Türen öffnen statt Konfrontation suchen

Während der Lesung führen Dr. Birgit Kindler und Hadija Haruna-Oelker spannende Gespräche. Foto: Kunstgriff

Oberursel (ow). Das Wort „Toleranz“ findet Hadija Haruna-Oelker eher „doof“. „Akzeptanz“ gefällt ihr besser. Das helfe eher, Brücken zu schlagen. Brücken, auf denen sich Menschen begegnen und kennenlernen können, Behinderte und Nicht-Behinderte, Schwarze und Weiße, man selbst und andere, unbekannte.

Der Kunst- und Kulturverein Kunstgriff hatte für die erste Lesung bei den Oberurseler Literaturtagen, die unter dem Motto „Risse. Brüche. Neuanfänge.“ stehen, eine Frau eingeladen, die sich seit langer Zeit mit Rassismus, Intersektionalität und Diskriminierung beschäftigt. Bei der Lesung im neuen Kommunikationszentrum Altstadt war die Journalistin, Politikwissenschaftlerin und Moderatorin Hadija Haruna-Oelker mit ihrem Buch „Die Schönheit der Differenz – miteinander anders denken“ zu Gast.

Identitätsfragen sind nicht einfach, bekannte die Autorin im Gespräch mit Kunstgriff-Vorstandsmitglied Dr. Birgit Kindler. Sie selbst – in Deutschland geboren, dunkelhäutig, die Mutter ghanaisch, der Vater aus einem bayerischen Dorf kommend – wird immer wieder mit diesem Thema konfrontiert. Das werden aber auch andere. Die Boateng-Brüder zum Beispiel, beide Fußball-Nationalspieler. Der eine, Jérome, wurde mit Deutschland 2014 Fußballweltmeister, der andere, Kevin-Prince, spielte erst in deutschen Nachwuchs-Nationalteams und dann in der ghanaischen Nationalelf.

Oder wie sieht es mit weißen Frauen aus, die Dreadlocks tragen wollen? Und wie mit weißen Schauspielern, die schwarze Rollen spielen sollen oder wollen. Auch die Diskussion, ob weiße Menschen Werke schwarzer Autoren übersetzen dürfen, wurde angeschnitten. Hadija Haruna-Oelker spricht in ihrem Buch viele Themen an. Zum Beispiel Rassismus, Gendern, Behinderung oder Migration. Sie machte als Kunstgriff-Gast aber sehr deutlich, dass Menschen nicht in einzelnen Merkmalen zu betrachten oder zu verstehen sind. Und was bitte kennzeichnet die „normalen“ Menschen?

Begegnung ist wichtig, betonte Haruna-Oelker. Dafür brauche es Orte zum Zuhören. Muss dort stets die eigene Position behauptet werden?, fragt sie und antwortet selbst. Nein. Der Mensch müsse fähig sein, seine eigene Richtung zu ändern. Dabei spiele Sprache eine wichtige Rolle, betonte „Sprachfan“ Birgit Kindler. Deutsch habe aber viele Löcher, waren sich die Frauen auf dem Podium einig. Es würden deshalb viele englische Begriffe verwendet, weil es dafür auf Deutsch keine Wörter gebe.

Zurück zur Schönheit der Differenz: Es gebe häufig Initialmomente, Punkte, an denen man zur Erkenntnis kommt, zum Beispiel Menschen mit Behinderung anders begegnen zu müssen. Hadija Haruna-Oelker brachte auch an dieser Stelle eigene Erfahrungen ein. Sie erzählte, dass sie früher Menschen mit Spastik aus Unwissenheit heraus beleidigt habe. Und von ihrer Cousine mit Hörschwäche, für die sie wenig Verständnis gehabt habe. Für die Cousine war dagegen Schwarz überhaupt kein Thema.

Der Leser von „Die Schönheit der Differenz“ kann im Buch hin und her springen, wurde an diesem Abend deutlich. Es werden Geschichten erzählt, die wiederum viel historischen Hintergrund bieten. Den gut 40 Gästen im Kommunikationszentrum versicherte die Autorin: „Sie finden sich in irgendeinem Kapitel wieder.“ Reflexion über das eigene Verhalten sei wichtig, aber ohne Selbstgeißelung. Haruna-Oelker ist dankbar für ihre privilegierte Position in der Gesellschaft, sieht darin aber auch viel Verantwortung. Sie schaue kritisch in bestehende Strukturen und sehe, dass antidemokratische Strukturen „nicht weniger geworden sind“. Dem gelte es zu begegnen. Es gehe darum, nicht gegen etwas zu sein, sondern für etwas. Strukturen zu verändern, sei nicht einfach, oft schmerzhaft. Dabei müsse achtsam mit den eigenen Gefühlen, aber auch mit denen des Gegenübers umgegangen werden. Das Ziel müsse Konsens statt Konfrontation sein. Es sollten auf allen Ebenen Türen geöffnet statt Konfrontation gesucht werden.



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