In Schwesternhäuser zieht buntes Leben ein

Die Appartement-Häuser vor der Ketteler-La Roche-Fachschule für Sozialwesen, Sozialpädagogik und Sozialassistenz (links) sind nach langem Leerstand belegt. Belegrecht hat in einem Haus nur die Caritas, im anderen die Stadt für Räume, in die Obdachlose und Wohnungslose einziehen, und für die Flüchtlingshilfe. Foto: Streicher

Von Jürgen Streicher

Oberursel. Eine bunte Girlande mit kleinen Fahnen verschiedener Nationen zieht sich an einem Balkongeländer entlang, ein anderes ziert eine „Eintracht“-Fahne. Blumentöpfe und Blumenampeln schmücken Balkone, Gartenstühle und Fahrräder hinterm Haus künden vom neuen Leben. Eigentlich sogar vom ersten Leben, denn die beiden Appartementhäuser im Altenhöfer Weg, direkt an die Ketteler-La Roche-Fachschule angrenzend, waren in all den Jahren seit ihrer Fertigstellung nie bewohnt. Ordensschwestern im Ruhestand sollten dort unterkommen, doch nach dem Abriss des Klostergebäudes und Teilverkauf des Grundstücks für den Bau der benachbarten Villen blieben keine Schwestern.

Der Orden von den Schwestern der Göttlichen Vorsehung mit Mutterhaus in Mainz hatte in den luftleeren Raum geplant. Hinter Fahnengirlande und hängenden Blumentöpfen leben jetzt wohnungslos gewordene Menschen und anerkannte Flüchtlinge, die mit dieser Zwischenstation auf feste Wohnformen vorbereitet werden sollen. Eines von mehreren Zielen, das der Caritasverband Hochtaunus und die Stadt Oberursel als Kooperationspartner verfolgen.

Betreutes Wohnen für 18 Menschen

Dass die beiden Häuser am Maasgrund für „sozialarbeiterische Dienste“ zur Verfügung stehen sollen, hatte Bürgermeister Hans-Georg Brum bereits bei der Übernahme von Schule und Gelände der Ordensschwestern durch die St.-Hildegard-Schulgesellschaft des Bistums Limburg im vergangenen November am Rande erwähnt. Betreutes Wohnen für 18 Menschen in Einzel-Appartements sei dort möglich, Caritas und Stadt nannte er schon damals als Partner. Anfang des Jahres wurden die Verträge mit den neuen Eigentümern unterzeichnet, der Caritasverband hat das Mietrecht auf drei Jahre erhalten. Langfristig ist das komplette Gelände zwischen Altenhöfer Weg und Herderstraße inklusive der Schulflächen für eine Wohnbebauung vorgesehen. Die staatlich anerkannte Fachschule für Sozialwesen, Sozialpädagogik und Sozialassistenz mit kirchlicher Ausrichtung soll ein neues Areal für einen Neubau auf dem früheren Hochtief-Gelände am Zimmersmühlenweg mit Anschluss an die S-Bahn und andere öffentliche Verkehrsmittel bekommen. Was dann aus den Schwesternhäusern mit neuer Funktion wird, ist noch unklar. Daher der befristete Mietvertrag.

Es passt zum Motiv der sozialarbeiterischen Betreuung, laut Geschäftsführer Ludger Engelhardt-Zühlsdorff nutzt der Bereich Wohnungslosenhilfe im Caritasverband das eine Haus derzeit als „Übergangseinrichtung“ für das Wohnheim „Haus Mühlberg“ in Bad Homburg, das sich in einer Sanierungsphase befinde und im September fertiggestellt sein soll. Zu Beginn des Jahres bereits seien acht Bewohner nach Oberursel umgezogen, Zweck des Angebots sei, „ehemals wohnungslose Menschen in Wohnraum zu vermitteln und ihnen gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen“. Bis zu fünf Tage fänden auch durchreisende Wohnungslose eine Übernachtungsmöglichkeit im Haus. Unterstützt werden die Bewohner durch zwei Sozialarbeiter. „Das läuft gut bisher, es ist das richtige Konzept“, so Engelhardt-Zühlsdorff.

Keine Dauerlösung

Für das zweite Haus hat die Stadt das Be- legrecht. Sie nutzt es für die Unterbringung von Menschen, für die eine Einzelunterbringung sinnvoll erscheint, so der Ansatz. In Zusammenarbeit von Sozialem Dienst und Ordnungswesen wird dies mit „Voreinschätzung“ der möglichen Bewohner entschieden, eine gewisse Bereitschaft für ein gemeinsames Projekt muss gegeben sein. Eine Dauerlösung soll auch in diesem Fall die Unterbringung nicht sein. Von den möglichen zwölf Plätzen sind laut Sozialdezernent Christof Fink (aktuell neun belegt, durch Einzelpersonen, ein Paar und eine Frau mit mehreren Kindern. Die Einzelappartements bieten anerkannten Flüchtlingen und Obdachlosen der Stadt einen eigenen Rückzugsort mit privatem Bad, gleichzeitig ermöglichen Gemeinschaftsräume wie die Küche geselliges Beisammensein. Seit Anfang Februar bereits nimmt die Stadt ihr Belegrecht im Altenhöfer Weg wahr.

Beispielhaftes Leuchtturmprojekt

„Die gute Nachricht“ nennt Fink die Tatsache, dass die beiden Häuser nach langem Leerstand endlich bewohnt werden. Den sozialen Ansatz dabei hätten die Partner von Anfang an verfolgt. Einen „Skandal“ hatten viele Kritiker die jahrelange Abschottung des Ordens genannt, jegliche Kritik am Zustand war dort abgeprallt. Nun will der Caritasverband, der zu den Kritikern gehörte, kommunikativ werden und die eigentlich für das Frühjahr geplante und aufgrund der Corona-Krise verschobene Eröffnung der beiden Häuser möglichst bald in einer noch nicht festgelegten Form nachholen. Dies kündigte jedenfalls Geschäftsführer Engelhardt-Zühlsdorff an. „Wir reden gerne darüber, wir wollen uns auch gesamtgesellschaftlich mit dem Thema Armut auseinandersetzen. Und wir wollen mit den Anwohnern und der Politik ins Gespräch kommen.“ Der Caritasverband sieht in der neuen Funktion der beiden Häuser ein „beispielhaftes Leuchtturmprojekt zur gesellschaftlichen Diversität in Wohngebieten.“



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