Bommersheim, Stedte, Weißkirchen oder Stierstadt, es kann nur einer sein, der KP.
Michael Reuter tischte in waschechtem Orschler Denglisch und in echter Boris-Johnson-Manier Lügen auf, das sich die Balken bogen. Kein Geld mehr für die Stadtteile, das spart Geld, Orschel first. Sein Vorschlag: Stede an Bad Homburg, da hat es seine neue Mitte dem Kurhausvorplatz, völlig kostenneutral. Auf den Stexit folgten der Boxit und der Wexit, Weißkirchen wird nach Frankfurt verkauft. Dann kann Orschel sein gutes Taunuswasser allein verkaufen und ist schuldenfrei. Von einer huldvoll winkenden Queen wurde Boris Johnson nach diesem Auftritt am Ohrläppchen geschnappt und abgeführt, eine tolle Nummer von Michael Reuter und Ehefrau Doris.
Die Marktweiber trainierten für den besten Auftritt aller Zeiten unter Anleitung des gestrengen Captain Jack in einem Bootcamp. Einige der Damen traten im Kampfanzug zum Überlebenstraining an, dabei ging es nur um „Grinsen, Helau winken und Stößchen üben“.Gibt es Schöneres als sich selbst auf die Schippe zu nehmen? Das führte die KR-Integrationsklasse unter Lehrer Otto Dummbach (Peter Wolff) herzerfrischend vor. Der hatte seine liebe Not den Schülerinnen mit Migrationshintergrund echt Orschlerisch beizubringen. Wie junge Studenten sich nicht im Hörsaal sondern bei einer Stadtrallye beim Sackhüpfen sehr nahekommen, darüber berichtete Michelle Wilkinson in ihrem Vortag als Erstsemestlerin.
Landebahn am Bahnhof
Die Brassband brachte mal wieder die Stimmung auf den Siedepunkt. Der ganz Saal swingte mit, eine lange Polonaise wälzte sich durch alle Tischreihen. Und zum krönenden Abschluss gab es Russen-Disco-Sound auf die Ohren, der auch mächtig in die Beine ging. Spätestens als die Musiker unter der Leitung von Jens Stern „Kalinka“ spielten, war klar, damit könnte die Band auch in Lomonossow für Begeisterungsstürme sorgen.
Weit nach Mitternacht hielt „Nanga Ebuku“, seinen Einzug in die Narrhalla und verteilte viel Elefantensülze. Durch sein Reich kann er nur noch schleichen ja es ist sogar vogekommen, dass ihn Radfahrer überholt haben, beklagte er sich über die Tempo-30-Regelung. Auf der Champs Elysées, vorbei am Waffenobst, hat er einen neuen Konsumtempel ausgemacht. Und Oberursel bekommt jetzt endlich einen Flugplatz, direkt am Bahnhof, die Landebahnen sind schon fertig. Michael Kukuruzvoic als Austauschkarnevalist aus Kamerun ist Kult beim Frohsinn. Immer gelingt es ihm, auch zu später Stunde mit seinem Feuerwerk an Kokolores, gemischt mit einem Körnchen Wahrheit, das Publikum von den Sitzen zu reißen.
Für diese prunkvolle Fastnachtssitzung waren vor und hinter der Bühne gut 230 Aktive im Einsatz, betonte Gerd Krämer, 100 davon Kinder und Jugendliche. Das war einen dicken Applaus wert. Zum großen Finale versammelten sie sich alle auf der Bühne und stimmten gemeinsam „Die Fastnacht hält uns alle jung“ an. Und der ganze Saal sang begeistert mit.