Oberursel (bg). Wohnen ist ein Menschenrecht. Um den Bedarf an Wohnraum zu decken, müssten bundesweit jedes Jahr 400 000 Wohnungen gebaut werden, im Jahr 2023 waren es jedoch nur 250 000. Die Zahlen für das laufende Jahr sind nicht besser. Die Baubranche erlebt gerade eine schwere Krise. Durch die Kostenexplosion wurden bereits genehmigte Bauvorhaben auf Eis gelegt, neue Bauanträge werden kaum gestellt, die Zahlen gehen dramatisch zurück. Hohe Bodenpreise, ein Dickicht an Bauvorschriften, unterschiedliche Bauordnungen in jedem Bundesland, Fachkräftemangel und steigende Materialkosten führen dazu, dass Bauvorhaben sich nicht rechnen. Wer kann sich schon Mietpreise um die 20 Euro pro Quadratmeter leisten? Wohnungen werden so für viele Menschen zum unerschwinglichen Luxusgut.
Der Aufsichtsratsvorsitzende der OWG, Rainer Zulauf, findet drastische Worte für die Lage. „Die Wohnungswirtschaft befindet sich nicht im schweren Fahrwasser, sondern steht kurz vor der Havarie. Stellen Sie sich ein vollbeladenes, riesiges Containerschiff vor, das bei niedrigem Wasser im Rhein auf das Binger Loch zusteuert. Hier muss Hilfe um Staat kommen.“
In diesen schwierigen Zeiten hält die Oberurseler Wohnungsgenossenschaft mutig Kurs. Das Projekt Friedensstraße in Oberhöchstadt, gebaut in den schwierigen Coronazeiten wurde Anfang des Jahres fertiggestellt. Die OWG hat auf dem genossenschaftseigenen Grundstück vier Gebäude mit insgesamt 48 frei finanzierten Wohnungen sowie zwölf Wohnungen mit Belegungsbindung errichtet. Dazu eine Tiefgarage mit 67 Plätzen sowie 15 oberirdische Stellplätze. Inzwischen sind die Bewohner eingezogen. In schicke Neubauwohnungen, gebaut nach den neuesten energetischen Bestimmungen, alle Gebäude erfüllen den Standard des KfW-Effizienzhauses 55.
In das Projekt hat die Wohnungsgenossenschaft 17,3 Millionen Euro investiert, die überwiegend durch Fremdmittel finanziert wurden. Die ursprünglich anvisierten elf Euro als Miete konnten durch die Kostenexplosion nicht eingehalten werden, aber mit den jetzt aufgerufenen 13 Euro bewegt sich die OWG klar im unteren Level. Im Durchschnitt lag der Quadratmeterpreis für eine OWG-Wohnung im vergangenen Jahr bei 7,18 Euro. So steht es im Geschäftsbericht für das Jahr 2023, der jetzt vorliegt und mit der Einladung zur Versammlung an die gewählten Vertreter verschickt wurde.
Mit ihren über 1700 Wohnungen ist die OWG eine wichtige Stütze für die Stadt Oberursel, wenn es um preiswerten Wohnraum geht. Das betonte auch Stadtverordnetenvorsteher Lothar Köhler in seinem Grußwort an die Versammlung. Sie fand im Rathaus-Sitzungssaal statt. Auf dem Podium hatten die hauptamtliche Geschäftsführerin Birgit Welter sowie die Vorstandsmitglieder Hans-Jürgen Weber und Stephan Schreck Platz genommen. Dazu die Mitglieder des Aufsichtsrats. An der Spitze der Vorsitzende Rainer Zulauf, seine Stellvertreterin Karina Maas-Margraf, Günter Bastian, Carl Robert Martins, Detlef Henning, Wilfried Günther und Stefanie Erbe. Erschienen waren außer den gewählten Vertretern der Wohnungsgenossen auch zahlreiche Gäste aus den Fraktionen des Oberurseler Stadtparlaments, darunter Hermann Banze, Mitglied seit 1960, langjähriger Aufsichtsratsvorsitzender und Gesicht der OWG. Er verfolgte die Versammlung aufmerksam.
Die Meisterin der Zahlen, Birgit Welter, erläuterte das Zahlenwerk des Geschäftsberichts. Trotz aller Schwierigkeiten war die Finanzlage im Jahr 2023 stabil, die Zahlungsfähigkeit der Genossenschaft war jederzeit gewährleistet. Das Gesamtkapital betrug 79 Millionen Euro, das Eigenkapital lag bei 47 Millionen Euro und erreichte damit die satte Quote von 59,5 Prozent. Im laufenden Geschäftsjahr wurde mit einer umfassenden energetischen Modernisierung und Sanierung der Häuser in der Alexander-Hess-Straße begonnen. Nach Abschluss der Maßnahmen werden die Gebäude den energetischen Standard eines KfW 55-Hauses erreichen. Die Gesamtkosten dafür betragen überfünf Millionen Euro.
Ihr 125-jähriges Bestehen feierte die Genossenschaft, die fast 5000 Mitglieder hat, mit einer Festveranstaltung und schönen Festen einzelner Hausgemeinschaften. Das größte fand im Rosengärtchen statt. Balkon-Kraftwerke waren ein weiteres Thema von Birgit Welter. Sie sind ein wichtiger Schritt, viele Mieter interessieren sich dafür. Aber dabei stellt sich auch die Haftungsfrage. Die OWG wird Angebote einholen und, wenn der Prozess abgeschlossen ist, den Mietern mit Beratung und Empfehlungen zur Seite stehen. Bis 2045 soll der gesamte Gebäudebestand in Deutschland klimaneutral werden, das wird eine gewaltige Herausforderung für alle Beteiligten. „Den Klimawandel können wir nicht abwählen, und wir können uns diesem Umbruch nicht entziehen. Die Modernisierungswelle wird viel Geld verschlingen, es wird zu weiteren Mietanpassungen kommen müssen“, fürchtete sie.
Mit großer Mehrheit beschloss die Vertreterversammlung, auf den Bilanzgewinn in Höhe von 253 477 Euro eine Dividende von vier Prozent auszuschütten. Vorstand und Aufsichtsrat wurden von den Wohngenossen bei einer Gegenstimme entlastet. Ebenfalls mit einer Gegenstimme wurden der Aufsichtsratsvorsitzende Rainer Zulauf und das Aufsichtsratsmitglied Carl Robert Martins turnusmäßig in ihren Ämtern bestätigt.