Eine Insel, Schafe und zwei Milliardäre

Bettina Borgfeld bei der Frankfurt-Premiere ihres jüngsten Films „Was kostet die Welt“ vor dem Plakat zum Film im Kino „Orfeos Erben“. Foto: js

Von Jürgen Streicher

Oberursel. Durch die gesamte Republik ist sie getourt mit ihrem Film. Berlin, Hamburg, München, Frankfurt ist schon die siebte Station. Die „Frankfurt-Premiere“ im Kino „Orfeos Erben“, ein Heimspiel für Bettina Borgfeld. Familie, Freunde und Bekannte aus der alten Heimat Oberursel und dem Umfeld belegen die meisten Plätze bei der ersten von drei Aufführungen im Programmkino mit dem besonderen Flair.

Am Anfang war das Paradies. Und das Paradies war eine Insel. Schafe mäandern im Morgennebel über nasse Wiesen, grün, frisch ist diese feuchte Welt im Dunst. Eine archaisch wirkende Welt tut sich auf, Menschen bewegen sich langsam wie scheinbar auch die Zeit hier auf der Insel im Ärmelkanal. Möwengeschrei untermalt das friedliche Landleben, Motorengeräusche verursacht allenfalls ein Traktor, Autos sind verpönt auf Sark. Mit nüchternem Blick und sachlicher Kamera betrachtet Regisseurin Bettina Borgfeld ein Paradies, das aus den Fugen gerät, aus dem Off beschreibt sie, wie an einem ziemlich genau definierbaren vermeintlichen „Point of no Return“ eine Jahrhunderte währende Struktur zu zerbrechen droht. „Was kostet die Welt“ ist das dritte große Dokumentarfilmprojekt der in Oberursel aufgewachsenen Regisseurin und Kamerafrau Bettina Borgfeld.

Am Gymnasium Oberursel (GO) hat die 1964 geborene Bettina Borgfeld Abitur gemacht, danach Amerikanistik, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften sowie Kunstpädagogik in Frankfurt studiert. Seit 1995 steht Bettina Borgfeld hinter der Kamera und arbeitet als Journalistin. Erst für eine internationale Nachrichtenagentur in Deutschland und im Ausland, später für längere dokumentarische Formate. Hier findet sie neben der aktuellen Arbeit als Kamerafrau für die Agentur Reuters in Berlin ihre Regie-Heimat. Seit 2005 dreht sie Dokumentarfilme als Regisseurin und Kamerafrau, Bettina Borgfeld lebt in Berlin.

Ein kurioser Sonderfall ist die Insel Sark bis heute, bis 2008 war Sark in gewissem Sinne das Paradies für seine Bewohner, denn die knapp 600 Insulaner lebten auf einer Handvoll Quadratkilometer nach ihren Regeln und Vorstellungen von Gemeinschaft, Besitz und Recht und hatten sich alle mit diesem außergewöhnlichen Konzept arrangiert. Unterstellt nur der britischen Krone, in einem feudalistischen System hatten sie ihr eigenes unabhängiges Parlament. Das Paradies begann zu wackeln, als „die Barclays“ zu jener Zeit kamen und begannen, das Inselleben mit ihrer Strategie einer feindlichen Übernahme zu destabilisieren. Zwei milliardenschwere Brüder, das reicht zu ihrer Beschreibung. Im Film tauchen sie nicht auf, der Regisseurin wollen sie nicht Rede und Antwort stehen. Sie wollen die Insel Stück für Stück aufkaufen, strategisch Grundstücke auf beiden Seiten der Insel ansammeln und das Inselparlament unterwandern.

Davon erzählt „Was kostet die Welt“. Vom Versuch, Bewohner zu verdrängen und gegen die vorzugehen, die sich nicht verdrängen lassen wollen. Vier Jahre lang ist Bettina Borgfeld immer wieder nach Sark gereist, mit ihr haben die Bewohner geredet. Regie, Buch, Kamera, im Langzeit-Projekt „Was kostet die Welt“ hat Bettina Borgfeld ihre unaufgeregte, undramatische Linie konsequent eingehalten. Eine „Parabel auf das Verhältnis von Finanzkapital und Demokratie in der globalisierten Welt“ haben Kritiker den Film genannt, die Insel Sark einen „Schauplatz eines geradezu abstrusen modernen Medien-, Finanz- und Machtkonfliktes“. Verlierer darin sind vor allem die Insulaner, die sich der Weltidee „der Barclays“ nicht beugen wollen. Sie werden bei dem Vorhaben der neuen Inselherren nicht gebraucht.

Nominiert für Dokumentarfilmpreis

In ihrem vorausgegangenen viel gelobten Dokumentarfilm „Raising Resistance“ (2012) zeigte Bettina Borgfeld zusammen mit David Bernet, wie der monströse Anbau von Soja auf riesigen Flächen in Paraguay, unterstützt von Gentechnologie und Agrarchemie riesige Naturlandschaften in Ödland verwandelt und soziale Zusammenhänge zerstört. Wer sind die Unterliegenden im zivilisatorischen Wettbewerb, das ist in beiden Filmen eine Leitfrage. „Was kostet die Welt“ hat beim Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilmfest bereits einen Publikumspreis bekommen und ist für den Deutschen Dokumentarfilmpreis nominiert. Der Preis wird am 28. Juni in Stuttgart vergeben. Wann der Film im Fernsehen laufen wird, ist noch unklar, er ist in Koproduktion mit dem WDR entstanden.



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