Spiel ohne Grenzen: „Team Orschel“ verzaubert die Fans

Selbstbewusst gibt sich das „Team Oberursel“ vor dem Sporthaus Taunus, ehe es auf der Heide in den Wettstreit gegen Bad Marienberg geht. Repro: js

Oberursel (js). Was für eine Fernsehwelt? Die Menschheit war noch verschont von privaten TV-Sendern und ihren Spielshows rund um die Uhr, am späten Abend kam das Testbild und mahnte zur Bettruhe. Karl-Heinz Köpcke hat die Nachrichten verlesen, Heinz Schenk mit Lia Wöhr den Äppler im „Blauen Bock“ ausgeschenkt und die deutschen Buben haben noch ganz gut Fußball gespielt 18 Jahre nach dem „Wunder von Bern“. Es war auch die Zeit von „Spiel ohne Grenzen“, einer damals sehr beliebten Spielshow. Mannschaften verschiedener Städte traten bei „sportlichen Aktionsspielen“ im nationalen und internationalen Vergleich gegeneinander an. Und Oberursel war dabei, aktiv auf der „Heide“ und live im Fernsehen.

Unvergessen für Zeitzeugen jener 29. April 1972, als das „Team Oberursel“ einen Sieg für die Ewigkeit einfuhr, der noch heute leuchtende Augen bei den Protagonisten hervorruft. Und ein „Ach ja, schön war die Zeit“ bei denen, die auch live dabei waren, daheim im kuscheligen Wohnzimmer an einem Samstagnachmittag um 15 Uhr. Ein echter Straßenfeger, dieses „Spiel ohne Grenzen“ in der noch sparsamen TV-Welt. Fast 5000 Menschen waren beim grandiosen Triumph gegen Bad Marienberg aus dem Westerwald außerdem direkt auf der Stierstädter Heide dabei, wahre Verkehrsschlachten spielten sich nach Angaben von Augenzeugen auf der Heide ab. Rund 2000 Autos rollten auf die vorbereiteten Plätze an, bis zu 100 „minderbemittelte Rentner“ durften kostenlos dabei sein, die Polizei hatte alle Hände voll zu tun. Fast ebenso viele Zuschauer schon am Vormittag bei der Generalprobe, meist Schulkinder für kleines Geld, als das Fernsehen die Abläufe testete. Und dabei Unwägbarkeiten wie Wind und Wetter mit einkalkulieren musste an diesem Tag.

Die Spiele standen unter dem Motto „Mexiko“. Der Wind wehte manch eine Kaktee um, der aufgebaute Vulkan Popocatépetl für ein Kletterspiel wankte heftig, ein Gerüst geriet aus den Fugen und stürzte ein, am Nachmittag aber ging die Show glatt über die Bühne. Tagelang liefen die Vorbereitungen auf der Heide, „das war ja alles richtig aufwendig mit analoger Technik“, wie sich Klaus-Peter Hieronymi erinnert, den es später auch zum HR-Fernsehen zog. Ein junger Kerl war er da noch, der spätere „KP“ aus dem Kultur- und Sportamt und aus der Fastnacht, den viele in der Stadt kennen. Beim „Casting“ der Hauptakteure war er gescheitert wie so viele andere, aber trotzdem im Fieber. Fast 100 junge Frauen und Männer wollten dabei sein, einmal live im Fernsehen auftreten. Zwischen 16 und 35 Jahre alt sollten sie sein, sportlich topfit natürlich und geschickt in möglichst vielen kuriosen Lebenslagen.

Das wurde erwartet, so kannte man „Spiel ohne Grenzen“ seit Jahren, eine Ehre für Oberursel, ausgewählt zu sein. Die Stadtoberen um Bürgermeister Karlheinz Pfaff versprachen sich eine „willkommene Werbung für die Stadt“, die schon damals als „Tor zum Taunus“ touristisch für sich warb. Ein Vorspann im Fernsehen war gesichert, rund 22 000 D-Mark hat man sich den Spaß dem Vernehmen nach kosten lassen. Als Verbindungsmann der Stadt fungierte Kulturamtsleiter Heinz Wilhelmi, vorab haben sich die Teams beider Orte sogar gegenseitig besucht, um mal bei der Konkurrenz im Ort reinzuschnuppern. Fairplay nach Art der 70er-Jahre eben. Team-Chef war Oberturnwart Karl Pfaff von der TSG Oberursel, der stets 100-prozentige Sportsmann kannte keine Gnade bei der Auswahl, wer dabei sein wollte, musste alles geben.

Nach der Zusage Ende 1971 begann drei Monate vor dem Ereignis die intensive Vorbereitung mit zweimal wöchentlichem Training in der Halle und auf dem Trimmpfad am Schillerturm. Einmal wurde sogar ein „Höhentraining“ in Oberreifenberg angesetzt, um für alle Fälle gewappnet zu sein bei jedem einzelnen der Spiele, die „Fiesta“ und Flamenco“ hießen, „Tequila“ und „Pancho Villa und das Gefängnis“. Den „Zorro“ gab der frühere deutsche Vize-Amateurboxmeister Ottmar Bessler, weil klar war, dass „irgendwas mit Lassowerfen“ auf der Spielliste stehen würde, hat man sogar zwei Gastspieler aus einem Frankfurter Cowboy-Club mit ins Team genommen. 16 Männer und vier Frauen gehörten am 29. April 1972 zum Team, als Schlachtruf wurde „Orschel Oleee“ mit drei „e“ gewählt. Ganz wichtig bei der Vorbereitung, das hört man immer wieder von den damaligen Protagonisten, war die sogenannte „Gesprächsrunde“ alle 14 Tage in der Gaststätte „Stadt Straßburg“. Heute würde man Teambuilding sagen, am Durst musste an diesen Abenden bei aller sportlichen Ernsthaftigkeit keiner leiden.

Das Spiel gegen Bad Marienberg endete mit einem unglaublichen 22:2-Sieg, nur „Zorro“ Ottmar Bessler hatte Pech in seinem Wettkampf. Oberursel überzeugte in allen Belangen, qualifizierte sich souverän für den internationalen Wettbewerb im Juli 1972 im italienischen Passariano gegen sechs Mannschaften aus den einstigen EWG-Ländern. Auch da konnte das von Karl Pfaff und Co-Trainer Werner Schlotter trainierte Team zwischenzeitlich am absoluten Triumph schnuppern, lag nach einem „Zwölfer“ im Joker-Spiel erstmals vorne, musste am Ende aber noch das Gastgeberland Italien und die Niederlande passieren lassen. Der Traum vom absoluten Champions-Finale im September im schweizerischen Lausanne wurde knapp verpasst. Aber der olympische Gedanke vom „Dabeisein ist alles“ half bei der europäischen Party-Nacht mit allen Teams schnell darüber hinweg. Örtliche Reisebüros hatten Fahrten für Schlachtenbummler in die Nähe von Triest angeboten, mit Flug und Unterkunft für ein paar Tage war man mit 159 D-Mark (Busreise) bis 325 D-Mark (Flugreise) dabei. Das Team residierte ein wenig teurer im örtlichen „Ambassador Palace“. Die zweite Party im Schlafanzug blieb Kulturamtsleiter Wilhelmi erspart, zur Siegesfeier in Oberursel musste er nach einer verlorenen Wette in diesem Outfit kommen.

„Schöne Erinnerungen

habe ich an Italien“

Bei der TSGO war Werner Schlotter einst Handballtorwart, stand sprunggewaltig im Riesenkasten auf dem Großfeld an der Altkönigstraße. Beim „Spiel ohne Grenzen“ auf dem Sportplatz an der Stierstädter Heide nicht weit entfernt fungierte der heute 80-Jährige als Co-Trainer neben TSGO-Urgestein Karl Pfaff. Und musste beim „Trainerspiel“ auch selbst ran. Mit großem Erfolg. Seine spontane Idee, mit vier Fingern die Löcher abzudichten, brachte dem Mann mit dem durchlöcherten Hut den Sieg beim Wassertragen mit Handicap. Der Coach führte das Team auf die Siegerstraße. „Beim Wettkampf auf der Heide hatte ich das Trainerspiel zu bestreiten. Es galt, mit einem durchlöcherten Hut Wasser zu schöpfen und nach einer kurzen Laufstrecke in ein Messgefäß zu gießen. Das lief gut, den Trainer aus Bad Marienberg habe ich dabei entscheidend besiegen können. Ich habe einfach meine Finger in die Löcher gesteckt und bin gerannt, da war ich um Längen besser als der Spielgegner. Der hätte es mir einfach nur nachmachen müssen. Wir waren überhaupt sportlich topfit, hatten uns gut auf den Wettbewerb vorbereitet. Ob Training auf dem Trimmpfad im Stadtwald oder in der Turnhalle, hinterher ging es immer zum „Stücke Peter“ in die „Stadt Straßburg“ an der Eppsteiner Straße. Die Bezahlung der nicht wenigen getrunkenen Schoppen wurde immer von Sponsoren übernommen. Wunderschöne Erinnerungen habe ich an die Reise zum internationalen Wettbewerb im Sommer 1972 nach Passariano in Italien. Nach der Sendung feierte die Jugend Europas bis spät in die Nacht ausgelassen gemeinsam an der Villa Manin. Ein Höhepunkt auf dem Rückflug von Triest nach Mailand war eine junge Schweizerin aus Sarnen, das war eine verrückte Nuss. Sie unterhielt das ganze Flugzeug mit ihrem Gesang. Das Lied „Hoch das Bein, das Vaterland soll leben“ klingt mir noch heute in den Ohren. Den speziellen Hut zum Wasserschöpfen beim Trainerspiel habe ich als Erinnerungsstück bis heute aufgehoben. Und viele andere Unterlagen natürlich auch.“

„So richtig aufgeregt

war ich nicht“

Die Nummer 13 hat dem Bommersheimer Wolfgang Westenburger Glück gebracht. Er durfte bei drei Spielen dabei sein und so ordentlich beitragen zum damals „grandiosen Sieg“. Jedes Mannschaftsmitglied bekam damals eine Nummer zugeteilt, wurde damit auch fotografiert, fast wie auf einem Polizeifoto mit der Nummer vor der Brust, damit später nicht geschummelt werden konnte, denn die Spieler wurden zu den Spielen ausgelost. Die Jacke vom Trainingsanzug (links im Hintergrund) passt nicht mehr so ganz, das Tuch mit den Wappen aller teilnehmenden Städte am „Spiel ohne Grenzen“ ist ein schönes Erinnerungsstück. „Ich war bei drei Spielen dabei, beim „Schafbock-Schieben“, beim „Wettlauf der Schlangen“ und bei „Pancho Villa und das Gefängnis“. Das Motto über allen Spielen war „Mexico“. Als das Thema Spiel ohne Grenzen hochkam, habe ich mich spaßeshalber beworben. Ich war zu dieser Zeit sportlich sehr aktiv im Turnen und Fußball und auch sehr fit. Beim Ausscheidungswettbewerb im Dezember 1971 auf dem Gelände der damaligen John-F.-Kennedy-Realschule war ich der Viertbeste und kam so ins Team. Trainiert haben wir dann auf dem Oberurseler Waldturnpfad am Schillerturm. Interessant war für mich damals, wie es im Fernsehen zugegangen ist, das war schon spannend. So richtig aufgeregt war ich aber nicht. Am Vormittag des Wettkampftages fand eine Generalprobe auf dem Spielgelände an der Stierstädter Heide statt, da durften schon tausende Oberurseler Schulkinder dabei sein. Da fiel das Ergebnis noch nicht so eindeutig aus wie am Nachmittag. Da lief es dann richtig gut, als nach dem ersten Spiel die Nervosität ein bisschen verflogen war. Erstaunlich für mich war, dass viele Zuschauer auch auf dem Spielgelände auf dem Boden gesessen haben. Einige Erinnerungsstücke an diesen besonderen Tag habe ich noch heute, das Foto mit der Nummer, das Mannschaftsfoto natürlich, den WDR-Ausweis und eine Eintrittskarte. Das hat für die Besucher 6,50 Mark gekostet, ein Programmheft gab’s dazu und man konnte in einer Tombola etwas gewinnen.“

Nach dem „Casting“

zum „Teambuilding“

Unter den Sportlern im Team war Norbert Wiest – hier am „Tatort“ auf dem Sportplatz an der Stierstädter Heide – der Vollblut-Athlet mit vielen Fähigkeiten. Als Leichtathlet auch Mehrkämpfer, war er vielseitig einsetzbar und trotz Handicap ein Punktegarant in „Orschel“ und in Italien. Im gleichen Jahr wurde er Junioren-Hessenmeister im 400-Meter-Lauf, noch heute ist der 70-Jährige fit wie ein Turnschuh, wie man da gerne sagt. Eine damals davongetragene Narbe ist noch immer deutlich sichtbar. „Nach dem Casting war das gemeinsame Training und das anschließende Teambuilding in der Gaststätte Stadt Straßburg die wichtigste Vorbereitung auf den Wettkampf. Das haben wir sehr ernst genommen. Kurz vor der Livesendung von der Heide wurden die Akteure den Spielen zugelost. Ich war im vierten Spiel beim „Seilschwingen“ mit neun weiteren Männern dabei, Handballerin Christina Schmitz kam mit jeweils fünf Sprüngen über die schwingenden Seile als Erste ins Ziel. Weil unser Trainer Karl Pfaff den Joker gesetzt hatte, gab es vier Punkte, wir führten 10:0 gegen Bad Marienberg. Für mein Hauptspiel war ich gehandicapt. Bei der Generalprobe am Vormittag – wir mussten blind Blumentöpfe über dem Kopf zerschlagen – hat mir eine Scherbe die Schlaghand aufgeschnitten, die der Oberurseler Arzt Dr. Kappus rasch mit drei Schnitten genäht hat. Bad Marienberg entschied sich nach dem Missgeschick für den Joker in diesem Spiel, doch Glück im Unglück. Kurz vor dem Spiel, alles live im Fernsehen zu sehen, warf eine starke Windböe ein Stahlrohrgerüst mit den hoch hängenden Blumentöpfen um, ein Kameramann wurde verletzt, es kam zum zuvor unbekannten Ersatzspiel. Ich musste auf zwei Stühlen, ohne den Boden zu berühren, eine 50-Meter-Strecke zurücklegen, als 400-Meter-Läufer ein geeigneteres Spiel als blind Blumentöpfe zu zerschlagen. Bad Marienberg verlor den Joker, beim 18:2 war das Spiel gelaufen. Bei der internationalen Runde in Passariano durfte ich unser Leichtgewicht Ingrid Heusler als Clown mit dickem Bauch über einen Hindernisparcours tragen und konnte unseren Joker gegen die Joker aus Belgien und Italien durchbringen. Das brachte zwölf Punkte und die zwischenzeitliche Führung mit 22 Punkten. Am Ende reichte es mit 36 Punkten hinter Niederlande (44) und Gastgeber Italien (38) zum dritten Platz.“

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