Oberursel (js). Da hängt sie nun oben im Baum, mehr als 20 Meter über Bommersheimer Normalnull. Angebunden an den fast glattrasierten 23-Meter-Stamm mit Nadelgeflecht im obersten Teil. Taunusfichte, frisch am Morgen geholt, Oberförster Louis Kriszezleit hat die Erlaubnis erteilt, auch die Verzierung mit großen Buchenästen, weil die traditionell verwendete Birke geschützt werden soll. Der Kerbebaum ist ein Muss bei der traditionellen Bommersheimer Kerb im Wonnemonat August. Und auch die Schlumbel ist ein Muss, Symbolfigur, Maskottchen, eben die Schlumbel, die immer dabei ist, ganz oben auf ihrem Stuhl. Und über die Kerb wacht und auch drei Tage und Nächte bewacht wird, damit keiner sie etwa klaut. Das war früher so üblich unter den Kerbeburschen der Ortsteile. Gelingt es, wäre es Höchststrafe für die veranstaltenden „Bommersheimer Kerbeborschen, die seit 2010 alleinige Ausrichter der Kerb sind.
Wann jetzt genau die Kerb in Bommersheim beginnt, darüber streiten sich die Geister im Spaß immer wieder neu. Ganz offiziell jedenfalls erst mit der Aufstellung des Kerbebaums am Samstag zur glühenden Mittagszeit in diesem Jahr, auch wenn die Start-Up-Mallorca-Party des dreitägigen Fests am Abend zuvor da schon ungefähr zwölf Stunden zurückliegt. Trotzdem – Tradition eben, und die verpflichtet ja, wie man weiß – geht die Kerb mit der Baumaufstellung los. Die Kerbeborschen sind trotz Mallorca in Kopf und Beinen alle angetreten, um den kurz zuvor noch 23 Meter hohen Baum ins mit Burgmauer-Folie abgegrenzte Kerbedorf vor der Burgwiesenhalle zu bugsieren und dann in die Senkrechte zu wuchten. Mit Kraft und Gefühl, mit Stangen und Seilen, vor allem mit der Expertise und dem profunden Wissen um Hebelgesetze und andere Kerbephysik von Ex-Kerbevadder Holger Girschikofsky im Hintergrund, der mit Ruhe und Überzeugung die taktische Marschroute vorgibt, damit Jörg Krammich, noch so ein erfahrener Ex-Kerbeborsch, den Stammschaft ordentlich ins Loch bugsieren kann, um den Kerbebaum fest zu verankern.
Um kurz vor drei Uhr am Nachmittag ist der 45-Minuten-Akt vollzogen, passend zum Läuten der Glocken der Ortskirche St. Aureus und Justina. Den ersten Apfelwein-Schoppen haben sich die Jungs und auch die Seniorenabteilung der Kebeborschen, die auf der anderen Seite der Mauer auf dem Sportplatz am Halteseil gearbeitet haben, redlich verdient. Und den nächsten nach dem Einmarsch mit Musik, mit Ritter Heinrich, Burgfräulein Catharina und einem Henker an der Spitze. „Ohne uns wäre nichts mehr, unterstützt uns bitte weiter“, sagt der Vorsitzende des Vereins „Kerbeborsche Bommersheim“ und damit aktuelle Kerbevadder Christian Schließmann bei der Begrüßung der Besucher des Familientages im Kerbedorf, der am Abend mit Open-Air-Rock-und-Pop-Musik enden sollte. Rund 500 Gäste bei der Mallorca-Party, kaum weniger beim Traditionsabend, die Kerb gehört zu Bommersheim wie der Auftritt der Feuerwehr-Musiker, die bei keinem örtlichen großen Fest fehlen dürfen. Sie alle hier sehen sich der Tradition verpflichtet.
Noch jung ist die Tradition des Traktor-Pullings. Erstaunlich, welche Kräfte sich da bei Gluthitze am Kerbesonntag entfalten. Ein Lanz-Bulldog, Geburtsjahr 1939, ohne Lenker rund 2,6 Tonnen schwer, muss über 25 Meter von Hand bis ins Ziel kurz vor der Hüpfburg gezogen werden. Im „Geschirr“ der Bänder jeweils vier Ziehende, und ja, es geht auch ein ambitioniertes Frauenteam an den Start. Die „Supporter“, wie sie sich nennen, Frauen, Freundinnen, Fans der Kerbeborschen, machen den Anfang, legen eine Super-Zeit vor und belegen am Ende einen hervorragenden fünften Platz. Die Abteilung „Jugend forscht“ jener Burschenschaft, in Sackleinen gehüllt, wird am Ende immerhin Vorletzter. Die Pokalplätze machen die befreundeten Kerbejungs aus dem benachbarten Kalbach und das „Team Catharina“, also das legendäre Bommersheimer Dreigestirn mit Ritter Heinrich, seinem „Fräulein“ und dem Henker sowie einem Adjutanten, unter sich aus. Der größte Pokal für die Champions geht tatsächlich nach Kalbach, 12,96 Sekunden haben sie für die 25 Meter gebraucht, „Catharina“ und ihre Helfer einen Wimpernschlag länger.
Am kommenden Wochenende geht es zur Revanche ins Nachbardorf. Dann wird in Kalbach gemeinsam Kerb gefeiert. „Wir versuchen uns zu besuchen, gemeinsam für die Kerb und den Erhalt der Tradition“, so Christian Schließmann.