Grenzenlose Begegnungen im ‚Babbelcafé‘

An diesem Abend im Frühjahr letzten Jahres war das Sprachcafé so gut besucht, dass sich die Initiatoren des Vereins Windrose kurz darauf entschlossen, einen zweiten Abendtermin anzubieten.

Oberursel(dsp). Als die Oberurseler Woche am 30. März 2022 über den damaligen Start des neuen Kulturcafés Windrose berichtete, war der Erfolg des ambitionierten Projekts noch alles andere als ausgemacht. Zu diesem Zeitpunkt konnte kaum einer der Beteiligten ahnen, welche wichtige Rolle es sehr schnell als Anlaufstelle für Menschen mit Migrationsgeschichte spielen würde – vor allem für Geflüchtete nach der ‚Zeitenwende‘ (Olaf Scholz). Doch dazu später.

Los ging es damals zunächst noch in der „Pop-up-Version“ im ehemaligen Artcafé Macondo als Übergangsdomizil. Die Ursprünge liegen jedoch schon weitere vier Jahre zurück als die Stadt Oberursel Ende 2020 gemeinsam mit dem Internationalen Verein Windrose, dem Kultur- und Sportförderverein Oberursel (KSfO) und der katholischen Kirchengemeinde St. Ursula den ‚Trägerverein Kommunikationszentrum Altstadt‘ (TKzA) gegründet hatten, dessen Gemeinnützigkeit kurz darauf vom Finanzamt anerkannt wurde. Mit dem Betrieb des Kommunikationszentrums unter dem Namen „Kulturcafé Windrose“ hatte der Trägerverein die Windrose beauftragt. Ein entsprechender Vertrag wurde im Dezember 2021 abgeschlossen.

Am ersten Oktober 2022 zog das Kulturcafés Windrose dann schließlich in sein heutiges Domizil in der Ackergasse 6 um, wo es sich inzwischen zu der ‚angesagtesten‘ Kultureinrichtung Oberursels und darüber hinaus etabliert hat, die in dieser Form und besonderen Trägerstruktur weit und breit ihres Gleichen sucht. Mit seinem vielfältigen Angebot aus Kunst, Musik, Literaturlesungen und anderen Veranstaltungen entwickelt sich das ‚KuCa‘ am Rande der Altstadt in kürzester Zeit zu einem gefragten Treffpunkt, an dem sich Menschen aller Altersgruppen und sozialer Schichten aus den unterschiedlichsten Ländern und Kulturkreisen begegnen und die vielfältigen Lebenswirklichkeiten der Stadt entdecken können. Ein Erfolgsbeispiel, das charakteristisch für die engagierte Stadtgesellschaft Oberursels ist, denn das Programm wird noch von anderen Oberurseler Vereinen und Akteuren mitgestaltet – unter anderem vom Kulturkreis Oberursel, ‚Kunstgriff‘, dem Städtepartnerschaftsverein, ‚LiteraTouren‘, der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und der Initiative Opferdenkmal.

„Vielfalt erleben, Vielfalt genießen, Vielfalt vereinen“ – das sind die Leitgedanken, an denen sich der Betrieb des Kulturcafés Windrose ausrichten wird“ heißt es auf der Webseite der Pfarrei St. Ursula treffend über das Projekt. Die katholische Kirche spielte übrigens schon in den siebziger Jahren eine Schlüsselrolle bei der Gründung des Internationalen Vereins Windrose im Jahr 1976. Denn in den katholischen Gottesdiensten trafen sich damals die überwiegend aus Südeuropa stammenden, in Oberursel lebenden „Gastarbeiter“ (wie sie zu dieser Zeit noch offiziell genannt wurden). Und hier entstand die Idee für die Gründung eines internationalen Integrationsvereins, weiß Michael Behrent zu berichten. Nach den Worten des Windrose-Vorsitzenden lag der Fokus der Vereinsarbeit lange Zeit auf der Situation der Arbeitsmigranten, während Geflüchtete dagegen erst seit dem Jahr 2012 im Mittelpunkt stehen.

‚Ukrainisches Haus NaschDim‘

Die von Olaf Scholz später so genannte ‚Zeitenwende‘ begann schleichend schon im Jahr 2014 durch die Krim-Annektion. Und mit Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs durch das russische Verbrecherregime auf das Land am 24. Februar 2022 kamen auch bald die ersten ukrainischen Kriegsflüchtlinge in Oberursel an – natürlich überwiegend Frauen und Kinder. Denn Männer im wehrpflichtigen Alter bis 60 Jahre dürfen das Land nur in Ausnahmefällen mit ihren Familien verlassen – wenn sie zum Beispiel mindestens drei oder mehr Kinder haben, die noch nicht volljährig sind.

Eine Gruppe Ukrainerinnen rund um die Kiewer Germanistikprofessorin Elena Opanasenko kam schnell mit dem Verein Windrose in Kontakt, wo sie unter dem passenden Gruppennamen „Ukrainisches Haus NaschDim“ eine organisatorische Heimat fanden. Dies war auch die Geburtsstunde des Windrose-Sprachcafés, das noch im früheren Artcafé Macondo als Provisorium startete und in dem am Anfang zunächst unterschiedliche Dialog-Formate ausprobiert wurden.

Zwei Mal pro Woche wird gebabbelt

Bei der sehr bewegenden und gut besuchten Gedenkveranstaltung „2 (10!) Jahre Krieg in der Ukraine: Berichte von Zeitzeugen“ am 24. Februar 2024 warb Michael Behrent öffentlich für das Sprachcafé-Angebot des Vereins. Es wurde kurz darauf in „Babbelcafé“ umbenannt und steht seitdem dienstags und donnerstags von 18.00 bis 19.30 Uhr Menschen aller Nationen offen, die bei Gesprächen in zwangloser Atmosphäre ihre Deutschkenntnisse verbessern wollen. Unterstützt wird das Angebot zur Zeit von zwölf ehrenamtlichen ‚Supportern‘. Sie sind alle deutsche Muttersprachler – bis auf eine interessante Ausnahme: seit kurzem ist auch die Spanierin Marina dabei, die inzwischen seit zehn Jahren in Deutschland lebt. Die sympathische Katalanin spricht nahezu perfekt deutsch und unterrichtet an einer Privatschule französisch und spanisch. In ihrer Rolle als so genannte ‚Expat‘ (qualifizierte ausländische Fachkraft) bringt die Supporterin eine erweiterte europäische Perspektive in die Treffen des Babbelcafés ein und kennt die Situation neu in ein Land zu kommen aus eigener Erfahrung gut.

Martin, der lange als Facharzt für Innere Medizin in Kronberg praktiziert hat, ist ein weiterer engagierter Supporter. Er ist zusammen mit einem Ukrainer noch in einem Königsteiner Sportverein aktiv und hat von hier die Idee der Orientierungsläufe im Taunus mitgebracht, die er gelegentlich auch für Babbelcafé-Besucher organisiert – in einer familientauglichen Variante. Die hierfür gegründete WhatsApp-Gruppe „Deutsch-ukrainische Waldwanderungen“ hat bereits über 100 Mitglieder.

Pro Termin besuchten bisher im Durchschnitt 15 bis 20 Gäste mit ganz unterschiedlichen Sprachniveaus das Babbelcafé. Neben Geflüchteten als Hauptgruppe sind das mitunter auch andere ausländische Mitbürger, die zum Teil nur zeitlich befristet als ‚Expats‘ überwiegend in Oberursel oder der näheren Umgebung leben und arbeiten. Viele Besucher mit akademischem Hintergrund haben in ihrem Herkunftsland schon in gehobenen beruflichen Positionen zum Beispiel als Jurist, Ingenieur oder Arzt gearbeitet. Aber auch andere Berufe wie Buchhalter, Erzieher, Krankenschwester oder Verwaltungsangestellte sowie vereinzelt auch Studenten sind mit dabei.

Zu ihnen gehört auch Anzelika, die aus Estland stammt und mit einem Ukrainer verheiratete ist. Die 39jährige dreifache Mutter besuchte im vergangenen Jahr regelmäßig das Babbelcafé – vor allem um sich hier intensiv auf zwei Sprachprüfungen vorzubereiten. Über jede bestandene Prüfung freuen sich neben den meist ukrainischen Frauen natürlich auch die ehrenamtlichen Supporter, die hierfür zusammen mit den Sprachschülern geübt haben. Solche unmittelbaren und auch messbaren Erfolge zeigen wie wichtig diese Institution für Menschen mit Migrationsbiografie inzwischen geworden ist.

Damit das mittlerweile sehr beliebte Angebot weiter gefestigt und ausgebaut werden kann, suchen die Initiatoren in diesem Jahr weitere deutsche Muttersprachler als ehrenamtliche Supporter. Michael Behrent und Babbelcafé-Ansprechpartner Jürgen Kronz denken auch über ein neues, ergänzendes Format nach, bei dem Unternehmen aus der Region die Möglichkeit erhalten sollen über ihre Arbeit zu berichten und mit Interessierten in Kontakt zu kommen, die vielleicht gerade auf Jobsuche sind. Angesichts des weiter zunehmenden Fachkräftemangels nicht nur in sogenannten Engpassberufen könnten aus solchen Begegnungen echte Win-Win-Situationen entstehen. Interessierte können über die E-Mail-Adresse buero[at]windrose-oberursel[dot]de Kontakt mit dem Verein aufnehmen oder auch gerne einfach einmal an einem Dienstag- oder Donnerstagsabend in‘s Kultucafé kommen. Hierfür wurde unter www.windrose-oberursel.de/babbel-café eine Online-Anmeldefunktion eingerichtet, die schnell und unkompliziert ausgefüllt werden kann.



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