Oberursel (ow). Im Rahmen der Literaturtage las der Dramaturg und Schriftsteller Necati Öziri in der gut besuchten Aula des Gymnasiums Oberursel (GO) aus seinem 2023 erschienenen Debütroman „Vatermal“, der auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand, und trat mit Jana Gaiser (E1), Mustafa Ordukaya (E1) und Sofia Valter (Q3) in eine Unterhaltung über sein Werk. Auch Dr. Diana Tappen-Scheuermann, die die Lesung organisiert und vorbereitet hatte, war Teil der literarischen Gesprächsrunde.
Necati Öziri, 1988 im Ruhrgebiet geboren, ließ in seinen Lesungsblöcken aus den Kapiteln 1, 12 und 14 seine Figuren lebendig werden, vor allem den Protagonisten Arda. Der Student der Germanistik liegt mit einer lebensbedrohlichen Autoimmunerkrankung im Krankenhaus und schreibt im Angesicht des eigenen Todes an seinen ihm unbekannten Vater. Mit dem Laptop auf dem Schoß macht sich der Ich-Erzähler auf die Suche nach dieser Leerstelle, die gleichzeitig der Adressat der Erzählung ist. Trotz der vielen Erinnerungsfragmente bleibt der Vater für Arda Fiktion. Doch je weiter der Roman fortschreitet, desto facettenreicher und nuancierter wird der Blick auf die Personen, die immer für Arda da waren: seine Schwester Aylin und seine Mutter Ümran. Und so ist der Roman eine Geschichte der radikalen Wahrheit, Wut, Kraft, Liebe und Sehnsucht. Gebannt lauschten die Zuhörer dem Vortrag, litten, lachten, fragten und trauerten mit Arda um entgangene oder versagte Möglichkeiten.
Im literarischen Gesprächskreis, der in einer Art Wohnzimmeratmosphäre auf der Bühne stattfand, nutzten Jana, Sofia, Mustafa und Dr. Tappen-Scheuermann die Möglichkeit, ihre Gedanken, Fragen und Kritik zu dem Roman zu äußern. So erfuhren sie und das Publikum, dass das Setting im Krankenhaus, das den Rahmen um die Erzählung bildet, für den Dramaturgen Öziri eine Art „Theaterbühne“ bildet, bei der die unterschiedlichen Figuren auf- und wieder abtreten. Zudem seien einige Kapitel, deren Inhalt den Schülern an manchen Stellen für die Nachvollziehbarkeit der Handlungsbruchstücke fehlte, dem Lektorat zum Opfer gefallen, erklärte der Autor, beispielsweise, wie Arda zum Germanistikstudium gekommen sei. Von den etwa 1000 Seiten, die er für den Roman beim Verlag eingereicht habe, seien nur rund 300 in das Werk eingeflossen. Öziri lobte die sehr genaue Textkenntnis der jungen Lese und freute sich über ihre Rückmeldungen. Ursprünglich sei „Vatermal“ ein Theaterstück gewesen, das aus einem einzigen langen Monolog Ardas bestanden habe. Später habe er gemerkt, dass er auch Ümran und Aylin „eine Stimme geben“ wolle, um ihnen eine Art literarischer Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Daraus habe sich dann der Roman entwickelt. Sein Protagonist Arda, in dem sich alle aktuellen sozialen Probleme vereinen, entwickelt sich dank starker Frauenfiguren zu einem Abiturienten, der anschließend Germanistik studiert.
Am heutigen Literaturunterricht in der Schule kritisierte Öziri die oft eindimensionale Vorgehensweise, die meist nur die Einordnung in einen historischen Kontext im Fokus habe. Viel sinnvoller sei es seiner Meinung nach, auf die alten Geschichten „heutig draufzugucken“ und zu überlegen, „Was fehlt? Was wurde nicht erzählt? Welche Figuren kommen kaum oder gar nicht zu Wort?“. Gerade diese Leerstellen zu füllen könnte für die heutigen Schüler gewinnbringender Literaturunterricht sein. Auch heutige „moderne“ Theateraufführungen hielten die alten Texte für heilig und versuchten oft krampfhaft, die zum Teil nicht mehr aktuellen und zeitgemäßen Themen und Probleme auf die heutige Zeit zu übertragen. Dadurch verliere das Theater gerade an erzieherischer Funktion.
Ergriffen folgte das Publikum zum Abschluss noch einem Ausschnitt aus Kapitel 14, bei dem die nachdenkliche Sehnsucht Ardas besonders spürbar wurde. Nach einem kurzen Moment der Stille wurde der Schriftsteller mit großem Applaus dankbar verabschiedet. Auch Friederike Pitsch, Leiterin des Fachbereichs I am GO, bedankte sich im Namen der Schulleitung bei Necati Öziri sowie Jana Gaiser, Sofia Valter, Mustafa Ordukaya und Dr. Diana Tappen-Scheuermann für einen beeindruckenden und wunderbaren Abend. Ihr Dank galt auch dem Kultur- und Sportförderverein Oberursel (KSfO), Theo Strich (E1), Zara Frönicke (Q3) und Johanna Mohr (Q3) für die Mithilfe bei der Vorbereitung und dem Bühnenbild sowie Jonathan Wrede und Florian Friesenhahn mit ihrem Team für die Aula-Technik.
Im Anschluss ließ sich Necati Öziri mit vielen Schülergruppen und Einzelpersonen fotografieren, bevor er noch zahlreiche Exemplare seines Werks, das auch an einem Stand der Buchhandlung Libra erhältlich war, signierte.